Das einfache Leben. Ernst Wiechert

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das einfache Leben - Ernst Wiechert страница 12

Das einfache Leben - Ernst Wiechert Klassiker bei Null Papier

Скачать книгу

lieb­te er die­sen al­ten Mann, der wie­der fröh­lich sein woll­te. Das Haar fiel ihm noch schwarz in die Stir­ne, nur die Schlä­fen wa­ren weiß, und nun wuss­te er auch, wes­halb der Sohn zur See ge­fah­ren war: die Au­gen muss­ten es sein. Er muss­te die­sel­ben Au­gen ge­habt ha­ben, de­nen die Din­ge im­mer zu nahe wa­ren und die er­ken­nen woll­ten, was hin­ter den Din­gen war. Er hat­te ge­glaubt, dass man das auf dem Mee­re ler­ne, dem ein­zi­gen Ele­ment, das kei­nen Vor­der­grund hat­te. Aber er hat­te wohl nur ge­lernt, dass der Tod in al­len Ele­men­ten zu Hau­se ist.

      »Und … es gibt kei­ne Hil­fe?« frag­te er.

      Der an­de­re schüt­tel­te den Kopf. »Pfar­rer und Ärz­te«, sag­te er, »die ar­bei­ten im­mer mit den Din­gen, die für sie auf­ge­hört ha­ben, wis­sen Sie. Gott und Pf­licht und gu­ter Wil­le und so wei­ter.« Er sah sich vor­sich­tig um. »Ich bin ein ein­fa­cher Mensch«, fuhr er lei­se fort, »aber ich weiß es. Es gibt Müt­ter und Kin­der, bei de­nen man die Na­bel­schnur nicht zer­schnit­ten hat, ver­ste­hen Sie? Und so war es hier. Sie blei­ben im­mer eins, sie wer­den nie zwei. Sie hat es auch ge­wusst, als das dort ge­sch­ah. Sie kam zu mir auf den Hof, weiß wie eine Tote, und zeig­te mit dem Arm in den Wald. ›Jetzt ha­ben sie ihn fort­ge­ris­sen‹, sag­te sie. ›Mein Blut fließt aus.‹ Und so war es auch, dass ihr Blut aus­ge­flos­sen ist … Mein lie­ber Herr, das muss man nun so las­sen, und nun ist es so gut, dass Sie hier­blei­ben und ich manch­mal ein biss­chen bei Ih­nen sit­zen darf … wie ist Ihr Name, lie­ber Herr?«

      Sein Ge­sicht war von in­nen be­glänzt, als er sich vor­beug­te und lä­chelnd in Tho­mas’ Au­gen sah.

      »Orla«, sag­te Tho­mas. »Tho­mas Orla … es ist ein mär­ki­scher Name. Aber wes­halb mei­nen Sie im­mer, dass ich hier­blei­ben wer­de?«

      »Sie sind ge­sandt, lie­ber Herr Orla, ja, ich muss es wohl so nen­nen. Ge­sandt wie ein En­gel des Herrn. Se­hen Sie, manch­mal in die­sen Jah­ren habe ich ge­zwei­felt, an Gott, ja, das habe ich ge­tan. Aber an den Hei­li­gen nicht. Von Kind auf war ich bei ih­nen, das ist in un­se­rem Glau­ben so, nä­her bei ih­nen mit­un­ter als bei Gott. Er ist so weit, so schreck­lich weit. Aber sie sind nahe, an un­se­rer Sei­te, denn sie ha­ben auch ge­lit­ten, eben­so wie wir, mehr noch. Aber Gott lei­det nicht, wis­sen Sie? Nun, und die Hei­li­gen, sie ha­ben Sie ge­sandt. Sie ha­ben ge­se­hen, dass ich nicht mehr wei­ter wuss­te, und da ha­ben sie mir das ge­schickt, das von Staub und Asche, nicht wahr? Das ist wie ein neu­es Le­ben, denn ich glau­be es. Und da­für wer­den Sie hier fin­den, was Sie su­chen. Al­les hängt zu­sam­men bei den Men­schen, gute Tat und gu­ter Lohn … Der See hier, er ist zu ver­pach­ten, oder nicht zu ver­pach­ten, son­dern der Fi­scher­pos­ten ist zu ver­ge­ben, Fi­scher und Jä­ger, bei­des zu­sam­men. Ein ru­hi­ger Pos­ten, auch wenn der Ge­ne­ral wun­der­lich ist … alle sind hier wun­der­lich … man kann le­ben da­von, be­quem le­ben, wenn man ein­fach ist. Ein klei­nes Haus auf der In­sel, mir ge­gen­über, einen Büch­sen­schuss weit, ein Rohr­dach, ein großer Herd, ein Netz­schup­pen. Und ein klei­ner Wald, ein schö­ner Wald, Jung­holz mit Fich­ten und Bir­ken und da­zwi­schen alte Ei­chen mit tro­ckenen Wip­feln, wo die Rei­her abends ein­fal­len. Und ganz al­lein, ver­ste­hen Sie? Ganz al­lein, nur Was­ser und Wald in der gan­zen Run­de. Man braucht ein Boot, um zu Ih­nen zu kom­men …«

      »Und der Ge­ne­ral?« frag­te Tho­mas. Sei­ne Pfei­fe war aus­ge­gan­gen, und er lausch­te wie in ei­nem Mär­chen. Ein Zau­ber fiel von dem al­ten Mann über ihn.

      »Ja, ihm ge­hört das al­les, lie­ber Herr. Das Schloss und das Gut und der See. Ein ar­mer Mann, bei­de Söh­ne ge­fal­len, und ich habe sie bei­de auf den Kni­en ge­hal­ten. Nur eine En­ke­lin ist bei ihm, und sie ist wie ein En­gel in dem dunklen Haus … und Sie wer­den die Stel­le be­kom­men, ich selbst will es ihm sa­gen. Der sie jetzt hat, ist ein Bol­sche­wik, ver­ste­hen Sie? Ei­ner, der ›Herr‹ ge­nannt wer­den will, und sei­ne Mut­ter hat noch Kar­tof­feln von mei­nem Feld ge­stoh­len. Und der den Ge­ne­ral einen ›Blut­säu­fer‹ nennt, und je­des Kind weiß, dass er nur Rot­wein trinkt. Nur dass Ka­no­nen in der Schloss­hal­le ste­hen und zwei Die­ner in Uni­form da­bei. Ei­nen Putsch will er ma­chen, sa­gen die Bol­sche­wi­ken, aber je­der weiß, dass die Ka­no­nen nicht ge­la­den sind.«

      »Kön­nen wir es se­hen?« frag­te Tho­mas und stand auf. »Die In­sel, mei­ne ich, und al­les … der Mond scheint doch, und viel­leicht ist mor­gen früh al­les fort und Sie ha­ben nur ge­träumt …«

      Der alte Mann lä­chel­te. »Auch er war so«, sag­te er, »al­les gleich und so­fort, da­mit es nicht ver­schwun­den ist am nächs­ten Tag. Aber nichts ver­schwin­det, lie­ber Herr. Wenn man alt ge­wor­den ist, weiß man, dass nichts ver­schwin­det. Aber wir kön­nen ge­hen … beim Mond­licht wirft es die Net­ze über Sie, mehr noch als am Tage.«

      Die Luft war noch wär­mer ge­wor­den, und ein paar Re­gen­trop­fen aus ei­ner ver­lo­re­nen Wol­ke fie­len schwer in das tro­ckene Laub un­ter den Ei­chen. »Geht dort wer?« frag­te Tho­mas lei­se. Nein, nein, das sei nur der Re­gen und eben der Zau­ber. Im­mer klin­ge es hier so, als gehe wer durch die Nacht. Aber nie­mand gehe, ganz still und leer sei der Wald. Au­ßer dass die To­ten um­gin­gen aus Land und Meer, aber dar­über wis­se er nichts.

      Der Mond stand noch tief, vor ih­nen, und sie sa­hen nur sein Licht. Der Him­mel war sanft be­glänzt, wie aus ei­nem fer­nen Tor, und mit­un­ter blitz­te es im Wal­de auf, ein ein­zel­ner Strahl, der durch eine Lücke im Ge­äst auf feuch­te Rin­de fiel. Eu­len rie­fen, und vom Was­ser schrie ein un­be­kann­ter Vo­gel. Es war, als fra­ge je­mand nach dem Wege.

      Der Fuß­pfad senk­te sich, und dann war das Was­ser zu se­hen. Es lag als eine mat­te Schei­be in ei­nem dunklen, viel­fach ge­sprun­ge­nen Rah­men. Es dehn­te sich, weit hin­aus, und in der Fer­ne wur­de es grau­er und mat­ter, bis es mit der Schwär­ze ver­floss. Eine schma­le Mond­bahn lief bis zu ih­ren Fü­ßen, und in der Höhe, zwi­schen dunklen, lei­se trei­ben­den Wol­ken, stan­den die Ster­ne. Nichts be­weg­te sich, nicht ein­mal die Brücke des Mond­lichts, und die Schilf­hal­me stan­den wie Spee­re mit glü­hen­den Spit­zen am Ufer. Und doch war es wie­der, als gin­ge je­mand lei­se durch den Wald und über das Was­ser hin, ver­stoh­len und atem­los, bald zur Rech­ten und bald zur Lin­ken.

      »Dort ist sie«, sag­te der Förs­ter lei­se.

      Tho­mas sah die In­sel, einen Büch­sen­schuss weit. Sie lag in voll­kom­me­ner Schwär­ze auf der mat­ten Schei­be, nur um die Wip­fel­li­nie war ein flie­ßen­der, wei­ßer Schein, und die tro­ckenen Äste der Ei­chen stan­den wie Git­ter­mas­ten ge­gen den Mond. Dunkle, schwe­re Vö­gel sa­ßen re­gungs­los in ih­rem Netz­werk.

      »Hier ist der Kahn«, sag­te der Förs­ter.

      Aber Tho­mas woll­te nicht fah­ren. Er wuss­te, dass es hier war, wo er le­ben und wahr­schein­lich auch ster­ben wür­de. Sei­ne Au­gen sa­hen es, und mehr noch sag­te es sein Herz. Aber er woll­te nicht hin­ge­hen wie in ei­nem Zau­ber. Zu viel stand auf dem Spiel. Er war fünf­und­vier­zig Jah­re alt und brauch­te den Tag, um dies zu se­hen. Auch am Mor­gen wür­de es noch da sein, und es wür­de gut sein, wenn es reg­ne­te und ein har­ter Wind gin­ge, dass al­les grau und wirk­lich aus­sä­he. »Nein, mor­gen früh«, sag­te er.

      Sie stan­den

Скачать книгу