Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert Klassiker bei Null Papier

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als Tho­mas ih­nen gute Nacht bot und die schma­le Trep­pe zu sei­nem Schlaf­raum hin­auf­stieg, ein Licht in der Hand, schi­en das Gan­ze ihm als ein schö­nes Tor zu sei­ner neu­en Welt, voll gu­ter Vor­be­deu­tung und von al­lem Ge­wohn­ten und Ver­gan­ge­nen wie durch Jahr­zehn­te ge­schie­den.

      Im­mer tiefer nahm das Land ihn nun auf. Tag für Tag fuhr er an den Seen ent­lang und von Dorf zu Dorf, mit­un­ter ver­wei­lend, wenn ihn et­was zu hal­ten schi­en. Die Wit­te­rung wech­sel­te in den Zei­ten der Nacht- und Tag­glei­che, Stür­me und Re­gen fie­len über das Land, und ei­nes Abends trieb so­gar der Schnee in wei­ßen Strei­fen zwi­schen den grau­en Stäm­men hin. Dann aber ge­wann die Son­ne wie­der das Feld, trock­ne­te Stra­ßen und Pfa­de, das Eis in den Buch­ten schmolz, und über der jun­gen Saat hin­gen hoch im Blau die sin­gen­den Ler­chen. Im­mer aber gin­gen die großen Wäl­der mit ihm mit, wech­selnd zwi­schen Laub- und Na­del­holz, auf­blau­end, er­glü­hend und sich wie­der ver­dun­kelnd mit dem Gang der Son­ne, und mit ih­nen die stren­ge und rei­ne Luft, die das At­men leicht mach­te und die sor­gen­lo­sen Jah­re wie­der her­aufrief, als er hoch über Se­geln und Meer im Mast­korb ge­ses­sen hat­te.

      Der Rat des Man­nes aus dem Wald­krug hat­te sich als nütz­lich er­wie­sen, ei­ni­ge An­ge­bo­te fand er gut und so­gar ver­lo­ckend, doch hielt er die Zu­sa­ge noch hin, weil ihm das Letz­te noch zu feh­len schi­en, die jähe Zu­stim­mung des Her­zens, von der er mein­te, dass sie ein­mal kom­men wer­de, und die ihm wich­ti­ger schi­en als Ver­stand und küh­le Be­rech­nung.

      So kam er am spä­ten Nach­mit­tag des zehn­ten Ta­ges zu ei­nem Mei­len­stein an ei­ner brei­ten Land­stra­ße, von dem ein schma­ler Weg zu ei­ner Förs­te­rei ab­bog, und da der Wald ihm schö­ner schi­en als je­der an­de­re, den er bis­her durch­fah­ren hat­te, von Bir­ken­scho­nun­gen und al­ten Ei­chen durch­setzt, so ließ er den brei­ten Weg und mein­te, er wer­de zur Nacht schon un­ter­kom­men, wenn nicht im Forst­haus, so doch we­nigs­tens in ei­ner Feld­scheu­ne oder in ei­nem der Wild­heu­hau­fen, die er hier und da in den Scho­nun­gen an­ge­trof­fen hat­te. Die Luft war mil­der ge­wor­den, ein süd­li­cher Wind ging durch den Wald und brach­te den schwe­ren Duft des Sei­del­bas­tes mit, der an den son­ni­gen Hän­gen blüh­te.

      Der Förs­ter trat aus dem Hof­tor, als Tho­mas das Ge­höft er­reich­te. Er war ein großer, ge­beugt ge­hen­der Mann, die Schlä­fen un­ter dem Hut schim­mer­ten schon weiß, und der Blick sei­ner ganz hel­len Au­gen ging durch Tho­mas hin­durch, als sehe er gar nicht ihn, son­dern hin­ter ihm einen an­de­ren, der un­be­merkt in sei­nen Spu­ren stän­de. So ein­sam schi­en er Tho­mas vor dem schwei­gen­den Ge­höft, dass er mein­te, es sei nicht recht, ihn an­zu­spre­chen und sei­ne Bit­te vor­zu­tra­gen, so­dass er stumm da­stand, die Hän­de auf der Lenk­stan­ge des Ra­des und den Fuß schon wie­der auf dem lin­ken Pe­dal, als sei er so­fort be­reit, um­zu­keh­ren, wenn je­ner den Wunsch dazu zu er­ken­nen gebe.

      Doch trat der Förs­ter wi­der Er­war­ten auf ihn zu, hob die Hand grü­ßend an den Hut und frag­te ihn mit lei­ser Stim­me ohne Vor­be­rei­tung, ob er ein See­mann sei. Und als Tho­mas das mit ei­ni­ger Ver­wir­rung be­jah­te, nahm der an­de­re ihn sanft beim Arm, bat ihn, ein Stück We­ges mit ihm mit­zu­kom­men, und mein­te dann, als der Wald sie schon wie­der auf­ge­nom­men hat­te, er dür­fe nicht ver­wun­dert sein, es habe je­der har­te Be­ruf sei­ne Kenn­zei­chen und wäre es hier auch nur eine be­stimm­te Hel­lig­keit der Au­gen und die Schär­fe der Li­ni­en von den Na­sen­flü­geln zum Mun­de. Zu­dem ken­ne er sich et­was aus un­ter See­leu­ten, da sein Sohn selbst ei­ner ge­we­sen sei, und es freue ihn, hier in sei­nem Wal­de einen wie­der­zu­se­hen, der wahr­schein­lich auch »da­bei­ge­we­sen« sei.

      Ja, da­bei­ge­we­sen sei er al­ler­dings, er­wi­der­te Tho­mas.

      Das habe er ge­dacht, mein­te der Förs­ter, und er brau­che nun vor sei­nem Hau­se nicht um­zu­keh­ren, sei als Gast will­kom­men und müss­te ihn zu­erst nur auf den Sch­nep­fen­zug be­glei­ten, da er gern zu­nächst al­lein mit ihm sein möch­te. Et­was wun­der­lich sei sei­ne Frau, ja viel­leicht so­gar sehr wun­der­lich, wie nach dem Krie­ge ja über­haupt selt­sa­me Men­schen üb­rig­ge­blie­ben sei­en, als habe der Tod sie nicht ge­wollt nach all dem jun­gen Blut, das er ge­trun­ken habe.

      Zu­erst schwieg Tho­mas, auf eine merk­wür­di­ge Wei­se er­grif­fen von der Art die­ses Man­nes, der wie nach ei­ner lan­gen Krank­heit sprach, lei­se, ei­lig, als wis­se er nicht ge­nau, ob die Ge­s­pens­ter des Fie­bers noch um ihn stän­den oder ob er schon vol­ler Ver­trau­en zu den Wa­chen­den und Ge­sun­den von den Ge­sich­tern sei­ner Träu­me spre­chen dür­fe. Dann aber be­gann er zu er­klä­ren, wer er sei – im­mer noch der Steu­er­mann auf großen Damp­fern –, und wes­halb er hier sich um­se­he. Auch dass er ei­gent­lich vor­ge­habt habe, der großen Stra­ße bis zur Stadt zu fol­gen, und nur et­was nicht Be­wuss­tes ihn ver­an­lasst habe, zur Förs­te­rei zu fah­ren. Wahr­schein­lich, weil der Wald ihm so gut und ver­traut vor­ge­kom­men sei, oder auch nur, weil der Süd­wind ihn müde ge­macht habe.

      Der Alte nick­te dazu, auf eine si­che­re Wei­se, als wis­se er das bes­ser, und mein­te, sie wür­den eine gute Nach­bar­schaft hal­ten. Er sei des­sen ge­wiss, denn er zweifle nicht dar­an, dass hier das Ziel des Gas­tes er­reicht sei; doch woll­ten sie erst spä­ter dar­über spre­chen, jetzt aber ih­ren Stand ein­neh­men.

      Sie wa­ren un­ter­des an den Rand nied­ri­ger Scho­nun­gen ge­kom­men, gin­gen einen gras­be­wach­se­nen Weg hin­aus, bis sie über ei­nem klei­nen Bruch stan­den, in des­sen Was­ser­blän­ken der Abend­him­mel sich spie­gel­te, und blie­ben dann zwi­schen ein paar Wa­chol­der­bü­schen, der Förs­ter auf sei­nem Sitz­stock und Tho­mas auf ei­nem der brei­ten Baum­stümp­fe, die die Son­ne des Ta­ges ein­ge­so­gen hat­ten.

      Noch nie mein­te Tho­mas den Wald so groß und un­be­rührt ge­se­hen zu ha­ben, fast dass er zum Fürch­ten hät­te sein kön­nen, wäre nicht das hun­dert­fäl­ti­ge Lied der Dros­seln ge­we­sen und der frem­de Ton ho­her Zug­vö­gel, die mit dem Win­de über den Wald zo­gen. Auch gin­gen sei­ne Ge­dan­ken im­mer wie­der zu dem Wort von der Nach­bar­schaft zu­rück, und von Zeit zu Zeit be­trach­te­te er un­auf­dring­lich den et­was vor ihm Sit­zen­den, der zwar das Ge­wehr über den Kni­en hielt, aber des­sen Auge und Ohr weit von al­ler Jagd ent­fernt zu sein schie­nen, zu den Abend­wol­ken auf­ge­ho­ben, die schmal, lang und rot­ge­säumt in den nörd­li­chen Ho­ri­zont fuh­ren, ein schwei­gen­des Ge­schwa­der, das den Schau­platz ver­ließ.

      Als dann end­lich die Dros­seln ver­stumm­ten, eine nach der an­de­ren, und zu­letzt nur noch aus dem schwarz ge­wor­de­nen Hoch­wald auf der an­de­ren Sei­te ab und zu ein Flö­ten­ton in das Schwei­gen fiel, mein­te Tho­mas, sei­ner Ju­gend­jah­re sich er­in­nernd, dass es nun Zeit sei, alle Sin­ne auf die Jagd zu rich­ten und auf den Ruf der Sch­nep­fe zu war­ten, der bei al­ler Sanft­heit so er­re­gend in das Herz des Jä­gers fällt.

      Aber ge­ra­de da, als er lei­se auf­ste­hen woll­te, be­gann der Förs­ter zu spre­chen, und es war aus dem Klang sei­ner Stim­me un­schwer zu er­ra­ten, dass sei­ne Ge­dan­ken die gan­ze Zeit nicht bei der Jagd ge­we­sen wa­ren.

      Beim Ska­ger­rak

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