Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert Klassiker bei Null Papier

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über die jun­ge Saat, und in der Fer­ne hör­te man eine Sen­se den­geln. »Du wirst dich er­in­nern, Tho­mas«, hat­te der Va­ter ge­sagt. »Es wird eine Zeit kom­men, wo euer Le­ben nicht euch oder den Frau­en ge­hö­ren wird, kei­nem von euch …«

      Nun er­in­ner­te er sich. Es war nicht gut, dass der Va­ter so früh ge­stor­ben war.

      Er hol­te sich ein Kis­sen und eine De­cke aus dem Gast­zim­mer. Be­vor er das Licht lösch­te, trat er noch ein­mal an den Glo­bus. Er leg­te einen Fin­ger auf die Gip­fel des Hi­ma­la­ja und schob sie mit lei­sem Schwung zur Sei­te. Die große Ku­gel be­gann sich lei­se sur­rend in ih­rem La­ger zu dre­hen, und Ge­bir­ge, Ebe­nen und Mee­re glit­ten mit ei­nem flüs­tern­den Ton an sei­nen Au­gen vor­über. Tauch­ten wie­der auf und ver­san­ken wie­der, Farb­fle­cke und ein Netz von Li­ni­en, Licht, Däm­me­rung und Schat­ten, und er stand vor­ge­beugt, lei­se ver­wun­dert, als ste­he er auf ei­nem frem­den Stern und sehe zu, wie die alte Hei­mat vor­über­schwe­be, ganz weit, durch den ei­si­gen Wel­ten­raum, und al­les Schick­sal auf ihr sei so fremd wie ein Mär­chen aus längst ver­gan­ge­nen Ta­gen.

      Dann wur­de die Dre­hung lang­sa­mer und erstarb. Der hei­mi­sche Erd­teil brei­te­te sich vor sei­nen Bli­cken aus, und sei­nem Ab­bild wa­ren Brand und Ver­wüs­tung der letz­ten Jah­re nicht an­zu­se­hen. Ru­hig la­gen die Fest­län­der und Mee­re, die Strö­me spann­ten sich blau und dünn über die ge­krümm­te Flä­che, und das Bild der Stadt, in der er leb­te, lag als ein klei­ner dunk­ler Kreis zwi­schen Was­ser und Wald.

      Nach Os­ten aber zo­gen die großen, lee­ren Ebe­nen, im­mer lee­rer, je wei­ter sei­ne Blick ih­nen folg­ten, bis zur ver­stüm­mel­ten Gren­ze des Rei­ches, und dort, im wie­der ge­häuf­ten Blau und Grün der Seen und Wäl­der, ruh­te das Auge noch ein­mal aus, ehe das End­lo­se hin­ter der Krüm­mung der Ku­gel ver­schwand.

      1 Wohn- und Schlaf­raum auf Schif­fen <<<

      2 vor­ders­ter Teil ei­nes Schif­fes <<<

      Tho­mas war eine Nacht und einen hal­b­en Tag ge­fah­ren, als er an der klei­nen Hal­te­stel­le aus­stieg. Er hol­te sein Fahr­rad aus dem Ge­päck­wa­gen, sah hin­ter dem Bahn­hofs­ge­bäu­de ein­mal in sei­ne Kar­te, mach­te den Ruck­sack fest und fuhr die bir­ken­ge­säum­te Stra­ße hin­un­ter, den Wäl­dern zu, die blau und groß im Sü­den die Welt ver­schlos­sen. Ob­wohl das Land nicht un­ähn­lich sei­ner mär­ki­schen Hei­mat war, schi­en es ihm doch, als sei er in der Nacht über frem­de und rie­si­ge Strö­me ge­fah­ren und als sei dies hier kei­ner Erde zu ver­glei­chen, die er wäh­rend sei­nes Le­bens be­tre­ten hat­te.

      In­des er fast ge­räusch­los da­hing­litt, von ei­nem sanf­ten seit­li­chen Win­de je nach der Bie­gung der Stra­ße ge­hin­dert oder ge­trie­ben, ver­such­te er zu er­grün­den, wes­halb sein Atem leicht zu ge­hen schi­en in die­ser Land­schaft, ob­wohl sie doch im ers­ten An­schau­en streng, weit und nicht ohne Düs­ter­keit sich ihm dar­bot. Er be­merk­te, dass die Luft rau­er ging, dass Wachs­tum und Feld­be­stel­lung ge­gen sei­ne Hei­mat weit zu­rück­ge­blie­ben wa­ren, dass Häu­ser und Dör­fer ärm­li­cher, fast lieb­lo­ser in den um­ge­ben­den Raum ge­bet­tet wa­ren. Doch schie­nen wie­der­um Stra­ßen und Pfa­de men­schen­lee­rer, al­les Gerät ein­fa­cher und ver­brauch­ter, ja auch alle An­sprü­che be­schei­de­ner, als ob die Erde noch un­be­ding­ter hier herr­sche, den For­de­run­gen des Men­schen noch wi­der­wil­li­ger ver­schlos­sen als in an­de­ren Be­zir­ken des Rei­ches, und als ob der Mensch hier mehr auf ei­ge­ner Kraft und im eig­nen In­ne­ren be­ru­hen müs­se, ohne die ge­dan­ken­lo­se Un­ter­stüt­zung der Mas­se, die ihm wo­an­ders, zu­mal in den Städ­ten, so leicht und so ver­häng­nis­voll zu­fal­le.

      Doch schi­en ihm vor al­lem der Him­mel über alle Ma­ßen groß und ge­wal­tig. Ge­schwa­der von Wol­ken zo­gen ru­he­voll an sei­ner Wöl­bung ent­lang, aber selbst sie mü­he­los ge­ord­net in dem un­er­mess­li­chen Raum, und ihre schwe­ren Schat­ten stie­ßen sich nir­gends auf den noch bräun­li­chen Fel­dern. Auf den Hü­geln der Äcker stan­den ein­zel­ne Bäu­me, das Ast­werk ohne Hin­der­nis aus­ge­brei­tet oder von im­mer we­hen­den Win­den nach ei­ner Sei­te ge­beugt, und da sie fast alle ohne Hin­ter­grund vor dem lee­ren Him­mels­raum stan­den, so tru­gen die Fel­der in al­ler Karg­heit ein Ge­sicht des Stol­zes, als lä­gen sie noch da wie zu Be­ginn der Schöp­fung und nie­mals sei an­de­res als Wind oder Re­gen oder eine küh­le Son­ne über sie hin­ge­gan­gen.

      Auch der Schrei der Vö­gel dünk­te ihn hel­ler und wil­der zu sein, und nir­gends glaub­te er so vie­le Raub­vö­gel ge­se­hen zu ha­ben, die spä­hend über den Fel­dern hin­gen oder in Krei­sen sich un­ter die Son­ne scho­ben. Doch ver­knüpf­te ihr Bild sich ihm im­mer mehr mit der Er­schei­nung der großen Wäl­der, de­nen er zu­fuhr und die ihm als die ei­gent­li­che Hei­mat al­les des­sen er­schie­nen, was sich hier spie­lend oder beu­te­su­chend un­ter dem Him­mel be­weg­te.

      Kam er so auch nicht zu der ge­wünsch­ten Klar­heit sei­ner Ge­dan­ken und blieb die Ur­sa­che sei­nes Ge­fühls der Frei­heit ihm im Letz­ten noch ver­bor­gen, so nahm er doch mit Be­glückt­heit war, dass sein gan­zes We­sen vor­wärts ge­wen­det war. be­strebt, Kom­men­des und Neu­es in sich auf­zu­neh­men, und dass die grü­beln­den Ge­dan­ken der letz­ten Tage, ja noch der Nacht­fahrt wie ein Ne­bel hin­ter ihm ver­flo­gen wa­ren.

      In­des­sen wuchs das Ge­sicht der Wäl­der im­mer nä­her und deut­li­cher in ihm auf, und es war ihm, als sei dort ei­gent­lich erst das ver­bor­gen, was den Sinn der Land­schaft aus­ma­che und dazu auch das, was zu su­chen er aus­ge­zo­gen sei.

      Von fer­ne schon war zu er­ken­nen, dass der schwei­gen­de Ernst die­ses Rau­mes dort nicht von ei­ner Hei­ter­keit der Form ab­ge­löst wer­den wür­de, ja dass viel­mehr mit dem Zu­rück­blei­ben von Dorf, Feld und Ge­hölz sich al­les in eine ein­zi­ge, ge­sam­mel­te Er­schei­nung zu­rück­zie­hen wür­de, an Grö­ße nur dem Mee­re oder dem Hoch­ge­bir­ge zu ver­glei­chen, und nicht nur an Grö­ße, son­dern eben auch an Schwe­re und auf­ru­fen­der Ein­sam­keit.

      Schon jetzt sah er die Gerad­heit grau­er, sehr ho­her Stäm­me, ohne Un­ter­bre­chung ne­ben­ein­an­der­ge­stellt, ohne Zier­lich­keit ver­bin­den­der Li­ni­en, und dar­über den lei­se ge­well­ten Saum der Wip­fel, ab­ge­run­det wie die Form des Gra­nits im Ur­ge­bir­ge. Zwar er­blick­te er, je nä­her er kam, ver­mit­teln­de Ein­zel­hei­ten, Fich­ten­scho­nun­gen etwa, die ei­nem in die Tie­fe ge­sun­ke­nen Wald­stück von fer­ne gli­chen, einen Weiß­bu­chen­hain oder einen Hang mit jun­gen Bir­ken, zwi­schen de­nen der Wa­chol­der dun­kel stand, aber gleich schloss die graue Wand sich wie­der zu und tat sich nur aus­ein­an­der, um die Stra­ße hin­ein­zu­las­sen, auf­zu­neh­men und gleich­sam so­fort zu be­gra­ben.

      Hier war es na­tür­lich, dass Tho­mas ab­stieg und von der ho­hen Bö­schung den Blick noch ein­mal zu­rück­wen­de­te. Er saß auf ei­nem Baum­stumpf, um den schon

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