Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert Klassiker bei Null Papier

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dem einen spre­che, das uns heu­te not tut, von der Ar­beit. Auch in der Kir­che, ge­ra­de in der Kir­che. Vier Jah­re ha­ben wir sei­nen Na­men miss­braucht, nun wol­len wir ihn vier Jah­re ver­schwei­gen. Wir ha­ben ge­tö­tet, und nun wol­len wir ar­bei­ten, schwer und keu­chend und schweiß­be­deckt, nichts als ar­bei­ten. Und dann wol­len wir se­hen, ob wir wie­der wür­dig sind, sei­nen ge­lieb­ten Na­men aus­zu­spre­chen.«

      »Und wie ar­bei­ten, Herr Pfar­rer? Wel­che Ar­beit? Ich selbst, ich …«

      Der Pfar­rer hob die Hand. Er stand nun mit dem Rücken ge­gen das Fens­ter, als sei er eben aus dem Dun­kel der Nacht her­aus­ge­stie­gen, ein Bau­er, den sei­ne Fel­der nicht schla­fen las­sen. »In die­ser Ge­mein­de«, sag­te er, »woh­nen Mi­nis­ter und Stra­ßen­keh­rer. Bei­de kom­men nicht in die Kir­che, aber bei­de ar­bei­ten, und bei­der Ar­beit ist mir gleich wert. Die eine kann ich se­hen, wenn ich aus dem Haus tre­te, die an­de­re kann ich nicht se­hen, ich er­ra­te sie höchs­tens oder lese in der Zei­tung da­von. Ich glau­be auch, dass der Stra­ßen­keh­rer glück­li­cher ist mit sei­ner Ar­beit als der Mi­nis­ter. Er hat sei­nen Ab­schnitt, sei­nen Be­sen und sei­ne Kar­re. Er hat sei­ne Gren­zen, über die ihm kei­ner her­ein­kommt. Das hat der an­de­re nicht. Und ein Pfer­des­ap­fel ist leich­ter zu be­sei­ti­gen als Int­ri­gen, oder po­li­ti­sche Feind­schaft, oder was sie sonst wol­len. Aber au­ßer­dem kann der Stra­ßen­keh­rer im­mer hof­fen, ein­mal Mi­nis­ter zu wer­den, wäh­rend je­ner kei­nen Stern hat, den er aus dem Him­mel her­un­ter­ho­len könn­te. Aber das ist al­les gleich, ganz gleich. Sie dür­fen nicht fra­gen: ›Wel­che Ar­beit?‹ Se­hen Sie mei­nen Tisch an! Se­hen Sie die Brie­fe! Dut­zen­de, Hun­der­te von Brie­fen, mit Blut ge­schrie­ben, ja, ich sage es aus­drück­lich: ›Mit Blut ge­schrie­ben!‹ Wis­sen Sie nicht, wie Gott uns ge­schla­gen hat? Furcht­bar und er­bar­mungs­los ge­schla­gen? Ach …« Er hob die Hän­de und rang sie über sei­nem grau­en Haar, und für einen Au­gen­blick war sein Ge­sicht ver­zwei­fel­ter als das des grau­en Bil­des an der Wand.

      Aber dann ließ er die Hän­de sin­ken und lä­chel­te wie zur Ab­bit­te. »Es ist nur manch­mal«, sag­te er, »und geht gleich vor­bei … ich sehe Ih­nen schon lan­ge zu, fast fünf Jah­re, Herr von Orla. In die­ser Ge­mein­de bleibt ja nichts ver­bor­gen. Wie Sie mit Ihrem Jun­gen ge­hen und wie Sie al­lein ge­hen, lan­ge und viel al­lein. Aber ich war im­mer ge­trost, wenn ich an Sie dach­te. Er trifft sei­nen En­gel schon, habe ich ge­dacht. Wer so viel geht, trifft ihn schon ein­mal. Ich bin nicht zu Ih­nen ge­kom­men, das sind so neu­mo­di­sche Din­ge. Wenn die Kir­chen leer sind, wan­dern die Pfar­rer in die Häu­ser, um Ein­tritts­kar­ten zu ver­schen­ken. Nein, nein. Die Bau­ern war­ten auch, bis man kommt. Aber Sie wol­len ja auch nicht das ›Wort Got­tes‹, wie es so heißt. Sie woll­ten nur eine Be­stä­ti­gung, dass es nicht recht ist mit Ihrem Le­ben. Und Sie ha­ben ge­dacht, ein Pfar­rer, wenn er um Mit­ter­nacht noch auf ist, viel­leicht weiß der es …«

      »Ich war schon an mei­nem Hau­se«, sag­te Tho­mas, »und erst als ich sah, dass die Fens­ter noch alle hell wa­ren und die Wa­gen un­ten hiel­ten, bin ich um­ge­kehrt.«

      »Ja, sie le­ben wie Bel­sa­zar und sei­ne Knech­te … im­mer war das so in sol­chen Zei­ten … man soll nicht schel­ten, man soll nur im­mer da sein, im­mer da sein …« Er leg­te den Kopf an die Leh­ne sei­nes Stuh­les und schloss die Au­gen. Jede Li­nie des Ge­sich­tes erstarb in er­schre­cken­der Mü­dig­keit.

      Tho­mas stand lei­se auf. »Ich dan­ke Ih­nen, Herr Pfar­rer«, sag­te er.

      »Dan­ken soll man erst, wenn man beim Mor­gen­licht nicht be­reut, Herr von Orla. Und auch dann ist es meis­tens über­flüs­sig. Es kommt uns näm­lich nicht zu, ver­ste­hen Sie? Sehr we­ni­gen kommt es zu, und ich bin nicht ei­ner von den we­ni­gen.«

      Er brach­te ihn noch ans Gar­ten­tor, schloss hin­ter ihm zu und sah ein­mal zu den Ster­nen auf. »Ich war heu­te bei ei­nem Mör­der«, sag­te er halb im Fort­ge­hen. »Ja, Sie dür­fen nicht er­schre­cken, das sind so mei­ne Pf­lich­ten … Mor­gen wird er hin­ge­rich­tet. Ich saß eine Stun­de bei ihm und habe ge­be­tet. Al­lein, denn er woll­te nicht be­ten. Er woll­te auch nicht spre­chen, kein Wort. Aber ich dach­te, viel­leicht tut es ihm wohl, dass nun ei­ner da sei au­ßer den furcht­ba­ren Wän­den. Aber als ich fort­ging – der Wär­ter kam mich ho­len – und ich noch ein­mal zu­rück­sah auf sei­ne ge­krümm­te Ge­stalt, da rich­te­te er sich auf und sag­te: ›Ein Se­gen, dass es drü­ben kei­ne Pfar­rer ge­ben wird!‹ Ganz freund­lich sag­te er es … was aber muss ein Stand ge­sün­digt ha­ben, Herr von Orla, dass so et­was ge­sagt wer­den kann? Ver­ste­hen Sie? Aber es ist nicht der ein­zi­ge Stand, glau­ben Sie mir. Kei­ner von uns weiß, wie er schul­dig ist an al­lem, was ge­schieht. An al­lem, hö­ren Sie? Ja, an al­lem …«

      Dann ging er zu den hel­len Fens­tern zu­rück, und Tho­mas sah, wie ge­beugt die schwe­ren Schul­tern wa­ren.

      Spä­ter müss­te Joa­chim zu ihm, dach­te er, lang­sam die Stra­ße hin­un­ter­ge­hend. Wenn ich ein­mal ar­bei­te – und es wird si­cher­lich nicht hier sein –, dann müss­te er zu ihm und ab und zu in die­sem großen Raum sit­zen und ihm zu­se­hen. Wie sein Ge­sicht lebt un­ter al­len To­ten, die um uns sind.

      Schwes­ter Bea­te stand schon in der Woh­nungs­tür, als er die Trep­pe hin­auf­kam. »Die gnä­di­ge Frau ist krank«, flüs­ter­te sie ver­stört, »ich weiß nicht, was es ist.«

      Er ging noch im Man­tel hin­ein. Mit ei­nem schnel­len Blick um­fing er den großen Raum, die Ti­sche mit Glä­sern und Aschen­scha­len, die Fal­ten in den Tep­pi­chen, die ge­knüll­ten Kis­sen in den So­fas und Ses­seln. Der ab­ge­stan­de­ne Zi­ga­ret­ten­rauch mach­te ihm nach der rei­nen Nacht­luft übel. »Öff­nen Sie alle Fens­ter, Schwes­ter«, sag­te er lei­se. Dann ging er zum Ka­min, in dem das Feu­er noch brann­te.

      Sei­ne Frau kau­er­te in ei­nem der tie­fen Stüh­le. Sie hat­te die Füße hoch­ge­zo­gen und den Kopf auf die Leh­ne zu­rück­ge­legt. Ihr Ge­sicht war weiß und er­schöpft, mit klei­nen Schweiß­trop­fen auf der ge­fal­te­ten Stir­ne. Als er die Hand aus­streck­te, um sie auf ihr Haar zu le­gen, öff­ne­te sie die Au­gen und lä­chel­te. Ihr Blick war trü­be und fast be­wusst­los, ihr Lä­cheln wie das ei­ner ent­stell­ten Mas­ke. »Tho … mas«, flüs­ter­te sie müh­sam. Sie war be­trun­ken.

      Sei­ne Hand hielt in der Be­we­gung inne, und er starr­te re­gungs­los in ihr Ge­sicht. Er fühl­te, wie sei­ne Haut kalt wur­de und sein Mund sich in ei­nem bit­te­ren Ge­schmack zu­sam­men­zog. »An al­lem«, ging es ihm durch den Sinn, »ja, an al­lem …«

      Sie tru­gen sie ins Schlaf­zim­mer, und Tho­mas schick­te die Schwes­ter nach ei­nem Gla­se auf­ge­wärm­ter Milch. Er blieb am Fu­ßen­de des Bet­tes ste­hen, bis sie zu­rück­kam. »Eine leich­te Ver­gif­tung«, sag­te er. »Nach die­sem wird es bes­ser wer­den, ver­ste­hen Sie? Wenn es schlech­ter wird, ru­fen Sie mich!« Er sah ihr be­feh­lend in die Au­gen, bis sie ver­stan­den hat­te.

      »Ich ma­che es nun schon al­lein, Herr Ka­pi­tän«, sag­te sie.

      In sei­nem Zim­mer setz­te er sich auf das schma­le Ru­he­so­fa und stütz­te den Kopf in die Hän­de. Er wuss­te, dass es ohne Hoff­nung war.

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