Die Leute von Seldwyla - 1. Teil. Gottfried Keller

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Die Leute von Seldwyla - 1. Teil - Gottfried Keller

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solcher hielt ich mit etwa hundertundfünfzig Mann zwei Jahre lang einen kleinen Grenzbezirk besetzt welcher zur Abrundung unseres Gebietes erobert worden, und war während diefer Zeit der oberste Machthaber in dieser heidnischen Wildnis. Ich war nun so einsam, als ich je in meinem Leben gewesen misstrauisch gegen alle Welt und ziemlich streng in meinem Dienstverkehr, ohne gerade böse oder ungerecht zu sein. Meine Haupttätigkeit bestand darin, christliche Polizei einzuführen und unsern Religionsleuten nachdrücklichen Schutz zu gewähren, damit sie ungefährdet arbeiten konnten. Hauptsächlich aber hatte ich das Verbrennen indischer Weiber zu verhüten, wenn ihre Männer gestorben, und da die Leute eine förmliche Sucht hatten, unser englisches Verbot zu übertreten und einander bei lebendigem Leibe zu braten zu Ehren der Gattentreue, so mussten wir stets auf den Beinen sein, um dergleichen zu hintertreiben. Sie waren dann ebenso mürrisch und missvergnügt, wie wenn hierzulande die Polizei ein unerlaubtes Vergnügen stört. Einmal hatten sie in einem entfernten Dorfe die Sache ganz schlau und heimlich so weit gebracht, dass der Scheiterhaufen schon lichterloh brannte, als ich atemlos herzugeritten kam und das Völkchen auseinanderjagte. Auf dem Feuer lag die Leiche eines uralten, gänzlich vertrockneten Gockelhahns, welcher schon ein wenig brenzelte. Neben ihm aber lag ein bildschönes Weibchen von kaum sechzehn Jahren, welches mit lächelndem Munde und silberner Stimme seine Gebete sang. Glücklicherweise hatte das Geschöpfchen noch nicht Feuer gefangen, und ich fand gerade noch Zeit, vom Pferde zu springen und sie bei den zierlichen Füsschen zu packen und vom Holzstoss zu ziehen. Sie gebärdete sich aber wie besessen und wollte durchaus verbrannt sein mit ihrem alten Stänker, so dass ich die grösste Mühe hatte, sie zu bändigen und zu beschwichtigen. Freilich gewannen diese armen Witwen nicht viel durch solche Rettung: denn sie fielen hernach unter den Ihrigen der äussersten Schande und Verlassenheit anheim, ohne dass das Gouvernement etwas dafür tat, ihnen das gerettete Leben auch leicht zu machen. Diese Kleine gelang es mir indessen zu versorgen, indem ich ihr eine Aussteuer verschaffte und an einen getauften Hindu verheiratete, der bei uns diente, dem sie auch getreulich anhing.

      „Allein diese wunderlichen Vorfälle beschäftigten meine Gedanken und erweckten allmählich in mir den Wunsch nach dem Genusse solcher unbedingten Treue, und da ich für diese Laune kein Weib zu meiner Verfügung hatte, verfiel ich einer ganz weichlichen Sehnsucht, selber so treu zu sein, und damit zugleich einer heissen Sehnsucht nach Lydia. Da ich nun Rang und gute Aussichten besass, schien es mir nicht unmöglich, bei einem klugen Benehmen die schöne Person, falls sie noch zu haben wäre, dennoch erlangen zu können, und in dieser tollen Idee bestärkte mich noch der Umstand, dass sie sich doch soviel aufrichtige und sorgenvolle Mühe gegeben, mir den Kopf zu verdrehen. ,Irgendeinen Wert musst du doch‘, dachte ich, ,in ihren Augen gehabt haben, sonst hätte sie gewiss nicht soviel darangesetzt.‘ Also gedacht, getan; nämlich ich geriet jetzt auf die fixe Idee, die Lydia, wenn sie mich möchte, zu heiraten, wie sie eben wäre, und ihr um ihrer schönen Persönlichkeit willen, für die es nichts Ähnliches gab, treu und ergeben zu sein ohne Schranken noch Ziel, auch ihre Verkehrtheit und schlimmen Eigenschaften als Tugenden zu betrachten und dieselben zu ertragen, als ob sie das süsseste Zuckerbrot wären. Ja, ich phantasierte mich wieder so hinein, dass mir ihre Fehler, selbst ihre teilweise Dummheit zum wünschbarsten aller irdischen Güter wurden, und in tausend erfundenen Variationen wandte ich dieselben hin und her und malte mir ein Leben aus, wo ein kluger und geschickter Mann die Verkehrtheiten und Mängel einer liebenswürdigen Frau täglich und stündlich in ebensoviel artige und erfreuliche Abenteuer zu verwandeln und ihren Dummheiten mittelst einer von Liebe und Treue getragenen Einbildungskraft einen goldenen Wert zu verleihen wisse, so dass sie lachend auf dieselben sich noch etwas zugut tun könne. Gott weiss, wo ich diese geschäftige Einbildungskraft hernahm, wahrscheinlich immer noch aus dem unglücklichen Shakespeare, dent mir die Hexe gegeben und womit sie mich doppelt vergiftet hatte. Es nimmt mich nur wunder, ob sie auch selbst je mit Andacht darin gelesen hat!

      „Kurz, als ich hinlänglich wieder berauscht war von meinen Träumen und von meinen entlegenen Posten zugleich abgelöst wurde, nahm ich Urlaub und begab mich Hals über Kopf zu dem Gouverneur. Er lebte noch in den alten Verhältnissen und empfing mich ganz gut, und auch die Tochter war noch bei ihm und empfing mich freundlicher, als ich erwartet. Kaum hatte ich sie wiedergesehen und einige Worte sprechen gehört, so war ich wieder ganz in sie vernarrt und in meiner fixen Idee vollends bestärkt, und es schien mir unmöglich, ohne die Verwirklichung derselben je froh zu werden.

      „Allein sie betrieb nun das Geschäft in krankhafter Überreizung ganz offen und grossartig und frönte ihrer unglücklichen Selbstsucht ohne allen Rückhalt. Sie war jetzt umgeben von einer Schar ziemlich roher und eitler Offiziere, die ihr auf ganz ordinäre Weise den Hof machten und sagten, was sie gern hören mochte, kam es auch heraus, wie es wollte. Es war eine vollständige Hetzjagd von Trivialitäten und hohlem Wesen, und die derbsten Zudringlichkeiten wurden am liebsten angenommen, menn sie nur aus gänzlicher Ergebenheit herzurühren schienen und die Unglückliche in ihrem Glauben an sich selbst aufrechterhielten. Ausserdem hatte sie zur Zeit einem armen Tambour mit einem einzigen Blick den Kopf verdreht, der nun ganz aufgeblasen umherging und sich ihr überall in den Weg stellte; und einen Schuster, der für sie arbeitete, hatte sie dermassen betört, dass er jedesmal, wenn er ihr Schuhe brachte, auf dem Hausflur ein Bürstchen mit einem Spiegelchen hervorzog und sich sorgfältig den Kopf putzte wie eine Katze, da er zuverlässig erwartete, es würde diesmal etwas vorgehen. Wenn man ihn kommen sah, so begab sich die ganze Gesellschaft auf eine verdeckte Galerie, um dem armen Teufel in seinem feierlichen Werke zuzusehen. Das sonderbarste war, dass niemand an diesem Wesen ein Ärgernis nahm, man also nichts besseres von Lydia zu erwarten schien und ihre Aufführung ihrer würdig hielt und also ich der einzige war, der so grosse Meinungen von ihr im Herzen trug, so dass alle diese Hausnarren, die ich verachtete, die sie aber nahmen, wie sie war, klüger zu sein schienen als ich in meiner tiefsinnigen Leidenschaft. ,Aber nein!‘ rief ich, ,sie ist doch so, wie ich sie denke, und eben weil das alles Strohköpfe sind, sind sie so frech gegen sie und wissen nicht, was an ihr ist oder sein könnte!‘ Und ich zitterte darnach, ihr noch einmal den Spiegel vorzuhalten, aus dem ihr besseres Bild zurückstrahlte und alles Wertlose um sie her wegblendete. Allein der äussere Anstand und die Haltung, welche ich auch bei aller Anstrengung nicht aufgeben konnte, machten es mir unmöglich, mich unter diese Affenschwänze zu mischen und nur den kleinsten Schritt gegen Lydia zu tun. Ich ward abermals konfus, ungeduldig, nahm plötzlich meinen Abschied aus der indischen Armee und machte mich davon, um heimzukehren und die Unselige zu vergessen.

      „So gelangte ich nach Paris und hielt mich daselbst einige Wochen auf. Da ich eine grosse Menge schöner und kluger Weiber sah, dachte ich, es wäre das beste Mittel, meine unglückliche Geschichte loszuwerden, in recht viel hübsche Frauengesichter zu blicken, und ging daher von Theater zu Theater und an alle Orte, wo dergleichen beisammen waren, liess mich auch in verschiedene gute Häuser und Gesellschaften einführen. Ich sah in der Tat viele tüchtige Gestalten von edlem Schwung und Zuschnitt und in deren Augen nicht unebene Gedanken lagen: aber alles, was ich sah, führte mich nur auf Lydia zurück und diente zu deren Gunsten. Sie war nicht zu vergessen, und ich war und blieb aufs neue elend verliebt in sie. Ich hatte das allerunheimlichste, sonderbarste Gefühl, wenn ich an sie dachte Es war mir zumute, als ob notwendigerweise ein weibliches Wesen in der Welt sein müsste, welches genau das Äussere und die Manieren dieser Lydia, kurz, deren bessere Hälfte besässe, dazu aber auch die entsprechende andere Hälfte, und dass ich nur dann würde zur Ruhe kommen, wenn ich diese ganze Lydia fände; oder es war mir, als ob ich verpflichtet wäre, die rechte Seele zu diesem schönen halben Gespenste zu suchen; mit einem Worte, ich wurde abermals krank vor Sehnsucht nach ihr, und da es doch nicht anging zurückzukehren, suchte ich neue Sonnenglut, Gefahr und Tätigkeit und nahm Dienste in der französischafrikanischen Armee. Ich begab mich sogleich nach Algier und befand mich bald am äussersten Saume der afrikanischen Provinz, wo ich im Sonnenbrand und auf dem glühenden Sande mich herumtummelte und mit den Kabylen herumschlug.“

      Da in diesem Augenblick das schlafende Estherchen, das immer einen Unfug machen musste, träumte, es falle eine Treppe hinunter, und demgemäss auf seinem Stuhle ein plötzliches Geräusch erregte, blickte der erzählende Pankrazius endlich auf und bemerkte, dass seine Zuhörerinnen schliefen. Zugleich entdeckte er erst jetzt, dass er denselben eigentlich

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