Die Leute von Seldwyla - 1. Teil. Gottfried Keller

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Die Leute von Seldwyla - 1. Teil - Gottfried Keller

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hingegen eben die Welt des Ganzen und Gelungenen in seiner Art, d. h. wie es sein soll, beherrscht und dadurch gute Köpfe in die Irre führt, wenn sie in der Welt dies wesentliche Leben zu sehen und wiederzufinden glauben. Ach, es ist schon in der Welt, aber nur niemals da, wo wir eben sind, oder dann, wann wir leben. Es gibt noch verwegene schlimme Weiber genug, aber ohne den schönen Nachtwandel der Lady Macbeth und das bange Reiben der kleinen Hand. Die Giftmischerinnen, die wir treffen, sind nur frech und reulos und schreiben gar noch ihre Geschichte oder legen einen Kramladen an, wenn sie ihre Strafe überstanden. Es gibt noch Leute genug die wähnen, Hamlet zu sein, und sie rühmen sich dessen, ohne eine Ahnung zu haben von den grossen Herzensgründen eines wahren Hamlet. Hier ist ein Blutmensch ohne Macbeths dämonische und doch wieder so menschliche Mannhaftigkeit und dort ein Richard der Dritte ohne dessen Witz und Beredsamkeit. Hier ist eine Porzia, die nicht schön, dort eine, die nicht geistreich, dort wieder eine, die geistreich, aber nicht klug ist und wohl versteht, Leute unglücklich zu machen, nicht aber sich selbst zit beglücken. Unsere Shylocks möchten uns wohl das Fleisch ausschneiden, aber sie werden nun und nimmer eine Barauslage zu diesem Behuf wagen, und unsere Kaufleute von Venedig geraten nicht wegen eines lustigen Habenichts von Freund in Gefahr, sondern wegen einfältigen Aktienschwindels und halten dann nicht in mindesten so schöne melancholische Reden sondern machen ein ganz dummes Gesicht dazu. Doch eigentlich sind, wie gesagt, alle solche Leute wohl in der Welt, aber nicht so hübsch beisammen wie in jenen Gedichten; nie trifft ein ganzer Schurke auf einen ganzen, wehrbaren Mann, nie ein vollständiger Narr auf einen unbedingt klugen Fröhlichen, so dass es zu keinem rechten Trauersviel und zu keiner guten Komödie kommen kann.

      „Ich aber las nun die ganze Nacht in diesem Buche und verfing mich ganz in demselben, da es mir gar so gründlich und sachgemäss geschrieben schien und mir ausserdem eine solche Arbeit ebenso neu als verdienstlich vorkam. Weil nun alles übrige so trefflich, wahr und ganz erschien und ich es für die eigentliche und richtige Welt hielt, so verliess ich mich insbesondere auch bei den Weibern, die es vorbrachte, ganz auf ihn, verlockt und geleitet von dem schönen Sterne. Lydia, und ich glaubte, hier ginge mir ein Licht auf und sei die Lösung meiner zweifelvollen Verwirrung und Qual zu finden.

      „Gut!‘ dachte ich, wenn ich diese schönen Bilder der Desdemona, der Helena, der Imogen und anderer sah, die alle aus der hohen Selbstherrlichkeit ihres Frauentums heraus so seltsamen Käuzen nachgingen und anhingen, rückhaltlos wie unschuldige Kinder, edel, stark und treu wie Helden, unwandelbar und treu wie die Sterne des Himmels: ,gut! hier haben wir unsern Fall! Denn nichts anderes als ein solches festes, schöngebautes und gradausfahrendes Frauenfahrzeug ist diese Lydia, die ihren Anker nur einmal und dann in eine unergründliche Tiefe auswirft und wohl weiss, was sie will.‘ Diese Meinung ging gleich einer strahlenden, heissen Sonne in mir auf, und in deren Licht sah ich nun jede Bewegung und jede kleinste Handlung, jedes Wort des schönen Geschöpfes, und es dauerte nicht lange, so überbot sie in meinen Augen alles, was der gute Dichter mit seiner mächtigen Einbildungskraft erfunden, da dies lebendige Gedicht im Lichte der Sonne umherging in Fleisch und Blut, mit wirklichen Herzschlägen und einem tatsächlichen Nacken voll goldener Locken.

      „Das unheimliche Rätsel war nun gelöst, und ich hatte nichts weiter zu kun, als mich in diese mit dem Shakespeare in die Wette zusammengedichtete Seligkeit zu finden und mit Mühe meine geringfügige und unliebliche Person für eine solche Laune des Schicksals oder des königlich grossmütigen Frauengemütes einigermassen leidlich zurechtzustutzen mittelst hundertfacher Pläne und Aussichten, welche sich an das grosse schöne Lustschloss anbaueten. Die unendliche Dankbarkeit und Verehrung, welche ich solchergestalt gegen die Geliebte empfand, hatte allerdings zum guten Teil ihren Grund in meiner sich geschmeichelt fühlenden Eigenliebe; aber gewiss auch zum noch grösseren Teile darin, dass diese Erklärungsweise die einzige war, welche mir möglich schien, ohne dies teuerste Wesen verachten und bemitleiden zu müssen; denn eine hohe Achtung, die ich für sie empfand, war mir zum Lebensbedürfnis geworden, und mein Herz zitterte vor ihr, das noch vor keinem Menschen und vor keinem wilden Tiere gezittert hatte.

      ,,So ging ich wohl ein halbes Jahr lang herum wie ein Nachtwandler, von Träumen so voll hängend wie ein Baum voll Äpfel, alles, ohne mit Lydia um einen Schritt weiterzukommen. Ich fürchtete mich vor dem kleinsten möglichen Ereignis, etwa wie ein guter Christ vor dem Tode, den er zagend scheut, obgleich er durch selbigen in die ewige Seligkeit einzugehen gewiss ist. Desto bunter ging es in meinem Gehirn zu, und die Ereignisse und aufregendsten Geschichten, alles aufs schönste und unzweifelhafteste sich begebend, drängten und blühten da durcheinander. Ich versäumte meine Geschäfte und war zu nichts zu brauchen. Das ärgste war mir, wenn ich stundenlang mit dem Alten Schach spielen musste, wo ich dann gezwungen war, meine Aufmerksamkeit an das Spiel zu fesseln, und die einzige Musse für meine schweren Liebesgedanken gewährte mir die kurze Zeit, wenn ein Spiel zu Ende war und die Figuren wieder aufgestellt wurden. Ich liess mich daher so bald als immer möglich, ohne dass es zu sehr auffiel, matt machen und hielt mich so lange mit dem Aufstellen des Königs und der Königin, der Läufer, Springer und Bauern auf und rückte so lange an den Türmen hin und her, dass der Gouverneur glaubte, ich sei kindisch geworden und tändle mit den Figürchen zu meinem Vergnügen.

      „Endlich aber drohete meine ganze Existenz sich in müssige Traumseligkeit aufzulösen, und ich lief Gefahr, ein Tollhäusler zu werden. Zudem war ich trotz aller dieser goldenen Luftschlösser unsäglich kleinmütig und traurig, da, ehe das letzte Wort gesprochen ist, die solchen wuchernden Träumen gegenüber immer zurückstehende Wirklichkeit niederdrückt und die leibhafte Gegenwart etwas Abkühlendes und Abwehrendes behält. Es ist das gewissermassen die schützende Dornenrüstung, womit sich die schöne Rose des körperlichen Lebens umgibt. Je freundlicher und zutulicher Lydia wurde, desto ungewisser und zweifelhafter wurde ich, weil ich an mir selbst entnahm, wie schwer es einem möglich wird, eine wirkliche Liebe zu zeigen, ohne sie ganz bei ihrem Namen zu nennen. Nur wenn sie streng, traurig und leidend schien, schöpfte ich wieder einen halben Grund zu einer vernünftigen Hoffnung; aber dies quälte mich alsdann noch viel tiefer, und ich hielt mich nicht wert, dass sie nur eine schlimme Minute un meinetwillen erleiden sollte, der ich gern den Kopf unter ihre Füsse gelegt hätte. Dann ärgerte ich mich wieder, dass sie, um guter Dinge zu sein, verlangte, ich sollte etwa aussehen wie ein verliebter närrischer Schneider, da ich doch kein solcher war und ich auf meine Weise schon gedachte, beweglich zu werden zu ihrem Wohlgefallen. Kurz, ich ging einer gänzlichen Verwirrung entgegen, war nicht mehr imstande, ein einziges Geschäft ordnungsgemäss zu verrichten, und lief Gefahr, als Soldat rückwärts zu kommen oder gar verabschiedet zu werden, wenn ich nicht als ein abhängiger dienstbarer Lückenbüsser, der zu weiter nichts zu brauchen, mich an das Haus des Gouverneurs hängen wollte.

      „Als daher die Engländer in bedenkliche Feindseligkeiten mit indischen Völkern gerieten und ein Feldzug eröffnet wurde, der nachher ziemlich blutig für sie ausfiel, entschloss ich mich kurz und trat wieder in meine Kompanie als guter Kombattant, vom Gouverneur meinen Abschied nehmend. Derselbe wollte zwar nichts davon wissen, sondern polterte, bat und schmeichelte mir, dass ich bleiben möchte, wie alle solche Leute, die glauben, alles stehe mit seinem Leib und Leben, mit seinem Wohl und Wehe nur zu ihrer Verfügung da, um ihnen die Zeit zu vertreiben und zur Bequemlichkeit zu dienen. Lydia hingegen liess sich während der drei oder vier Tage, während welcher von meinem Abzug die Rede war, kaum sehen. Geschah es aber, so sah sie mich nicht an oder warf einen kurzen Blick voll Zornes auf mich, wie es schien; aber nur das Auge schien zornig, ihr Gang und ihre übrigen Bewegungen waren dabei so still, edel und an sich haltend, dass dieser schöne Zorn mir das Herz zerriss. Auch hörte ich, dass sie des Morgens sehr spät zum Vorschein käme und dass man sich darüber den Kopf zerbräche; denn es deutete darauf, dass sie des Nachts nicht schlafe, und als ich sie am letzten Tage zufällig hinter ihrem Fenster sah, glaubte ich zu bemerken, dass sie ganz verweinte Augen hatte; auch zog sie sich schnell zurück, als ich vorüberging. Nichtsbestominder schritt ich meinen steifen Feldwebelsgang ruhig fort und verrichtete alles, weder rechts noch links sehend. So ging ich auch gegen Abend mit einem Burschen noch einmal durch die Pflanzungen, um ihm die Obhut derselben einigermassen zu zeigen und ihn, so gut es ging, zu einem provisorischen Gärtner zuzustutzen, bis sich ein tauglicheres Subjekt zeigen würde. Wir standen eben in einem schlanken Rosenwäldchen, das ich gezogen hatte;

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