Die verschwundene Melodie. Arno Alexander
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die verschwundene Melodie - Arno Alexander страница 13
„Eben deshalb“, antwortete Leroy und lächelte kaum merklich. „So lebhaft wie wir beide können sich nur Mensehen unterhalten, die sich sehr wenig oder — hm — außerordentlich gut kennen.“
„Vielleicht haben Sie recht“, sagte Doris nachdenklich.
Es entstand eine Pause.
„Sie haben doch eine Schwester?“ erkundigte er sich, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen. Er ahnte nicht, daß er mit dieser Frage gerade das Gegenteil erreichen würde.
„Ja“, antwortete sie zerstreut und einsilbig. Seine verwunderten Blicke veranlaßten sie schließlich zu einer Erklärung: „Evelyn mußte zu Hause bleiben. Sie ist erst vor drei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden.“
Leroy wollte wissen, was Evelyn fehle, aber Doris antwortete ausweichend. Sie wußte, daß der Name Evelyns in den Zeitungen nicht erwähnt worden war, und wollte aus einem angeborenen Mißtrauen heraus keinem Menschen in ihre und ihrer Schwester Angelegenheiten Einblick gewähren. Es war dasselbe unbestimmte Etwas in ihrem Innern, das sie verhindert hatte, Hearn von ihren Beobachtungen auf dem Bahnhof Mitteilung zu machen, obwohl sie wissen mußte, daß der Kapitän viel darum gegeben hätte, die Adresse des Blondbärtigen zu erfahren. Sie würde bestimmt ganz anders gehandelt haben, wenn sie die Folgen ihres Mißtrauens hätte voraussehen können.
Leroy wechselte das Thema. Als er merkte, daß die meisten der Anwesenden ihr unbekannt waren, begann er in leicht ironischem Ton die einzelnen Personen kurz zu charakterisieren.
„Das dort ist der lärmende, immer aufgeregte Onkel Wubbels. Eben ist er ruhig, weil seine Frau dabei ist. Dort, der hagere, lange Mann — er dürfte fast so groß wie ich sein — ist der Onkel Snyder. Wubbels ist Direktor einer Aktiengesellschaft und hat nie Geld, Snyder ist gar nichts, hat aber immer Geld; wo er es hernimmt, weiß nur des Teufels Großmutter, und selbst die nicht genau. Da, am Ende der Tafel, jener Mann mit dem dicken Schnauzbart, den buschigen Augenbrauen und dem altertümlichen Vatermörder ist Ihr und mein Vetter Charles de Wood. Er ...“
Leroy wurde unterbrochen, da Manhattan jetzt die Tafel aufhob. In zwanglosen Gruppen zerstreuten sich die Gäste in den vielerlei Räumen der reich und vornehm eingerichteten Villa. Es gab nur ein Thema, über das gesprochen wurde: Was mochte der Grund dieser Einladung sein? Jahrelang hatte Manhattan von seiner gesamten Verwandtschaft nichts wissen wollen, — was sollte die plötzliche Änderung in seinem Verhalten bedeuten?
Man hoffte, Manhattan selbst würde in letzter Stunde dieses Rätsel lösen, aber man sah sich enttäuscht. Punkt zwölf Uhr machte der Hausherr die Runde bei sämtlichen Gästen, bat sie, noch länger zu bleiben, entschuldigte sich aber mit seiner etwas zerrütteten Gesundheit: er müsse sich jetzt zurückziehen.
Man verstand den Wink. Die Enttäuschung hinter mehr oder weniger glücklich geheuchelter Freundlichkeit verbergend, machten sich alle auf den Heimweg.
Manhattan saß hochaufgerichtet, von zahlreichen Kissen gestützt, in seinem Bett und las Zeitungen. Wie üblich trank er noch seinen heißen Schlummerpunsch und rauchte mit zufriedenem Schmunzeln eine leichte Zigarre. Als nach etwa zwanzig Minuten Lux eintrat und sich durch ein leichtes Hüsteln bemerkbar machte, winkte er ihn freundlich heran.
„Sind sie alle weg, Lux?“ erkundigte er sich, mit einem leisen Gähnen.
„Jawohl, Mr. Manhattan, alle“, antwortete der Diener in seiner gemessenen Weise.
„Hm ... Es ist heute sehr viel Schönes und Liebes von mir gesprochen worden. Nicht wahr, Lux?“
„Ganz richtig, Mr. Manhattan. Sie waren alle begeistert von Ihnen.“
Der Hausherr lehnte sich behaglich in seine Kissen zurück und blinzelte vergnügt in den Rauch der Zigarre.
„Es ist schön, wenn man sieht, wie anhänglich und liebevoll solche Verwandte sind.“
„Es ist sehr schön“, meinte Lux und fügte, entgegen seiner Gewohnheit etwas geschwätzig werdend, hinzu: „Das Bewußtsein, so geachtet und geschätzt zu werden, muß ein erhabenes Gefühl sein.“
Manhattan lächelte sanft.
„Ich werde mir alle Aussprüche, die heute über meine Person fielen, in ein Buch mit Goldschnitt und Ledereinband schreiben. Es wird ein feines, erfreuliches Werk werden, Lux.“
„Ein sehr erbauliches Werk, Mr. Manhattan“, nickte der Diener.
„Ich hatte Ihnen den Auftrag gegeben, genau aufzupassen und sich möglichst viele Aussprüche zu merken. Haben Sie das getan?“
„Selbstverständlich, Mr. Manhattan. Ich habe mir verschiedenes aufgeschrieben.“ Er holte aus seiner Tasche ein kleines Merkbuch und blätterte darin herum.
„Lesen Sie mal vor!“ rief Manhattan erfreut. „Ich bin sehr gespannt.“
Lux räusperte sich kurz.
„Erstens, Ihr Neffe Frank Leroy zu Ihrer Nichte Doris: ‚Er ist ein Gemütsmensch. Man muß ihn zu nehmen verstehen, dann wird man von seinen Schrullen wenig spüren.‘ Zweitens, Doris als Antwort: ‚Jeder Mensch hat seine Eigenheiten, und es ist ganz begreiflich, wenn ein reicher Mann vor lauter Mißtrauen schrullenhaft wird.‘“
„Sehr hübsch. Schrullenhaft ... Dieser Ausdruck war noch nicht in meiner Sammlung. Weiter!“
„Drittens, Mrs. Isatschik zu ihrem Sohn Wilbur: ‚... ein bornierter Mensch, aber sein Geld ist gut. Alt und gebrechlich wie er ist, kann er jeden Augenblick sterben. Er sieht ganz so aus wie ein Gehirnschlagkandidat.‘“
Manhattan hüstelte.
„Gehirnschlagkandidat ist gut! Hm ... Es wird eine reiche Sammlung werden, Lux.“
„Eine sehr reiche, Mr. Manhattan“, pflichtete der Diener mit unerschütterlicher Ruhe bei.
„Haben Sie noch mehr Aussprüche gesammelt?“
„Ja, noch einige kurze, zum größten Teil in Brehms Tierleben verwendete.“
„Bitte!“
„Mr. Rolf Wubbels nannte Sie ein geiziges Roß, und Mr. Charles de Wood — einen glatzköpfigen Schimpansen.“
Manhattan lachte leise in sich hinein.
„Es genügt, es genügt vollkommen! Lassen Sie die Liste hier. Es sind wunderbare Ausdrücke, zum Beispiel — geiziges Roß! Haben Sie schon einmal im Leben geizige Rösser gesehen, Lux? Hm ... Übrigens vermisse ich auf der Liste einen Ausspruch, der von Ihnen selbst stammt.“
Lux schien unangenehm berührt.
„Ich bin in Ihren Diensten, Mr. Manhattan“, antwortete er ernst und gemessen. „Über meine Dienstherren erlaube ich mir nie ein Urteil.“
Der Hausherr lächelte wieder.
„Nun, ganz unter uns, was würden Sie denn sagen, wenn Sie nicht in meinen Diensten wären?“
Der