Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr

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nicht, ja selbst im Wanken vor dem Schlafe nicht mehr. Und doch hatte sie das sichere Gefühl seines Besitzes. Aber es stand ein Schatten vor dem Eingang zu ihm.

      Dieser Schatten löste sich in jenen Momenten des fiebernd-hinschwingenden Zusammenschlusses ihrer Person in ein Kraftgefühl auf, das sie noch nie in ihrem Leben gefühlt hatte.

      Es vollzog sich in ihr eine Neubildung; sie wurde Weib. Als ein Kind, mit schlafenden Instinkten, hatte sie geboren. Unter den Schmerzen der Schwangerschaft war sie gereift. Die gutplumpe Rauheit ihres Mannes hatte sie in dem Zustande höchster Traumverzückung getroffen und sie weniger verwundert, als die Geburt der Natur ihres Geschlechts überstürzt gefördert.

      Nun bildete sich in ihrem Leibe ein neuer Leib stetig zielender Stimmungen, gleicher Forderungen, fester Gesetze. Alles dieses war so ausschließlich der Ausfluß eines organischen Prozesses, daß ihr Bewußtein umsonst damit rang. Sie litt anfangs darunter wie unter einer unangenehmen Veränderung der Temperatur.

      ————

      IX.

       Inhaltsverzeichnis

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

      1

       Inhaltsverzeichnis

      Jetzt begannen in ihr die Glocken zu läuten, wonach sie sich gesehnt hatte. Aber sie hörte es nicht, denn der Mensch umfaßt nur das klar und innig, was er nicht besitzt.

       * * *

      Sie war schon längst nicht mehr leidend.

      Aber wenn du lange im Bett liegst, so ist es, als löse sich dein geheimstes Leben langsam von der Welt um dich los und fließe in dich hinein, einsam und verwaist, wie in müder Resignation. Und die Gegenstände um dich leben weiter, und jeder hinschwingende Tag gibt ihnen einen neuen Zug der Fremdheit. Endlich weißt du gar nicht mehr, wo sie stehen mit ihrem Sein.

      Dieses ist der Augenblick, in welchem du die Qual der Unverständlichkeit deines eigenen Lebens drückender empfindest als sonst.

      So war es Leonore; eine zähe, schwache Benommenheit ihres Denkvermögens lähmte sie, als wirke ein langer, verschwundener Traum wirr in ihr Wachen hinein. Schwankende Gestaltenreihen dehnten sich in sie fort bis in ihre tiefste Vergangenheit, so daß sie nicht wußte, was Wirklichkeit und Spuck sei.

      Sie begriff nicht, warum sie geheiratet habe, wie sie Mutter geworden sei. Ein unbegreiflicher Strudel hatte sie durch das Haus getrieben und endlich in das Bett geworfen. — Darum wich sie nicht von ihrem Lager, in dem zwecklosen Glauben, sie werde schon alles erfahren, irgend woher.

      Die kindliche Mitteilsamkeit hatte sie ganz eingebüßt. Sie war von einem überlegenen Mißtrauen erfüllt. Auch ihre Mutter erfuhr nichts von ihrem Zustande.

      Wenn die Alte nach Schluß des Geschäftes herüberkam und, neben ihr sitzend, plauderte, lag Leonore still da und horchte ihr scheinbar zu. Aber sie sah doch nur auf das unentwirrbare Rätsel ihres Lebens, das durch die Nähe dieses liebsten Menschen Farben annahm, in denen eine geheimnisvolle Verständnismöglichkeit lag. Dazu klang über ihre versunkene Seele der liebe Tonfall der herben, mütterlichen Stimme und vermehrte so die Täuschung einer klaren Übersicht.

      Nachdem sie einmal so, auf der rechten Seite liegend, lange ihrer Erzählung eifrig zugehört zu haben schien, frug sie mit heißem Stoße:

      „Wie håst‘n du a Våter kennen gelernt?“

      „Näha, wie kemmst‘n etze auf dås?“

      „Je nu . . . .“

      Sie errötete und kehrte sich schnell gegen die Wand.

      Die Mutter schwieg beunruhigt eine Weile. Dann aber frug sie mit erkünstelter Sorglosigkeit:

      „Hä, Joseph is doch gut zu dir?“

      „Ja Griebel?“

      „Nä, Joseph, ma sprecht doch Joseph. Griebel is doch zu fremde.“

      „Nu — — — ach meintswegen.“

      *

      In Ausdauer wartete sie auf die Klärung ihres inneren Zustandes. Oft betete sie auch; aber sie kam dadurch nicht mehr in wunschlose, hohe Weiten. Wie sie sich auch zur Aufmerksamkeit mühte, nach einigen Minuten war das Gebet ein leeres Hinsinnen geworden, das sofort jäh und heiß abbrach, wenn sie den Schritt ihres Mannes auf dem Flur hörte. Dann deckte sie sich bis an den Hals zu und verharrte so mit angehaltenem Atem. Eine seltsame Unruhe erfüllte sie, und alles andere war wie ausgelöscht.

      Und wenn er dann zu ihr kam, mit seinem schlaffen, langen Schritt, sich bequem auf den Stuhl am Bette niederließ und mit dem unvermeidlichen: „Na, Lorla, wie stehts?“ zu reden begann, erlag sie einer blinden Enttäuschung.

      Sie lachte dann hart mitten in seine Worte oder drehte sich in leidenschaftlicher Eile gegen die Wand und schwieg. Und darauf jedesmal dieses ewige:

      „Ha, Lorla, bist’n noch biese?“

      Wie sie das haßte!

      Aber wenn ihre Härte ihn traurig gemacht hatte, that es ihr leid darum, und sie wurde gesprächig, um oft plötzlich wieder in ein lustiges Lachen auszubrechen, das gar nicht enden wollte.

      „Haha! Joseph, haha, so was!“

      Sie kämpfte gegen ihr Lachen, und es peitschte sie dazu, und immer schlug dann ihre Lustigkeit um, ward scharf, beißend, voll Hohn, bis ihr die Thränen in die Augen traten. Mit schütterndem Schluchzen warf sie sich endlich aufs Gesicht und griff mit ihren Händen tief in die Kissen.

      „Jessas Maria, Lorla, wås håts n?“

      Er glaubte, sie werde ersticken und wollte sie aufreißen. Mit wildem Griff stieß sie seine Hände von ihrem Leibe.

      „Rühr mich nich an, weg!“

      Dann

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