Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Sie kannte nichts genau, als nur die Mutterliebe. Dann stieg ein lauter Ton von fester Erde aus ihr und flutete in sie zurück. Das war die einzige Herrschaft in ihr, obwohl auch sie nur einen kleinen Teil ihres unentdeckten Wesens umfaßte. Aber diesem Gebot neigten sich auch alle verhüllt wirkenden Mächte ihrer Seele.
Und da die Mutter es wollte, ließ Leonore sich von Joseph Griebels bebender Hand in das Haus der Ehe tragen. Ein Zittern schüttelte während dessen ihren Leib und ihr Herz.
Davon wuchs das Beben der Männerhand.
Da spürte Leonore, daß ihr eine Macht über den Mann innewohne.
Sie genoß diese vorübergleitende Empfindung wie eine unerklärliche Wollust.
————
V.
Das große Haus hatte am Hochzeitstage gejauchzt mit den Geigen der Musikanten, mit dem hüpfenden Lachen der jungen Mädchen, mit den tiefen, breiten Lauten aus froher Männerbrust.
Dann war in tiefer Nacht, ohne erkennbaren Grund, eine unfreundliche Müdigkeit über das Gebäude gekommen.
Die nüchternen Gäste fühlten sie, erhoben sich eilig von ihren Plätzen und wünschten dem Brautpaare eine gute Nacht, wobei die Männer laut lachten und von den Weibern deshalb auf den Rücken geschlagen wurden. Die jungen Mädchen aber stahlen sich mit roten Wangen hinweg. Um zwei Uhr schwankten die letzten Trunkenen, der Sicherheit halber zu einem großen Trupp verknotet, aus dem Hausthor auf die Straße und begannen sofort zu singen:
„Morgenrot, Morgenrot,
Leuchtest mir zum frühen Tod.“
Das Haus ächzte eine Weile mit den verrosteten Angeln seiner Thore ärgerlich dazu, dann sank es im Morgengrauen lauschend über das junge Paar.
* * *
Die Marsel-Bäckerin hatte ihrer Tochter durchaus eine Aussteuer geben wollen. Aber auf Griebels Bitten war es dann unterblieben.
„Ich håb vor ålls vul. Wo sellde ich ‘s ‘n hinstella? Iberål hot’s multum viel genung. Hiel drsch. Wås amål ibrich bleit, is uns doch nie verlorn.“
So hatte Leonore nichts, was ihr die Eingewöhnung leicht machte. Kein leises Lied tönte durch bekannte Geräte aus ihrer Vergangenheit herüber und verband so ihr neues mit dem alten Leben. Als habe sie eine Kluft übersprungen, kam sie sich vor. Ganz zaghaft und unsicher war sie in der Fülle und Wohlhabenheit, deren Herrin sie nun sein sollte. — Dazu hatte sie ihr früheres Leben nie mit dem Ernst und der Aufmerksamkeit gelebt, die von innen kommen. Alle Jahre ihrer Bewußtheit waren gleichsam nur mit Gesten angefüllt. Keine Verpflichtung für die Zukunft lag in ihnen, als nur der Zwang der Gravitation äußerer Bewegungen. Und diese hatten in ihrem kleinen, engen Mutterhause den Schein einer gewissen Innerlichkeit angenommen. Nun aber war es, als gehe ihrer Gelenkigkeit der Atem aus.
Ganz ratlos saß sie da.
Es war den dritten Morgen beim Frühkaffee.
Ihr Mann frug sie:
„Nu, Lorla, best ‘n gestern drieba gewast ei a Stuba?“
„Nein.“
„I — — ja nun — — warum dn nie, he?“
„Ich mag nich, ich . . . . e . . . getrau mich nich. Es is als ob ich mich fürchte.“
„Warum sprichst ‘n ‚fürchte’? Warum denn nie ferchte? — Du best doch nie ei dr Kerche un ach nie ei dr Schule.“
„Dås is auch drvo . . . . . . . . .
Du warscht lacha . . . . hörst du? . . . l a c h a . . . . hier . . . .. spürst du nich, das geht nich. – Das is alles zu groß, zu scheen, zu, zu, . . . . ich kann drsch nich sän. –
Siehste Joseph, hier kännte ich beten überall; in d e r Stube und in d e r da drinne.“
Der Kaffeelöffel, den sie in der Hand hielt, zitterte, so erregt war sie durch die Worte, welche aus ihrer Furcht und Ratlosigkeit heraufklangen. Sie sah eine Weile unbeweglich vor sich hin und als sie dann ihr Gesicht erhob, blieb das rechte Auge starr in fremder Richtung stehen, von dem kraftlosen Lide nur halb geschlossen.
„Da wärsch jå grade, åls wenns wåhr wär, dåß ei unsm Hause umgieht.“
„Umgieht . . . . umgeht! ach nu, das nich! aber durch den langen, finstern, hohchen Flur . . . .“ unwillkürlich dehnte sie jedes Wort wie feierlich singend.
„Ach wås, Gemare!“
„Gemare?“
„Nu, Lorla.“
„Sprich nie Lorla.“
„Is nie hibsch?“
„Lore is auch nich hibsch; åber Lorla? nein! Geh amal und sags zur Thire naus, im Flur ahinder; da wirscht ’s spieren. — Als wenn eens mit Holzlatschen klufft . . . . ja, wahrhaftig klufft, a so is.“
„Ach, Lore oder Lorla, doas is doch egal.“
„Aber, wenn ich dich bitt!?“
„Nu, Jesses och a, meinswejen; då komm. Mir sein fertich met ‘m Friesticke. Då wer ich amål iberål hin met dr giehn, ehb ich ei de Werkstelle muß.“
Einige Schritte ging sie auf dem Flur vor ihm her mit ihrem zuckenden Trippeln und der zierlichen Beweglichkeit ihres schmalen Leibes. Plötzlich wandte sie, stehenbleibend, sich um.
„Nein geh du zuerscht, Joseph.“
„‘s is breet genung, mir kenna auch neber nander giehn.“
„Nein, geh zum voraus.“
Und nun stand sie hinter seinem breiten Rücken, der sich nun mit der gleichmäßigen Gravität der kurzen, dicken Beine, in rundem, ruhigen Wiegen vor ihr hinschob. Sein breiter Schatten strich fest und sicher neben ihm an der hohen Wand hin. Dann stieg er ruckend, wie eine gewichtige Last, vor ihr die Treppe hinauf. Es war ihr eigentümlich. Sie sah nur immer auf den großen herrischen Schatten ihres Mannes und dann auf den dünnen, zitternd-hinhuschenden Strich, den ihr Leib warf. Es kam ihr unbegreiflich vor, wie jemand in diesem großen, ernsten, geheimnisvollen Hause sich so sicher und selbstverständlich bewegen könne. Aber sie sagte nichts, weil sie fürchtete, ihr Mann werde sie auslachen oder ungehalten sein.
So blieb die geheime Verwunderung zeugend in ihr.
Dann gingen sie von Stube zu Stube. Es waren vier, je zwei durch eine breite Thür verbunden, deren weißer Anstrich schon den gelblichen, anheimelnden Ton des Alters besaß.
Alle