Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Wer sind nun eigentlich diese neuen Konsumenten? Wer zahlt in letzter Linie die äußere Anleihe und realisiert den Mehrwert der mit ihr gegründeten Kapitalunternehmungen? In klassischer Weise beantwortet diese Frage die Geschichte der internationalen Anleihe in Ägypten.
Drei Reihen von Tatsachen, die sich ineinander verschlingen, charakterisieren die innere Geschichte Ägyptens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: moderne Kapitalunternehmungen größten Stils, ein lawinenartiges Anwachsen der Staatsschuld und der Zusammenbruch der Bauernwirtschaft. In Ägypten bestand bis in die neueste Zeit Fronarbeit und die ungenierteste Gewaltpolitik des Wali und nachher des Khediven in bezug auf die Grundbesitzverhältnisse. Aber gerade diese primitiven Verhältnisse boten einen unvergleichlich üppigen Boden für die Operationen des europäischen Kapitals. Ökonomisch konnte es sich vorerst nur darum handeln, Bedingungen für die Geldwirtschaft zu schaffen. Diese wurden denn auch mit direkten Gewaltmitteln des Staates geschaffen. Mehemed Ali, der Schöpfer des modernen Ägyptens, wandte hierin bis in die 30er Jahre eine Methode von patriarchalischer Einfachheit an: Er "kaufte" den Fellachen jedes Jahr von Staats wegen ihre gesamte Ernte ab, um ihnen davon nachher zu erhöhten Preisen das Minimum zu verkaufen, das zu ihrer Existenz und zur Aussaat notwendig war. Ferner verschrieb er Baumwolle aus Ostindien, Zuckerrohr aus Amerika, Indigo und Pfeffer und schrieb den Fellachen von Staats wegen vor, was und wieviel sie von jedem zu pflanzen hätten, wobei Baumwolle und Indigo wiederum als Monopol der Regierung erklärt und nur an sie verkauft, also auch von ihr wiederverkauft werden durften. Durch solche Methoden wurde der Warenhandel in Ägypten eingeführt. Freilich tat Mehemed Ali auch für die Hebung der Produktivität der Arbeit nicht wenig. Er ließ alte Kanäle ausheben, Brunnen graben, vor allem begann er mit dem grandiosen Nilstauwerk bei Kaliub, das die Serie der großen Kapitalunternehmungen in Ägypten eröffnete. Diese erstrecken sich später auf vier große Gebiete: Bewässerungsanlagen, unter denen das Werk bei Kaliub, das von 1845 bis 1853 gebaut wurde und außer der unbezahlten Fronarbeit 50 Millionen Mark verschlungen hatte - um sich übrigens zunächst als unbrauchbar zu erweisen -, den ersten Platz einnimmt; ferner Verkehrsstraßen, unter denen der Suezkanal die wichtigste und für die Schicksale Ägyptens fatalste Unternehmung war; sodann Baumwollbau und Zuckerproduktion. Mit dem Bau des Suezkanals hatte Ägypten bereits den Kopf in die Schlinge des europäischen Kapitals gesteckt, aus der es ihn nicht mehr herausziehen sollte. Den Anfang machte das französische Kapital, dem das englische alsbald auf dem Fuße folgte; der Konkurrenzkampf beider spielt durch die ganzen inneren Wirren in Ägypten während der folgenden 20 Jahre. Die Operationen des französischen Kapitals, das sowohl das große Nilstauwerk in seiner Unbrauchbarkeit wie den Suezkanal ausführte, waren vielleicht die eigenartigsten Muster der europäischen Kapitalakkumulation auf Kosten primitiver Verhältnisse. Für die Wohltat des Kanaldurchstichs, der Ägypten den europäisch-asiatischen Handel an der Nase vorbei ableiten und so den eigenen Anteil Ägyptens daran ganz empfindlich treffen sollte, verpflichtete sich das Land erstens zur Lieferung der Gratisarbeit von 20.000 Fronbauern auf Jahre hinaus, zweitens zur Übernahme von 70 Millionen Mark Aktien gleich 40 Prozent des Gesamtkapitals der Suezkompanie. Diese 70 Millionen wurden zur Grundlage der riesigen Staatsschuld Ägyptens, die zwanzig Jahre später die militärische Okkupation Ägyptens durch England zur Folge hatte. In den Bewässerungsanlagen wurde eine plötzliche Umwälzung angebahnt, die uralten Sakiji, d.h. mit Ochsen betriebene Schöpfwerke, deren im Delta allein 50.000 durch sieben Monate im Jahre in Bewegung waren, wurden zum Teil durch gewaltige Dampfpumpen ersetzt. Den Verkehr auf dem Nil zwischen Kairo und Assuan besorgten nunmehr moderne Dampfer. Die größte Umwälzung in den Wirtschaftsverhältnissen Ägyptens brachte aber der Baumwollbau mit sich. Als Folge des amerikanischen Sezessionskrieges und des englischen Baumwollhungers, der den Preis der Baumwolle von 60 bis 80 Pf pro Kilo auf 4 bis 5 M hinaufgetrieben hatte, wurde auch Ägypten von einem Fieber des Baumwollbaus ergriffen. Alles baute Baumwolle, vor allem aber die vizekönigliche Familie. Landraub in größtem Maßstab, Konfiskation, erzwungener "Kauf" oder einfacher Diebstahl vergrößerten rasch die vizeköniglichen Ländereien ungeheuer. Zahllose Dörfer verwandelten sich plötzlich in königliches Privateigentum, ohne daß jemand den rechtlichen Grund hierfür zu erklären wüßte. Und dieser gewaltige Güterkomplex sollte in kürzester Frist zu Baumwollplantagen verwendet werden. Dies stellte aber die ganze Technik des traditionellen ägyptischen Landhaus auf den Kopf. Eindämmung des Landes, um die Baumwollfelder vor der regelmäßigen Nilüberschwemmung zu schützen, dafür reichliches und geregeltes künstliches Bewässern tiefes und unermüdliches Pflügen, das dem mit dem Pflug aus den Pharaonenzeiten seinen Boden leicht kratzenden Fellah ganz unbekannt war, endlich die intensive Arbeit bei der Ernte - alles dies stellte enorme Anforderungen an die Arbeitskraft Ägyptens. Diese Arbeitskraft war aber immer dieselbe Fronbauernschaft, über die der Staat unumschränktes Verfügungsrecht sich anmaßte. Die Fellachen waren schon zu Tausenden auf die Fron bei dem Stauwerk von Kaliub getrieben, bei dem Suezkanal, jetzt wurden sie beansprucht für Dammbauten, Kanalarbeiten und Plantagen auf den vizeköniglichen Gütern. Jetzt brauchte der Khedive die 20.000 Sklaven, die er der Suezgesellschaft zur Verfügung gestellt hatte, für sich, woraus sich der erste Konflikt mit dem französischen Kapital ergab. Ein Schiedsrichterspruch Napoleons III. erkannte der Suezgesellschaft eine Abfindungssumme von 67 Millionen Mark zu, in die der Khedive um so leichteren Herzens einwilligen konnte, als sie doch schließlich aus denselben Fellachen herausgeschunden werden sollte, um deren Arbeitskraft sich der Streit drehte. Nun ging es an Bewässerungsarbeiten. Hierzu wurden massenhaft Dampfmaschinen aus England und Frankreich bezogen, Zentrifugalpumpen und Lokomobilen. Viele Hunderte davon wanderten aus England nach Alexandrien und weiter auf Dampfschiffen, Nilbooten und Kamelrücken nach allen Richtungen ins Land. Zur Bodenbearbeitung wurden Dampfpflüge benötigt, zumal 1864 eine Rinderpest sämtliches Vieh weggerafft hatte. Auch diese Maschinen kamen meist aus England. Das Fowlersche Unternehmen wurde speziell für den Bedarf des Vizekönigs auf Kosten Ägyptens plötzlich enorm erweitert.246
Eine dritte Art Maschinen, die Ägypten plötzlich in Massen benötigte, waren die Apparate zum Entkörnen und die Pressen zum Packen von Baumwolle. Diese Ginanlagen wurden zu Dutzenden in den Städten des Deltas eingerichtet. Sagasik, Tanta, Samanud und andere begannen zu rauchen wie englische Fabrikstädte. Große Vermögen rollten durch die Banken von Alexandrien und Kairo.
Der Zusammenbruch der Baumwollspekulation kam schon im nächsten Jahr, als nach dem Friedensschluß in der amerikanischen Union der Preis der Baumwolle in wenigen Tagen von 27 Pence das Pfund auf 15, 12 und schließlich auf 6 Pence fiel. - Im nächsten Jahre warf sich Ismail Pascha auf eine neue Spekulation: die Rohrzuckerproduktion. Es galt jetzt den Südstaaten der Union, die ihre Sklaven verloren hatten, mit der Fronarbeit des ägyptischen Fellahs Konkurrenz zu machen. Die ägyptische Landwirtschaft wurde zum zweitenmal auf den Kopf gestellt. Französische und englische Kapitalisten fanden ein neues Feld der raschesten Akkumulation. 1868 und 1869 wurden achtzehn riesige Zuckerfabriken bestellt mit einer Leistungsfähigkeit von je 200.000 Kilogramm Zucker täglich, also einer vierfachen Leistungsfähigkeit der größten bis