Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Wohin wendet sich der ruinierte Farmer der Union? - Er zieht mit seinem Wanderstab dem "Weizenzentrum" und den Eisenbahnen nach. Das Weizenparadies verschiebt sich zum Teil nach Kanada an den Saskatschewan und den Mackenziefluß, wo Weizen noch unter dem 62. Grad nördlicher Breite gedeiht. Ihm folgt ein Teil der Farmer der Union 237, um nach einiger Zeit in Kanada noch einmal dasselbe Schicksal durchzumachen. Kanada ist in den letzten Jahren auf dem Weltmarkt in die Reihe der Weizenausfuhrländer eingetreten, dort wird aber die Landwirtschaft noch mehr vom Großkapital beherrscht.238
Die Verschleuderung der öffentlichen Ländereien an privatkapitalistische Gesellschaften ist in Kanada noch ungeheuerlicher betrieben worden als in den Vereinigten Staaten. Der Charter und Landgrant der kanadischen Pazifikbahngesellschaft ist etwas Beispielloses an öffentlichem Raub durch das Privatkapital. Der Gesellschaft war nicht bloß das Monopol auf den Eisenbahnbau für 20 Jahre gesichert, die ganze zu bebauende Strecke von etwa 713 englischen Meilen im Werte von zirka 35 Millionen Dollar gratis zur Verfügung gestellt, nicht bloß hatte der Staat auf 10 Jahre eine Zinsgarantie für 3 Prozent auf das Aktienkapital von 100 Millionen Dollar übernommen und ein bares Darlehen von 271/2 Millionen Dollar gewährt. Außer alledem ist der Gesellschaft ein Landgebiet von 25 Millionen Acres geschenkt worden. und zwar zur beliebigen Auswahl unter den fruchtbarsten und bestgelegenen Ländereien auch außerhalb des unmittelbar die Bahn begleitenden Gürtels. Alle die künftigen Ansiedler auf der
ungeheuren Fläche waren so von vornherein dem Eisenbahnkapital auf Gnade und Ungnade überantwortet. Die Eisenbahnkompanie hat ihrerseits 5 Millionen Acres, um sie möglichst rasch zu Geld zu machen, gleich weiter an die Nordwest-Landkompanie, d.h. an eine Vereinigung von englischen Kapitalisten unter Führung des Herzogs von Manchester verschleudert. Die zweite Kapitalgruppe, an die öffentliche Ländereien mit vollen Händen verschenkt wurden, ist die Hudsonbaikompanie, die für den Verzicht auf ihre Privilegien im Nordwesten einen Anspruch auf nicht weniger als ein Zwanzigstel allen Landes in dem ganzen Gebiet zwischen dem Lake Winnipeg, der Grenze der Vereinigten Staaten, den Rocky Mountains und dem nördlichen Saskatschewan erhielt. Die zwei Kapitalgruppen haben so zusammen fünf Neuntel des besiedelungsfähigen Landes in ihre Hände bekommen. Von den übrigen Ländereien hatte der Staat einen bedeutenden Teil 26 kapitalistischen "Kolonisationsgesellschaften" zugewiesen.239 So befindet sich der Farmer in Kanada fast von allen Seiten in den Netzen des Kapitals und seiner Spekulation. Und trotzdem die Masseneinwanderung nicht nur aus Europa, sondern auch aus den Vereinigten Staaten!
Dies sind die Züge der Kapitalsherrschaft auf der Weltbühne: Aus England trieb sie den Bauern, nachdem sie ihn vom Boden verdrängt hatte, nach dem Osten der Vereinigten Staaten, vom Osten nach dem Westen, um aus ihm auf den Trümmern der Indianerwirtschaft wieder einen kleinen Warenproduzenten zu machen, vom Westen treibt sie ihn, abermals ruiniert, nach dem Norden - die Eisenbahnen voran und den Ruin hinterher, d.h. das Kapital als Führer vor sich und das Kapital als Totschläger hinter sich. Die allgemeine zunehmende Teuerung der landwirtschaftlichen Produkte ist wieder an Stelle des tiefen Preisfalls der 90er Jahre getreten, aber der amerikanische kleine Farmer hat davon sowenig Nutzen wie der europäische Bauer.
Die Anzahl der Farmen wächst freilich unaufhörlich. Im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts ist sie von 4,6 Millionen auf 5,7 Millionen gewachsen, und auch im letzten Jahrzehnt ist sie absolut gestiegen. Gleichzeitig stieg der Gesamtwert der Farmen; während der letzten zehn Jahre ist er von 751,2 Millionen Dollar auf 1.652,8 Millionen Dollar gewachsen.240 Die allgemeine Steigerung der Preise für Bodenprodukte hätte dem Farmer anscheinend auf einen grünen Zweig verhelfen sollen. Trotzdem sehen wir, daß die Zahl der Pächter unter den Farmern noch rascher wächst als die Zahl der Farmer im ganzen. Die Pächter bildeten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Farmer der Union
1880 | 25,5% |
1890 | 28,4% |
1900 | 35,3% |
1910 | 37,2% |
Trotz der Steigerung der Preise für Bodenprodukte machen die Farmereigentümer relativ immer mehr den Pächtern Platz. Diese aber, die jetzt schon weit über ein Drittel aller Farmer der Union darstellen, sind in den Vereinigten Staaten die unseren europäischen Landarbeitern entsprechende Schicht, die richtigen Lohnsklaven des Kapitals, das beständig fluktuierende Element, das unter äußerster Anspannung der Kräfte für das Kapital Reichtümer schafft, ohne für sich selbst etwas anderes als eine elende und unsichere Existenz herausschlagen zu können.
Derselbe Prozeß in einem ganz anderen historischen Rahmen - in Südafrika - zeigt noch deutlicher die "friedlichen Methoden" des kapitalistischen Wettbewerbs mit dem kleinen Warenproduzenten.
Bis zu den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts herrschten in der Kapkolonie und in den Burenrepubliken rein bäuerliche Verhältnisse. Die Buren führten lange Zeit das Leben nomadisierender Viehzüchter, indem sie den Hottentotten und Kaffern die besten Weideplätze wegnahmen, sie selbst nach Kräften ausrotteten oder verdrängten. Im 18. Jahrhundert leistete ihnen die von den Schiffen der Ostindischen Kompanie verschleppte Pest treffliche Dienste, indem sie wiederholt ganze Hottentottenstämme dahinraffte und so für die holländischen Einwanderer den Boden frei machte. Durch ihre Ausbreitung nach dem Osten prallten sie mit den Bantustämmen zusammen und eröffneten die lange Periode der furchtbaren Kaffernkriege. Die frommen und bibelfesten Holländer, die sich auf ihre altmodische puritanische Sittenstrenge und ihre Kenntnis des Alten Testaments als "auserwähltes Volk" nicht wenig zugute taten, begnügten sich jedoch nicht mit dem Raub der Ländereien der Eingeborenen, sondern sie richteten ihre bäuerliche Wirtschaft wie Parasiten auf eiern Rücken der Neger ein, die sie zur Sklavenarbeit für sich zwangen und zu diesem Behufe systematisch und zielbewußt korrumpierten und entnervten. Der Branntwein spielte dabei eine so wesentliche Rolle, daß das Branntweinverbot der englischen Regierung in der Kapkolonie an dem Widerstand der Puritaner scheiterte. Im allgemeinen blieb die Wirtschaft der Buren bis in die 60er Jahre vorwiegend patriarchalisch und naturalwirtschaftlich. Wurde doch erst 1859 die erste Eisenbahn in Südafrika gebaut. Der patriarchalische Charakter verhinderte freilich keineswegs die äußerste Härte und Roheit der Buren. Livingstone beklagte sich bekanntlich viel mehr über die Buren als über die Kaffern. Die Neger schienen ihnen ein so von Gott und Natur zur Sklavenarbeit für sie bestimmtes Objekt, eine so unentbehrliche Grundlage der Bauernwirtschaft zu sein, daß sie die Aufhebung der Sklaverei in den englischen Kolonien im Jahre 1836, trotz der Abfindung der Eigentümer hier mit 3 Millionen Pfund Sterling, mit dem "großen Treck" beantworteten. Die Buren wanderten aus der Kapkolonie über den Oranje und Vaal aus, trieben dabei die Matabeles nach Norden über den Limpopo und hetzten sie den Makalakas auf den Hals. Wie der amerikanische Farmer unter den Streichen der Kapitalswirtschaft die Indianer vor sich her nach dem Westen, so trieb der Bur die Neger nach dem Norden. Die "freien Republiken" zwischen Oranje und Limpopo entstanden so als Protest gegen den Anschlag der englischen Bourgeoisie auf das geheiligte Recht der Sklaverei. Die winzigen Bauernrepubliken lagen im ständigen Guerillakrieg mit den Bantunegern. Auf dem Rücken der Neger wurde nun der jahrzehntelange Kampf zwischen den Buren und der englischen Regierung ausgefochten. Als Vorwand zum Konflikt zwischen England und den Republiken diente die Negerfrage, nämlich die angeblich von der englischen Bourgeoisie angestrebte Emanzipation der Neger. In Wirklichkeit traten hier die Bauernwirtschaft und die großkapitalistische Kolonialpolitik in Konkurrenzkampf miteinander um die Hottentotten und Kaffern, d.h. um ihr Land und ihre Arbeitskraft. Das Ziel beider Konkurrenten war genau dasselbe: Niederwerfung, Verdrängung oder Ausrottung der Farbigen, Zerstörung ihrer sozialen Organisation, Aneignung ihres Grund und Bodens und Erzwingung ihrer Arbeit im Dienste der Ausbeutung. Nur die Methoden waren grundverschieden. Die Buren vertraten die veraltete Sklaverei im