Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Mit solchen kapitalistischen Unternehmungen konnte der amerikanische Farmer die Konkurrenz nicht bestehen. In derselben Zeit. wo ihn die allgemeine Umwälzung in den Verhältnissen: den Finanzen, der Produktion und dem Transportwesen der Union, zwang, jede Produktion für den Selbstbedarf aufzugeben und alles für den Markt zu produzieren, wurden die Preise der landwirtschaftlichen Produkte durch die kolossale Ausbreitung der Ackerkultur außerordentlich herabgedrückt. Und in derselben Zeit, wo die Masse der Farmer in ihren Schicksalen an den Markt gekettet wurde, verwandelte sich der landwirtschaftliche Markt der Union plötzlich aus dem lokalen Absatzgebiet in den Weltmarkt, auf dem wenige Riesenkapitale und deren Spekulation ihr wildes Spiel begannen.
Mit dem in der Geschichte der europäischen wie der amerikanischen Agrarverhältnisse denkwürdigen Jahre 1879 beginnt der Massenexport des Weizens der Union nach Europa.231
Die Vorteile dieser Erweiterung des Absatzgebietes wurden selbstverständlich von dem Großkapital monopolisiert: Einerseits wuchsen die Riesenfarmen, die den kleinen Farmer mit ihrer Konkurrenz erdrückten, andererseits wurde er zum Opfer der Spekulanten, die ihm sein Getreide aufkauften, um damit auf den Weltmarkt einen Druck auszuüben. Hilflos den gewaltigen Mächten des Kapitals preisgegeben, verfiel der Farmer in Schulden - die typische Form des Unterganges der Bauernwirtschaft. Die Verschuldung der Farmen wurde bald zur öffentlichen Kalamität. Im Jahre 1890 schrieb der Landwirtschaftsminister der Union, Rusk in einem speziellen Rundschreiben aus Anlaß der verzweifelten Lage der Farmer: "Die Last der Hypotheken auf den Farmen, den Häusern und dem Boden nimmt zweifellos höchst beunruhigende Dimensionen an; wiewohl in einzelnen Fällen die Anleihen zweifellos übereilig aufgenommen wurden, so führte dazu nichtsdestoweniger in der beträchtlichen Mehrzahl der Fälle die Notwendigkeit ... Diese Anleihen, die auf hohe Prozente aufgenommen wurden, sind infolge des Preisfalls der landwirtschaftlichen Produkte höchst drückend geworden und bedrohen den Farmer in vielen Fällen mit dem Verlust des Hauses und des Bodens. Das ist eine äußerst schwierige Frage für alle diejenigen, die die Übel zu kurieren bestrebt sind, an denen die Farmer leiden. Es stellt sich heraus, daß bei den gegenwärtigen Preisen der Farmer, um einen Dollar zu bekommen, mit dem er seine Schuld bezahlt, viel mehr Produkte verkaufen muß als damals, wo er diesen Dollar lieh. Die Prozente wachsen, während die Tilgung der Schuld offenbar eine ganz hoffnungslose Sache geworden, angesichts dieser gedrückten Lage aber, von der wir reden, ist die Erneuerung der Hypothekenaufnahme äußerst schwierig."232 Die allgemeine Verschuldung des Bodens erstreckte sich nach dem Zensus vom 29. Mai 1891 auf 2,5 Millionen Wirtschaften, davon zwei Drittel Betriebe der Farmereigentümer, die Höhe der Schuld dieser letzteren auf nahezu 2,2 Milliarden Dollar. "Auf diese Weise", schließt Peffer, "ist die Lage der Farmer höchst kritisch (farmers are passing through the "valley and shadow of death"); die Farm ist eine gewinnlose Sache geworden; der Preis der landwirtschaftlichen Produkte ist seit dem großen Kriege um 50 Prozent gefallen, der Wert der Farmen ist im letzten Jahrzehnt um 25 bis 50 Prozent gesunken; die Farmer stecken bis über die Ohren in Schulden, die durch Hypotheken auf ihren Betrieben gesichert sind, ohne in vielen Fällen imstande zu sein, die Anleihe zu erneuern, da die Hypothek selbst immer mehr entwertet wird; viele Farmer gehen ihrer Betriebe verlustig, und die Mühlsteine der Verschuldung fahren fort, sie zu zermalmen. Wir befinden uns in den Händen einer erbarmungslosen Macht; die Farm geht zugrunde."233
Dem verschuldeten und ruinierten Farmer blieb nichts anderes übrig, als entweder in Nebenverdiensten als Lohnarbeiter sein Heil zu suchen oder seine Wirtschaft ganz zu verlassen und den Staub des "gelobten Landes" des "Weizenparadieses", das für ihn zur Hölle geworden, von seinen Pantoffeln zu schütteln, vorausgesetzt, daß seine Farm nicht schon wegen Zahlungsunfähigkeit in die Krallen des Gläubigers geriet, was mit Tausenden der Farmen der Fall war. Verlassene und verfallende Farmen konnte man massenhaft um die Mitte der 80er Jahre beobachten. "Kann der Farmer zu den festgesetzten Terminen seine Schulden nicht bezahlen", schrieb Sering 1887 "so steigt der von ihm zu entrichtende Zins auf 12, 15, ja 20 Prozent. Die Bank, der Maschinenhändler, der Krämer drängen auf ihn ein und berauben ihn der Früchte seiner harten Arbeit ... Der Betreffende bleibt dann entweder als Pächter auf der Farm, oder er zieht weiter fort gegen Westen, um sein Glück von neuem zu versuchen. Nirgendwo in Nordamerika habe ich in der Tat so viele verschuldete, enttäuschte und mißvergnügte Farm er getroffen wie in den Weizendistrikten der nordwestlichen Prärien, keinen einzigen Farmer habe ich in Dakota gesprochen, der nicht bereit gewesen wäre, seine Farm zu verkaufen."234 Der Kommissar der Landwirtschaft in Vermont teilte 1889 über die weit verbreitete Tatsache des Verlassens der Farmen mit: "In diesem Staate", schrieb er, "kann man große Strecken unbebauten, aber zum Anbau geeigneten Bodens finden, den man zu Preisen kaufen kann, die sich denjenigen in den Weststaaten nähern, dazu in der Nähe von Schulen und Kirchen und obendrein mit den Bequemlichkeiten der nahegelegenen Eisenbahn. Der Kommissar hat nicht alle Bezirke des Staates besucht, über die berichtet wird, er hat aber genug besucht, um sich zu überzeugen, daß ein bedeutendes Gebiet verlassenen, früher aber bebauten Landes jetzt zu Ödland geworden ist, obwohl ein bedeutender Teil davon der tüchtigen Arbeit ein gutes Einkommen liefern könnte."
Der Kommissar des Staates New Hampshire veröffentlichte 1890 eine Schrift, in der 67 Seiten mit der Beschreibung von Farmen gefüllt sind, die zu den billigsten Preisen zu haben waren. Es sind darin 1.442 verlassene Farmen mit Wohngebäuden beschrieben, die erst vor kurzem aufgegeben wurden. Dasselbe auch in anderen Gegenden. Tausende von Acres Weizen- und Maiskulturen lagen brach und wurden zu Ödland. Um das verlassene Land wieder zu bevölkern, trieben die Bodenspekulanten eine raffinierte Reklame, und sie zogen neue Scharen Einwanderer, neue Opfer ins Land, die dem Schicksal ihrer Vorgänger nur noch rascher anheimfielen.235
"In der Nähe der Eisenbahnen und Absatzmärkte", hieß es in einem Privatbrief, "gibt es nirgends mehr staatliches Land, es ist ganz in den Händen der Spekulanten. Der Ansiedler übernimmt freies Land und zählt als Farmer. Aber seine Wirtschaft als Farm sichert ihm kaum die Existenz, und er kann unmöglich dem großen Farmer Konkurrenz machen. Er bebaut den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtteil seiner Farm, aber zur Unterstützung seines Wohlstandes muß er einen Nebenerwerb außerhalb der Landwirtschaft suchen. In Oregon z.B. habe ich einen Ansiedler getroffen, der während fünf Jahren Eigentümer von 160 Acres war, zur Sommerzeit aber, Ende Juni, am Wegebau arbeitete, 12 Stunden täglich für 1 Dollar Tageslohn. Auch dieser figurierte natürlich als Einheit unter den 5 Millionen Farmern, die vom Zensus 1890 gezählt worden sind. Oder in Eldorado County sah ich z.B. viele Farmer, die den Boden nur in dem Umfang bebauten, um sich selbst und das Vieh zu ernähren, nicht aber für den Markt, denn das wäre unvorteilhaft; ihr Haupterwerb aber besteht im Goldgraben, Holzfällen und Holzverkauf usw. Diese Leute leben im Wohlstand, aber ihr Wohlstand rührt nicht von der Landwirtschaft her. Vor zwei Jahren arbeiteten wir in Long Cañon, Eldorado County, und wohnten die ganze Zeit in einer cabin auf einer Parzelle, deren Eigentümer nur einmal im Jahr für einige Tage nach Hause kam, die übrige Zeit aber in Sacramento an der Eisenbahn arbeitete, Seine Parzelle wurde gar nicht bebaut. Vor einigen Jahren wurde ein kleiner Teil davon angebaut, um dem Gesetz Genüge zu tun, einige Acres sind mit Drahtzaun eingezäunt, eine log cabin und ein Schuppen sind errichtet. Aber in den letzten Jahren steht das alles leer: Der Schlüssel von der Hütte befindet sich beim Nachbar, der uns auch die Hütte zur Verfügung gestellt hatte. Im Verlaufe unserer Wanderungen haben wir viele verlassene Parzellen gesehen, auf denen Versuche gemacht waren, die Wirtschaft zu führen. Vor drei Jahren wurde mir der Vorschlag gemacht, eine Farm mit Wohnhaus für 100 Dollar zu übernehmen. Später ist das leere Haus unter der Last des Schnees zusammengebrochen. In Oregon sahen wir viele verlassene Farmen mit Wohnhäuschen und Gemüsegärtchen. Eins davon, das wir besucht haben, war ausgezeichnet gebaut: ein kräftiges von Meisterhand zusammengefügtes Blockhaus mit einigen Gerätschaften. Und alles das war vom Farmer verlassen.