Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg

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Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band) - Rosa Luxemburg

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den Flachs, anstatt ihn zu verspinnen, sodann Leinwand daraus zu weben und Wäsche für seine Kinder zu verfertigen, wie das vor 50 Jahren gemacht wurde, verkauft den Samen, das Stroh aber verbrennt er. Von fünfzig Farmern züchtet jetzt kaum einer Schafe; er rechnet auf die großen Zuchtfarmen und bezieht seinerseits die Wolle schon in fertiger Gestalt als Tuch oder Kleid. Sein Anzug wird nicht mehr zu Hause genäht, sondern in der Stadt gekauft. Anstatt selbst die nötigen Gerätschaften, Gabeln, Harke usw., anzufertigen, begibt er sich nach der Stadt, um das Heft zum Beil oder den Stiel zum Hammer zu kauten; er kauft Taue und Schnüre und allerlei Faserzeug, er kauft Kleiderstoffe oder selbst Kleider, er kauft konservierte Früchte, er kauft Speck und Fleisch und Schinken, er kauft heute fast alles, was er einst selbst produzierte, und er braucht zu alledem Geld. Außer alledem und was seltsamer scheint als alles andere, ist folgendes: Während früher die Heimstätte des Amerikaners frei und unverschuldet blieb - nicht in einem Fall auf tausend war eine Heimstätte mit Hypotheken belastet, um eine Geldanleihe zu sichern - und während bei dem geringen Bedarf an Geld zur Führung des Betriebes stets Geld genug unter den Farmern vorhanden war, ist jetzt, wo zehnmal soviel Geld benötigt wird, nur wenig oder gar keines zu haben. Etwa die Hälfte der Farmen haben Hypothekenschulden, die ihren ganzen Wert verschlingen, und die Zinsen sind exorbitant. Die Ursache dieses merkwürdigen Umschwungs liegt in dem Manufakturisten mit seinen Wollen- und Leinenfabriken, Holzbearbeitungsfabriken, Baumwollspinnereien und Webereien, mit seinen Fleisch- und Obstkonservenfabriken usw. usw.; die kleinen Farmwerkstätten haben den großen städtischen Werken den Platz geräumt. Die nachbarliche Wagnerwerkstatt hat dem enormen städtischen Werk Platz gemacht, wo hundert oder zweihundert Wagen pro Woche hergestellt werden; an Stelle der Schusterwerkstatt ist die große städtische Fabrik getreten, wo der größte Teil der Arbeit vermittels der Maschinen gemacht wird."227 Und endlich ist auch die landwirtschaftliche Arbeit des Farmers selbst zur Maschinenarbeit geworden. "Jetzt pflügt, sät und schneidet der Farmer mit Maschinen. Die Maschine schneidet, bindet Garben, und mit Hilfe des Dampfes wird gedroschen. Der Farmer kann beim Pflügen seine Morgenzeitung lesen, und er sitzt auf gedecktem Sitz der Maschine, während er schneidet."228

      Diese Umwälzung in der amerikanischen Landwirtschart seit dem "großen Kriege" war aber nicht das Ende, sondern der Anfang des Strudels, in den der Farmer hineingeraten war. Seine Geschichte leitet von selbst zur zweiten Phase der Entwicklung der kapitalistischen Akkumulation über, die sie gleichfalls trefflich illustriert. Der Kapitalismus bekämpft und verdrängt überall die Naturalwirtschaft, die Produktion für den Selbstbedarf, die Kombinierung der Landwirtschaft mit dem Handwerk, um an ihre Stelle die einfache Warenwirtschaft zu setzen. Er braucht die Warenwirtschaft als Absatz für den eigenen Mehrwert. Die Warenproduktion ist die allgemeine Form, in der der Kapitalismus erst gedeihen kann. Hat sich aber auf den Ruinen der Naturalwirtschaft bereits die einfache Warenproduktion ausgebreitet, dann beginnt alsbald der Kampf des Kapitals gegen diese. Mit der Warenwirtschaft tritt der Kapitalismus in ein Konkurrenzverhältnis; nachdem er sie ins Leben gerufen. macht er ihr die Produktionsmittel streitig, die Arbeitskräfte und den Absatz. Zuerst war der Zweck die Isolierung des Produzenten, seine Trennung von der schützenden Gebundenheit des Gemeinwesens, dann die Trennung der Landwirtschaft vom Handwerk, jetzt ist die Trennung des kleinen Warenproduzenten von seinen Produktionsmitteln die Aufgabe.

      Wir haben gesehen, daß der "große Krieg" in der amerikanischen Union eine Ära der grandiosen Plünderung der nationalen Ländereien durch monopolistische Kapitalgesellschaften und einzelne Spekulanten eröffnet hatte. Im Anschluß an den riesenhaften Eisenbahnbau und noch mehr die Eisenbahnspekulation entstand eine tolle Bodenspekulation, bei der riesige Vermögen, ganze Herzogtümer, zur Beute von einzelnen Glücksrittern und Kompanien wurden. Von hier aus wurde durch einen Heuschreckenschwarm von Agenten, durch alle Mittel einer marktschreierischen skrupellosen Reklame, durch allerlei Vortäuschungen und Vorspiegelungen der gewaltige Strom der Immigration aus Europa nach den Vereinigten Staaten geleitet. Dieser Strom setzte sich zunächst in den östlichen Staaten an der atlantischen Küste ab. Je mehr aber hier die Industrie wuchs, um so mehr verschob sich die Landwirtschaft nach dem Westen. Das "Weizenzentrum", das sich 1850 bei Columbus in Ohio befand, wanderte in den folgenden 50 Jahren weiter und verschob sich um 99 Meilen nach Norden und 680 Meilen nach Westen. 1850 lieferten die atlantischen Staaten 51,4 Prozent der gesamten Weizenernte, im Jahre 1880 nur noch 13.6 Prozent, während die nordzentralen Staaten 1880 71,7 Prozent, die westlichen 9,4 Prozent lieferten.

      1825 hatte der Kongreß der Union unter Monroe beschlossen, die Indianer vom Osten des Mississippi nach dem Westen zu verpflanzen. Die Rothäute wehrten sich verzweifelt, wurden aber - wenigstens der Rest, der von den Gemetzeln der 40 Indianerkriegen noch verschont geblieben war - wie lästiger Plunder weggeräumt, wie Büffelherden nach dem Westen getrieben, um hier wie das Wild im Gatter der "Reservationen" eingepfercht zu werden. Der Indianer mußte dem Farmer weichen; jetzt kam die Reihe an den Farmer, der dem Kapital weichen mußte und selbst jenseits des Mississippi geschoben wurde.

      Den Eisenbahnen nach zog der amerikanische Farmer nach dem Westen und Nordwesten in das gelobte Land, das ihm die Agenten der großen Bodenspekulanten vorgaukelten. Aber die fruchtbarsten, bestgelegenen Ländereien wurden von den Gesellschaften zu großen rein kapitalistisch betriebenen Wirtschaften verwendet. Neben dem in die Wildnis geschleppten Farmer erstand als seine gefährliche Konkurrentin und Todfeindin die "Bonanzafarm", der großkapitalistische Landwirtschaftsbetrieb, wie er bis dahin in der Alten und Neuen Welt unbekannt war. Hier wurde die Mehrwertproduktion mit allen Hilfsmitteln der modernen Wissenschaft und Technik betrieben. "Olivier Dairymple, dessen Name heute auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans bekannt ist", schrieb Lafargue 1885, "kann als der beste Repräsentant der Finanzlandwirtschaft betrachtet werden. Seit 1874 leitet er gleichzeitig eine Dampferlinie auf dem Roten Flusse und sechs Farmen, die einer Gesellschaft von Finanzleuten gehören, mit einem Gesamtumfang von 30.000 Hektar. Er teilte dieselben in Abteilungen von je 800 Hektar, deren jede wieder in drei Unterabteilungen von je 267 Hektar zerfiel. Diese stehen unter Werkführern und Unterwerkführern. Auf jeder Sektion sind Baracken errichtet, in denen sich Unterkunft für fünfzig Menschen und Ställe für ebensoviel Pferde und Maultiere befinden, sowie Küchen, Magazine für Lebensmittel für Menschen und Vieh, Schuppen zum Unterbringen der Maschinen, endlich Schmiede- und Schlosserwerkstätten. Jede Sektion hat ihr vollständiges Inventar: 20 Paar Pferde, 8 Doppelpflüge, 12 Sämaschinen, die vom Pferde aus dirigiert werden, 12 Eggen mit Stahlzähnen, 12 Schneide- und Garbenbindemaschinen, 2 Dreschmaschinen und 16 Wagen; alle Maßregeln sind getroffen, daß Maschinen und Arbeitstiere (Menschen, Pferde, Maultiere) in gutem Zustand und fähig sind, die größtmögliche Summe von Arbeit zu leisten. Alle Sektionen stehen untereinander und mit der Zentralleitung in telephonischer Verbindung.

      Die sechs Farmen von 30.000 Hektar werden von einer Armee von 600 Arbeitern bestellt, welche militärisch organisiert sind; zur Zeit der Ernte wirbt die Zentralleitung noch 500 bis 600 Hilfsarbeiter an, welche sie unter die Sektionen verteilt. Sind die Arbeiten im Herbst beendigt, dann werden die Arbeiter entlassen, mit Ausnahme der Werkführer und von zehn Mann per Sektion. Auf manchen Farmen Dakotas und Minnesotas überwintern die Pferde und Maultiere nicht am Arbeitsorte. Sobald die Stoppeln umgepflügt sind, treibt man sie in Herden von 100 bis 200 Paaren 1.000 bis 1.500 Kilometer weit nach dem Süden, von wo sie erst im Frühjahr wieder zurückkehren.

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