Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Dieses Idyll sollte nach dem Sezessionskriege ein jähes Ende finden. Die enorme Staatsschuld von 6 Milliarden Dollar, die er der Union aufgebürdet hatte, zog eine starke Erhöhung der Steuerlasten nach sich. Namentlich beginnt aber seit dem Kriege eine fieberhafte Entwicklung des modernen Verkehrswesens, der Industrie, besonders der Maschinenindustrie, unter Beihilfe des steigenden Schutzzolls. Zur Ermunterung des Eisenbahnbaus und der Besiedelung des Landes mit Farmern wurden den Eisenbahngesellschaften großartige Schenkungen aus nationalen Ländereien gemacht. 1867 allein haben sie über 74 Millionen Hektar Landes bekommen. Das Eisenbahnnetz wuchs denn auch in beispielloser Weise. 1860 betrug es noch nicht 50.000 Kilometer, 1870 über 85.000, 1880 aber mehr als 150.000 (in derselben Zeit, von 1870 bis 1880, wuchs das gesamte Eisenbahnnetz Europas von 130.000 auf 169.000 Kilometer). Die Eisenbahnen und die Bodenspekulanten riefen eine massenhafte Einwanderung aus Europa nach den Vereinigten Staaten herbei. Die Einwanderung betrug in den 23 Jahren 1869 bis 1892 mehr als 41/2 Millionen Menschen. Im Zusammenhang damit emanzipierte sich die Union nach und nach von der europäischen, hauptsächlich englischen Industrie und schuf eigene Manufakturen, eine eigene Textil Eisen-, Stahl- und Maschinenindustrie. Am raschesten wurde die Landwirtschaft revolutioniert. Bereits in den ersten Jahren nach dem Bürgerkriege wurden die Plantagenbesitzer der Südstaaten durch die Emanzipation der Neger gezwungen, den Dampfpflug einzuführen. Besonders aber wurden die im Westen im Anschluß an den Eisenbahnbau frisch entstehenden Farmen von vornherein auf die modernste Maschinentechnik gestellt. "Zur selben Zeit", schrieb der Bericht der landwirtschaftlichen Kommission der Vereinigten Staaten im Jahre 1867, "während die Anwendung der Maschinerie den Landbau im Westen revolutioniert und das Verhältnis der angewandten menschlichen Arbeit auf das niedrigste bisher erreichte Maß herabdrückt, ... widmen sich hervorragende administrative und organisatorische Talente der Landwirtschaft. Farmen von mehreren tausend Hektar werden mit mehr Geschick geleitet, mit einer zweckmäßigeren und ökonomischeren Ausnutzung der vorhandenen Mittel und einem höheren Ertrag als Farmen von 40 Hektar."224
Gleichzeitig stieg die Last der direkten wie der indirekten Steuern enorm. Mitten im Bürgerkriege wurde ein neues Finanzgesetz geschaffen. Der Kriegstarif vom 30. Juni 1864, der die Hauptgrundlage des noch heute geltenden Systems bildet, erhöhte die Verbrauchssteuern und die Einkommenssteuern in außerordentlichem Maße. Hand in Hand damit begann eine wahre Orgie der Schutzzöllnerei, die jene hohen Kriegssteuern als Vorwand nahm, um die Belastung der einheimischen Produktion durch Zölle auszugleichen.225 Die Mr. Morrill, Stevens und die anderen Gentlemen, die den Krieg benutzten, um mit ihrem protektionistischen Programm Sturm zu laufen, haben das System begründet, wonach die Zollpolitik offen und zynisch zum Werkzeug jeglicher Privatinteressen der Plusmacherei gemacht wurde. Jeder einheimische Produzent, der vor dem gesetzgebenden Kongreß erschien, um irgendeinen speziellen Zoll zu verlangen, damit er seine Taschen füllen konnte, sah sein Verlangen in willfähriger Weise erfüllt. Die Zollsätze wurden so hoch hinaufgeschraubt, wie nur irgend jemand es forderte. "Der Krieg", schreibt der Amerikaner Taussig, "hatte in mancher Hinsicht auf unser Nationalleben erfrischend und veredelnd gewirkt, aber seine unmittelbare Wirkung auf das Geschäftsleben und auf die ganze Gesetzgebung betreffend Geldinteressen war eine demoralisierende. Die Grenzlinie zwischen öffentlicher Pflicht und Privatinteressen war von den Gesetzgebern oft aus dem Auge verloren. Große Vermögen wurden gemacht durch Gesetzesveränderungen, die von denselben Leuten verlangt und durchgesetzt wurden, die die Nutznießer der neuen Gesetze waren, und das Land sah mit Bedauern, daß die Ehre und die Ehrlichkeit der Männer der Politik nicht unangetastet blieben." Und dieser Tarif, der eine ganze Umwälzung im ökonomischen Leben des Landes bedeutete, der zwanzig Jahre lang unverändert gelten sollte und im Grunde genommen bis jetzt die Basis der zollpolitischen Gesetzgebung der Vereinigten Staaten bildet, wurde buchstäblich in 3 Tagen im Kongreß und in 2 Tagen im Senat durchgepeitscht - ohne Kritik, ohne Debatte, ohne jede Opposition.226
Mit diesem Umschwung in der Finanzpolitik der Vereinigten Staaten begann die schamlose parlamentarische Korruption der Union, der offene und skrupellose Gebrauch der Wahlen, der Gesetzgebung und der Presse als Werkzeuge nackter Tascheninteressen des Großkapitals. Das Enrichissez-vous wurde zur Losung des öffentlichen Lebens seit dem "edlen Kriege" um die Befreiung der Menschheit vom "Schandfleck der Sklaverei"; der Negerbefreier-Yankee feierte Orgien als Glücksritter der Spekulation an der Börse, schenkte sich selbst als Gesetzgeber nationale Ländereien, bereicherte sich selbst durch Zölle und Steuern, durch Monopole, Schwindelaktien, Diebstahl des öffentlichen Vermögens. Die Industrie kam in Blüte. Jetzt waren die Zeiten vorbei, wo der kleine und mittlere Farmer fast ohne Bargeld auskommen und seinen Weizenvorrat noch nach Bedarf hie und da dreschen konnte, um ihn zu Geld zu machen. Jetzt mußte der Farmer immer Geld, recht viel Geld haben, um seine Steuern zu zahlen, er mußte bald alles, was er hervorbrachte, verkaufen, um wieder alles, was er brauchte, aus der Hand der Manufakturisten als Ware zu erwerben. "Wenn wir uns der Gegenwart zuwenden", schreibt Peffer, "so finden wir, daß sich fast alles verändert hat. Im ganzen Westen besonders dreschen alle Farmer ihren Weizen gleichzeitig, sie verkaufen ihn ebenfalls auf einmal. Der Farmer verkauft sein Vieh und kauft irisches Fleisch oder Speck, er verkauft seine Schweine und kauft Schinken und Schweinefleisch, er verkauft