Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Jetzt wurde den europäischen Mächten zugestanden, Gesandte in Peking zu halten, Tientsin und andere Städte wurden dem Handel eröffnet. Während in England die Antiopiumliga gegen die Verbreitung des Giftes in London, Manchester und anderen Industriebezirken arbeitete und eine vom Parlament ernannte Kommission den Genuß des Opiums für höchst schädlich erklärte, wurde der Opiumeinfuhr nach China noch in der Tschi-fu-Konvention 1876 die Freiheit gesichert. Gleichzeitig sicherten alle Staatsverträge mit China den Europäern - Kaufleuten wie Missionen - das Recht auf Landerwerb zu. Hierbei half neben dem Feuer der Geschütze auch bewußter Betrug kräftig mit. Nicht nur bot die Zweideutigkeit der Vertragstexte eine bequeme Handhabe zur stufenweisen Ausdehnung der vom europäischen Kapital in den Vertragshäfen besetzten Gebiete. Auf Grund der bekannten frechen Fälschung im chinesischen Text der französischen Zusatzkonvention vom Jahre 1860, den der katholische Missionar Abbé Delamarre als Dolmetscher ausgefertigt hatte, wurde der chinesischen Regierung in der Folge das Zugeständnis abgepreßt, den Missionen nicht bloß in den Vertragshäfen, sondern in allen Provinzen des Reiches Landerwerb zu gestatten. Die französische Diplomatie wie namentlich die protestantischen Missionen waren einig in der Verurteilung der raffinierten Schwindelei des katholischen Paters, was sie jedoch nicht hinderte, auf der Anwendung der so eingeschmuggelten Rechtserweiterung der französischen Missionen energisch zu bestehen und sie 1887 ausdrücklich auch auf die protestantischen Missionen ausdehnen zu lassen.219
Die Erschließung Chinas für den Warenhandel, die mit dem Opiumkriege begonnen war, wurde mit der Serie der "Pachtungen" und der Chinaexpedition des Jahres 1900 besiegelt, in der die Handelsinteressen des europäischen Kapitals offen in internationalen Landraub umschlugen. Fein kehrt diesen Widerspruch zwischen der anfänglichen Theorie und der schließlichen Praxis der europäischen "Kulturträger" in China die Depesche der Kaiserin-Witwe hervor, die nach der Einnahme der Takuforts an die Königin Victoria schrieb:
"Ew. Majestät einen Gruß! - In allen Verhandlungen Englands mit dem chinesischen Reiche, seit Beziehungen zwischen uns angeknüpft wurden, ist auf seiten Großbritanniens niemals die Rede von Vergrößerung des Landbesitzes gewesen, sondern nur von dem eifrigen Wunsch, die Interessen seines Handels zu fördern. Die Tatsache erwägend, daß unser Land nunmehr in einen entsetzlichen Kriegszustand gestürzt ist, erinnern wir uns daran, daß ein großer Teil von Chinas Handel, 70 oder 80 Prozent, mit England abgeschlossen wird. Außerdem sind Eure Seezölle die niedrigsten in der Welt und wenig Beschränkungen in Euren Seehäfen auf fremde Einfuhr gelegt. Aus diesen Gründen haben unsere freundlichen Beziehungen mit britischen Kaufleuten in unseren Vertragshäfen ununterbrochen während des letzten halben Jahrhunderts zu unserem wechselseitigen Vorteil bestanden. Aber ein plötzlicher Wechsel ist nun eingetreten, und ein allgemeiner Verdacht hat sich gegen uns erhoben. Wir möchten Euch daher bitten, zu überlegen, wenn durch eine gewisse Kombination der Umstände die Unabhängigkeit unseres Reiches verlorengehen sollte und die Mächte sich einigen, ihren längst gehegten Plan, sich unseres Gebietes zu bemächtigen, durchzuführen (in einer gleichzeitigen Depesche an den Kaiser von Japan spricht die temperamentvolle Tsi Hsi offen von den "landhungrigen Mächten des Westens, deren gefräßige Tigeraugen in unsere Richtung hin schielen" - R. L.), so würde das Ergebnis unglücklich und verhängnisvoll auf Euren Handel wirken. Zur Zeit bemüht sich unser Reich auf das äußerste, ein Heer und Mittel aufzubringen, die seinen Schutz verbürgen. Inzwischen verlassen wir uns auf Eure guten Dienste als Zwischenträger und erwarten dringend Eure Entschließung."220
Zwischendurch laufen in jedem Kriege Plünderung und Diebstahl en gros der europäischen Kulturträger in den chinesischen Kaiserpalästen, öffentlichen Gebäuden, an altertümlichen Kulturdenkmälern, so gut im Jahre 1860, wo der Palast des Kaisers mit seinen märchenhaften Schätzen von Franzosen geplündert wurde, wie 1900, wo "alle Nationen" öffentliches und privates Gut um die Wette stahlen. Rauchende Trümmer größter und ältester Städte, Verfall der Ackerkultur auf großen Strecken platten Landes, unerträglicher Steuerdruck zur Erschwingung der Kriegskontributionen waren die Begleiter jedes europäischen Vorstoßes, Hand in Hand mit den Fortschritten des Warenhandels. Von den mehr als 40 chinesischen Treaty ports ist jeder mit Blutströmen, Gemetzel und Ruin erkauft worden.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Der Kampf gegen die Bauernwirtschaft
Ein wichtiges Abschlußkapitel des Kampfes mit der Naturalwirtschaft ist die Trennung der Landwirtschaft vom Gewerbe, die Verdrängung der ländlichen Gewerbe aus der Bauernwirtschaft. Das Handwerk kommt geschichtlich als eine landwirtschaftliche Nebenbeschäftigung zur Welt, bei den ansässigen Kulturvölkern als Anhängsel des Ackerbaus. Die Geschichte des europäischen Handwerks im Mittelalter ist die Geschichte seiner Emanzipation von der Landwirtschaft, seiner Loslösung vom Fronhof, seiner Spezialisierung und Entwicklung zur zunftmäßigen städtischen Warenproduktion. Trotzdem die gewerbliche Produktion weiter vom Handwerk über Manufaktur zur großindustriellen kapitalistischen Fabrik vorgeschritten war, blieb auf dem Lande in der bäuerlichen Wirtschaft das Handwerk noch zäh an der Landwirtschaft haften. Als häusliche Nebenproduktion in der vom Ackerbau freien Zeit spielte das Handwerk zum Selbstbedarf in der bäuerlichen Wirtschaft eine hervorragende Rolle.221 Die Entwicklung der kapitalistischen Produktion entreißt der bäuerlichen Wirtschaft immer einen Zweig des Gewerbes nach dem anderen, um sie zur fabrikmäßigen Massenproduktion zu konzentrieren. Die Geschichte der Textilindustrie ist dafür ein typisches Beispiel. Dasselbe vollzieht sich aber, weniger auffällig, mit allen anderen Handwerkszweigen der Landwirtschaft. Um die Bauernmasse zur Abnehmerin seiner Waren zu machen, ist das Kapital bestrebt, die bäuerliche Wirtschaft zunächst auf den einen Zweig zu reduzieren, dessen es sich nicht sofort - und in europäischen Eigentumsverhältnissen überhaupt nicht ohne Schwierigkeit - bemächtigen kann: auf die Landwirtschaft.222 Hier scheint äußerlich alles ganz friedlich abzugehen. Der Prozeß ist unmerklich und gleichsam von rein ökonomischen Faktoren bewirkt. Die technische Überlegenheit der fabrikmäßigen Massenproduktion mit ihrer Spezialisierung, mit ihrer wissenschaftlichen Analyse und Kombination des Produktionsprozesses, mit ihren Bezugsquellen der Rohstoffe vom Weltmarkt und ihren vervollkommneten Werkzeugen steht im Vergleich mit dem primitiven bäuerlichen Gewerbe außer jedem Zweifel. In Wirklichkeit sind bei diesem Prozeß der Trennung der bäuerlichen Landwirtschaft vom Gewerbe Faktoren wie Steuerdruck, Krieg, Verschleuderung und Monopolisierung des nationalen Grund und Bodens wirksam, die gleichermaßen in das Gebiet der Nationalökonomie, der politischen Gewalt und des Strafkodex fallen. Nirgends ist dieser Prozeß so gründlich durchgeführt wie in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Eisenbahnen, d.h. europäisches, hauptsächlich englisches Kapital, führten den amerikanischen Farmer Schritt für Schritt über die unermeßlichen Gefilde des Ostens und Westens der Union, wo er die Indianer mit Feuerwaffen, Bluthunden, Schnaps und Syphilis vertilgte und gewaltsam vom Osten nach dem Westen verpflanzte, um sich ihren Grund und Boden