Mami Bestseller Box 1 – Familienroman. Jutta von Kampen
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Es ist beinahe so wie damals, dachte Gitta ebenfalls.
Henrik war mit der Kleinen vor ein paar Minuten losgefahren, hatte ihr natürlich vorher noch schöne und erholsame Tage gewünscht und seine Tochter etwas barsch ermahnt, endlich den Mund zu halten. Die Tante Gitta hätte sich auch etwas Ruhe verdient.
Ja, die würde sie ganz sicher haben, und zwar in ihrer Wohnung. Nur gut, dass sie die noch hatte und ihre Untermieterin über die Feiertage zu den Eltern gefahren war. So brauchte sie nur noch ihre Freundin anzurufen, damit diese sie nicht verriet, und im nächsten Supermarkt ein paar Vorräte zu kaufen.
Ob sie letztere überhaupt brauchte, wusste sie nicht so genau. Hunger hatte sie jedenfalls nicht, nur das Bedürfnis, nicht mehr denken zu müssen – oder zu weinen, bis die Tränen endlich versiegten.
Henrik versuchte unterdessen, sein schlechtes Gewissen zu beschwichtigen, und redete sich ein, dass es durchaus von Vorteil war, wenn Gitta bei diesem Osterausflug nicht dabei war. Nur so würde er Mutter und Tochter einander näherbringen können. Oder gab es noch einen anderen Grund, einen, den er sich nach der ›Nacht des Wiedersehens‹ selbst verboten hatte?
Evelin hatte diese Probleme nicht. Für sie war er ein freier Mann, der zwar mit einer Frau zusammenlebte, die aber eigentlich doch nur die Betreuerin des Kindes und seine Haushälterin war und nach nichts aussah. Warum sollten sie nicht die alten Gefühle aufwärmen? Und vielleicht vertrugen sie sich jetzt besser als je zuvor, jetzt, da sie älter und reifer waren – und Reni schon ein verständiges Mädchen war. Außerdem war er nicht mehr der ein wenig linkische, naive Jüngling, sondern ein weltgewandter, kluger und attraktiver Mann geworden, ein Mann in einer guten Position, der ebensolches Geld verdiente. Er würde auch in München eine annehmbare Stellung finden, vielleicht sogar eine besser bezahlte als hier in der Provinz. Natürlich würde sie ihn in jeder Hinsicht unterstützen.
Er teilte ihre Sorglosigkeit nicht und ging auch nicht so recht auf ihre Zukunftspläne und ihre zur Schau gestellte Fröhlichkeit ein. Er lachte und scherzte zwar mit der Kleinen und hielt sie bei Laune, war ihr gegenüber doch ziemlich reserviert.
»Lass mir Zeit zum Nachdenken.« Mit diesen Worten beendete er schließlich die rosaroten Beschreibungen von München als Weltstadt und Metropole des Freistaates Bayern, mit denen sie ihn am Abend erfreute.
»Aber, Henrik, ich meine es doch nur gut. Und ich weiß auch, was ich falsch gemacht habe. Ich werde euch nicht noch einmal verlassen.« Sie legte eine Hand auf sein Knie, schmeichelnd und verheißungsvoll. Und da Reni zu diesem Zeitpunkt schon fest schlief, erging es ihm wie dem Fischer aus einem Gedicht des Herrn von Goethe: ›Halb zog sie ihn, halb sank er hin.‹
Danach hatte er immerhin noch so viel Verstand, die Nacht auf der Couch zu verbringen und Evelin das schöne und breite Doppelbett zu überlassen. Er kannte sein Töchterchen. Das war nämlich meist schon vor Tau und Tag auf den Beinen und hätte sich doch sehr gewundert, ihn bei der ›Muttitante‹ schlafend vorzufinden. Reni hätte es auch allen erzählt, wenn sie so etwas gesehen hätte –, der Uroma, den Nachbarskindern und vor allem ihrer Tante Gitta.
Heute hatte er jedoch Glück. Reni schlief länger als sonst, sodass er deren Mutter leise wecken konnte.
Bei seinen unmissverständlichen Worten: »Steh auf, und zieh dich an!«, murrte Evelin nur und drehte sich auf die andere Seite.
»Aufstehen, hab ich gesagt, und zwar sofort!« Er zog ihr die Bettdecke weg, worauf sie ihn anfauchte: »Lass das, ich will noch schlafen.«
»Wir haben ein Kind, das hier bald auf der Matte stehen wird und Frühstück haben will.«
»Ja, ja, ich stehe ja schon auf.« Sie erhob sich gähnend und widerwillig und schlich zum Bad, wo sie wie in früheren Zeiten lange brauchte, um ihre Schönheit aufzufrischen.
Viel zu lange, fand Henrik und sorgte dann mit ein paar deftigen Sprüchen gerade noch rechtzeitig dafür, dass Reni von dem nächtlichen Geschehen tatsächlich nichts mitbekam. Als sie erwachte, kam die ›Muttitante‹ eben zur Tür herein, hübsch und adrett und setzte sich zu ihnen an den Frühstückstisch.
»Und wann darf ich Ostereier suchen?«, wollte die Kleine wissen, nachdem sie ihr Müsli verzehrt hatte.
Mein Gott, heute war ja Ostern! Die Eltern dieses aufgeweckten Kindes schauten sich beinahe entsetzt an. Ihm fiel schließlich der Karton mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken ein, von dem Gitta gesprochen hatte. An den hätte er wirklich eher denken müssen.
Evelin fasste sich jedoch schnell und rief: »Der Osterhase hat sich vorhin gemeldet und gesagt, dass er etwas später kommt, dich aber ganz bestimmt nicht vergessen hat.«
»Und da ein Osterhase immer alles ganz heimlich macht, werden wir jetzt einen kleinen Spaziergang machen«, fügte Henrik hastig hinzu. »Die Mutti wird dir beim Anziehen helfen und dann mit dir vorausgehen zum – Stadtwall. Da blühen jetzt schon die Buschwindröschen. Ich räume die Küche auf und komme dann gleich nach.«
Reni war von dieser Verfahrensweise nicht überzeugt und nörgelte: »Und wie kommt der Osterhase in unsere Wohnung hinein?«
»Durch das Küchenfenster, so wie in jedem Jahr.«
»Ach so. Ich will aber nicht mit der Tante zum Stadtwall gehen. Du kannst doch mitkommen und sie räumt auf.«
»Das geht nicht, Renimaus«, wehrte Henrik ab, während er seine Tochter an die Hand nahm und mit ihr zur Garderobe ging. »Deine Mutter wohnt hier nicht und kennt sich daher nicht aus.«
»Stimmt, sie weiß nicht, wo wir die Tassen im Schrank haben.« Die Kleine lachte schon wieder und verließ dann mit ihrer ziemlich mürrisch dreinblickenden Mutter die Wohnung.
*
Ihr Körbchen war gut gefüllt mit Osterhasen, Eiern und kleinen Enten aus Schokolade und Marzipan, zwei Hefte zum Ausmalen und Glitzerstifte hatte der Osterhase auch gebracht. Wie der allerdings unter die Kommode gekommen war, konnte sich Reni beim besten Willen nicht vorstellen. Aber vielleicht gab es den Osterhasen bloß im Fernsehen oder im Supermarkt. Vielleicht hatte der den Papa beauftragt, die bunte Stifteschachtel unter die Kommode zu schieben. Aber eigentlich war das völlig egal. Sie freute sich über die Geschenke einerseits, andererseits war sie traurig, dass die Tante Gitta beim Eiersuchen nicht dabei gewesen war. Mit ihr wäre es viel lustiger gewesen, als mit der Tante aus München, die noch nicht ein einziges Mal so richtig mit ihr gespielt hatte. Sie saß nur beim Papa und erzählte viel und lachte manchmal auch. Der Papa lachte nicht, der hatte wahrscheinlich wieder Kopfschmerzen.
Zum Mittagessen waren sie in einem Lokal gewesen, wo man wer weiß wie lange ganz still am Tisch sitzen musste und so gut wie nichts sagen durfte. War das langweilig gewesen! Und geschmeckt hatte es dort auch nicht.
Inzwischen wieder daheim, hatte sie sich sofort in ihr Zimmer zurückgezogen, wo sie eifrig damit begann, ein Bild für ihre Tante Gitta zu malen.
Evelin und Henrik saßen derweil im Wohnzimmer, tranken Kaffee und aßen von dem Kuchen, den Gitta gebacken hatte. Die Frau Doktor genehmigte sich jedoch nur ein klitzekleines Stück, sie achtete auf ihre Figur und war ohnehin so missgestimmt, dass ihr der Appetit vergangen war.
»Ich verstehe nicht, dass Irene sich mir gegenüber so abweisend verhält«, klagte sie und schaute ihren Ex-Mann an, als wäre er an diesem Zustand schuld. »Ich gebe mir so viel Mühe mit der Kleinen. Und was macht sie? Sie jammert