Sarah Kern - LEBEN!. Sarah Kern

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Sarah Kern - LEBEN! - Sarah Kern

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zwingend etwas mit Recht oder Gerechtigkeit zu tun haben, damals aber noch nicht.

      »Na ja, ein guter bestimmt so hunderttausend Mark«, trumpfte er siegesgewiss auf.

      »Du, Papa, das reicht mir nicht. Ich mache mehr, vertrau‘ mir. Ich mache jetzt Millionen mit Modeln, don‘t you worry. Da fällt mir schon was ein.«

      Er sah mich eindringlich an, um mir letztlich meinen Willen zu lassen: »Ja gut, Kind, wenn du das jetzt sagst, was soll ich machen. Du hast dein Leben lang eh immer gemacht, was du wolltest.«

      Ich weiß, ich weiß, meine Argumente waren alles andere als fundiert und vertrauenerweckend. Aber mein Vater kannte jede Schraube in meinem Kopf, wusste aus dem Effeff, wie ich ticke. Und er hatte mir in die Augen geschaut, darin den unbedingten Willen erkannt. Damit hatte ich seinen Segen errungen, nicht mit Argumenten.

      Mein Weg führte mich nach Mailand. Nur, Milano fand ich als Model ganz schrecklich. Mit gerade einmal sechzehn Jahren wohnte ich in einer Model-WG und musste erkennen, dass der Weg zur Karriere dort scheinbar nur durch die Betten von Fotografen, Modelscouts und Agenturkunden führte. Dabei gehörte meine Agentur zu den sehr guten, war in meinen Augen aber nichtsdestotrotz auch verdorben und korrupt. So wurde vorausgesetzt, dass Models unter Vertrag auch für „gesellige“ Abendessen mit Klienten bereitstanden. Das mutete schon wie ein schmuddeliger Hostessenservice an. Neue Blondinen unter achtzehn Jahren sorgten äußerst zeitnah dafür, dass die Stretchlimos reicher Säcke vor dem Haus unserer Model-WG vorfuhren, weil die „Herren“ sich von der Agentur offensichtlich über neues „Frischfleisch“ informieren ließen. Bei dem Andrang musste ich keine Hellseherin sein, um zu verstehen, dass lukrative Nebeneinnahmen in Form von Vermittlungsprovisionen flossen. Aus erster Hand erfuhr ich, dass einzelne Mädchen mit den Klienten ins Bett gingen. Eine blutjunge US-Amerikanerin erzählte mir, wie es mit einem alten Mann aus dem Restaurant direkt ins Hotelzimmer gegangen war – für lieblosen schnellen Sex.

      »Warum hast du das mitgemacht?«, fragte ich sie verständnislos.

      »Von irgendwas muss ich ja leben«, bekam ich zu hören.

      Das gab mir in doppelter Hinsicht zu denken. Zunächst einmal, wo war da der Unterschied zwischen Model und Hure? Und eine einträgliche Alternative war der Agentur bei diesem Geschäftsmodell auch sicher. Erhielt ein Model zu wenig Aufträge und war deshalb knapp bei Kasse, hielt man eine vermeintliche Lösung parat.

      Auch Drogen gehörten zum „Spiel“, standen auf sogenannten Model-Partys von und für Männer der guten Gesellschaft – mit Geld bis zum Abwinken – auf fetten Tellern bereit. Schampus und Koks waren keine Ausnahme, sondern die Regel.

      Selbst die „Bullen“ auf der Straße pfiffen einem hinterher und ließen den Gockel heraushängen: »Ciao bionda«, bla bla bla, rhabarber rhabarber. Ich konnte den Scheiß irgendwann nicht mehr hören.

      Schon etwa ein halbes Jahr lebte ich als Model in Mailand und hielt mich so gut es ging von den Untiefen des Geschäftes fern. Es blieb aber nicht aus, hin und wieder auch ins Restaurant eingeladen zu werden und Konversation mit Agenturpartnern zu betreiben. Ein Mann namens Dino, Italiener aus Mailand, saß bei einer Gelegenheit am vollbesetzten Tisch direkt neben mir und war angetan. Sympathisch fand ich ihn durchaus auch. Trotzdem machte ich aus meiner Einstellung keinen Hehl und schlug ihm frech lachend vor, sich für den späteren Abend besser an die anderen Mädchen zu halten.

      »Ich will gar nichts von dir, du freche Dänin, du. Ich habe da auch meine klare Einstellung. Aber ich finde dich witzig, du hast Charakter. Ich werde dich beschützen.«

      Und mit wohlwollendem Grinsen ergänzte er: »Wenn ich dich nicht haben darf, darf dich auch kein anderer verspeisen. – Komm doch morgen zu mir, ich gebe eine Party. Du wirst es mögen. Was hältst du davon?«

      Etwas an seiner offenen Art und dem charmanten Humor sagte mir, ich konnte ihm vertrauen. Auch lud er die übrigen Models am Tisch nicht ein, obwohl er mit denen auf Wunsch leichtes Spiel gehabt hätte. Ja, ich war bereit, den kleinen Italiener am nächsten Tag zu besuchen.

      Die Gasse lag in einem alten Teil der Innenstadt. Sie war breit und wirkte mit dem alten Mauerwerk der Fassaden, den gusseisernen Straßenlaternen düster. Auch war die Sonne bereits untergegangen, was zu der Stimmung beitrug. Wo war die gesuchte Hausnummer? Sollte etwa jenes „Scheunentor“ dazugehören? Und wirklich, so war es. Nicht schäbig, aber auch nicht gerade ein herrschaftliches Eingangsportal. Ich hatte etwas anderes erwartet und haderte, zumal die gesamte Häuserfront keinen Glanz verströmte. Anstatt einer Klingel, die ich vergeblich suchte, gab es einen Metallstab, der durch Ziehen einen Mechanismus auslöste. Weil mir das befremdlich vorkam, klopfte ich zur Sicherheit auch gegen das massive Holz.

      Kurz darauf wurde das Portal geöffnet, und die noch junge Stéphanie von Monaco stand mir gegenüber. Ein kurzes »Salut!« und »Au revoir!«, und sie spazierte in der Gasse davon. Sieh an, so falsch konnte ich wohl doch nicht sein und trat ein in eine andere Welt, irgendwo zwischen Kitschroman und Walt-Disney-Märchen. Nach links oder rechts? Beide Richtungen bot mir der Kiesweg im üppig begrünten Innenhof an. Ich entschied mich für rechts und passierte einen künstlichen See, den ich über eine verspielt surreale Holzbrücke überquerte. Die Krönung des Absurden waren zwei lebende Schwäne inmitten des Gewässers, die einander zugewandt nun auch noch die Hälse zum Herz formten. Mein lieber Mann, Dino, du trägst aber mächtig dick auf, dachte ich noch und was es wohl kostete, eine ganze Hollywood-Kulisse nach Italien verfrachten zu lassen.

      Das Haus stand offen, und ich befand mich auch schon inmitten eines rauschenden Festes mit sexy Schönheiten und auch sonst allem, was gewöhnlich eine Model-Party ausmachte. Was für ein Kontrast, wie in einem Fellini-Film. Die Einrichtung war geschmackvoll und gediegen, überall namhafte Fotokunst. Bei anderen Gästen, die offensichtlich selber fremd waren, aber dennoch zwanglos ihrer Langeweile bekämpften, fragte ich nach dem Gastgeber. Niemand wusste nichts Genaues. Zwei Etagen hatte das Haus außer dem Erdgeschoss, also begann die Suche.

      »Dino, Dino!«, rief ich mantraartig.

      Wenn ich schon einmal dort war, wollte ich ihn auch sehen, und zu den oberflächlichen Weibern im Erdgeschoss wollte ich mich keinesfalls setzen, da wäre ich lieber wieder gegangen. Verdammt nochmal, wo war er! Wie ich während meiner Entdeckungstour herausfand, gab es noch ein abgedunkeltes Kellergeschoss, was nichts anderes war als eine Schwimmhalle – aber ohne Dino. Am Ende zählte ich im Ganzen vier Kellergeschosse. Kaum zu glauben, wer nannte denn so etwas sein Eigen? Das war ja tiefer als die Moskauer Metro! Monumentale Palastarchitektur und prunkvolle Gewölbe mit Kronleuchtern wie dort fand ich zwar nicht, dafür aber noch eine Tennishalle, in der Dino mit einem Supermodel gerade den Tennisschläger kreisen ließ.

      Er freute sich mich zu sehen und unterbrach die Partie für eine eingehende Unterhaltung. Auf der Treppe zur Tennishalle sitzend, erzählten wir uns von unserem Leben, und er bekräftigte sein Versprechen, während meiner Zeit in Italien auf mich aufpassen zu wollen. Dieser Mann begegnete mir ohne Hintergedanken, nur auf Grundlage von Sympathie und Respekt. In Mailand blieb er für mich die einzige Persönlichkeit von Format.

      Unverhofft sollte ich wieder vor einer schwerwiegenden Entscheidung stehen, ausgerechnet während des nachmittäglichen Castings in einem Hotel – was sich so Casting nannte. Wie die sprichwörtlichen Hühner saßen richtige Prachtweiber und eben auch ich im improvisierten Vorzimmer und warteten. Eine nach der anderen wurden wir zum Gespräch hereingerufen. Als ich an der Reihe war, erwartete mich der Inhaber einer der namhaftesten Pariser Modelagenturen im Bademantel auf einem Bett liegend, der obligatorische Teller mit Koks zu seiner Linken.

      Mit französischem Akzent sprach er lasziv die Worte: »Ah, petit Sarah. I make you a Megastar, if you fly with me tomorrow to Paris ...«

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