Der Krimi an sich. Jerry Cotton

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Der Krimi an sich - Jerry Cotton Kommissar Y

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veruntreut hat, was wiederum auf enttäuschte Liebe zu Onkel Eduard ... Ich breche ab. Nur einer ist nicht mehr dabei, weniger, weil er verbraucht ist, sondern mehr, weil er als Beruf heute nicht mehr existiert, nämlich der Gärtner. Den Garten pflegt heute die Casa Bianca Immobilien Service GmbH & CoKG unter Einsatz von ungelernter Billiglohnkräften aus Billiglohnländern, und dieser Servicebetrieb ist nicht nur steuersparend, sondern als Mörder gänzlich ungeeignet. Wie soll man jemanden verdächtigen, der nur Kiezdeutsch kann und einem sagt: »Ey, rockst du, lan, Alter Ischwör, war so.«

      Das Whodunit-Treiben ist nicht spannend. Es ist das, was man in der Branche »Mystery« nennt. So etwas war vielleicht früher spannend, als die Menschen noch Patiencen legten und sich in englischen Adelshäusern zum Dinner umzogen, ehe Inspektor Hercule Dreyfuß sie alle im Salon versammelte, ihnen nacheinander ihr Sündenregister erzählte, um zum Schluß der bislang völlig unverdächtigen Harriett, Studentin der Kunstgeschichte, die Tat auf den Kopf zuzusagen, weil sie infolge ihres Studiums als einzige wusste, wie man die Schrauben der Ritterrüstung lockern konnte, die von derem seit Jahrhunderten innegehabtenStandort im dritten Stock durch den offenen Treppenschacht just zu dem Zeitpunkt nach unten gestürzt war, als das Mordopfer dort seine Sammlung von Dunhill Pfeifen sortierte, was weder ihm noch den Pfeifen bekam. Auch das Tatmotiv kann der Inspektor liefern. Harriet hat nämlich über Jahre hinweg die zahlreichen Gemälde in der Schloßgalerie von Tizian, Rubens, Constable und anderen Kunstmalern gegen Fälschungen ausgetauscht, die John Cruft, ihr Kommilitone an der Kunstakademie und zugleich ihr skrupelloser Liebhaber, angefertigt hatte, um die Originale auf dem internationalen grauen Kunstmarkt an Scheichs und andere Geldbonzen zu verkaufen, denen es nichts ausmachte, geklaute Kunstwerke zu besitzen. Früher war so etwas vielleicht spannend. Heute ist es das nicht mehr.

      Der berühmteste Spannungskrimi ist mir noch genau im Gedächtnis geblieben, weil ich ihn als Kind gelesen habe und noch lange über den angeblichen Tod des Autors an der spannendsten Stelle empört war. Ich meine »Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym« von Edgar Allan Poe (1809-1849), dem Erfinder des amerikanischen Krimis. Der Ich-Erzähler Pym ist ein Seefahrer, der sich als blinder Passagier an Bord eines Walfängers schleicht, auf welchem eine blutige Meuterei stattfindet, die ihn beinah das Leben kostet. Doch gelingt ihm in der Verkleidung des Gespenstes der halbverwesten Leiche eines toten Meuterers mit einigen Kameraden die Rückeroberung des Schiffes, das alsbald in einen Sturm gerät und in ein kieloben treibendes Wrack verwandelt wird. Ein fliegender Holländer, ein holländisches Schiff voller Leichen, treibt vorbei. Hunger und Durst schwächten Pym und seine Kameraden, so daß sie auslosen, wer sterben und den anderen als Nahrung dienen soll. Es kommt zum Kannibalismus. In letzter Minute rettet ein englisches Segelschiff Pym. Dessem Kapitän segelt auf der Suche nach Reichtum nach Süden, weiter als je ein Mensch das geschafft hat, durchquert große Eisfelder und kommt schließlich in eine warme (!) Strömung, die in Richtung Südpol führt. (Niemand hatte mir damals gesagt, daß die Antarktis ein Kontinent ist. Meine einzige Lesehilfe war eine Taschenlampe, da ich nachts unter der Bettdecke anknipste.) Unterwegs treffen sie auf eine Inselgruppe, in der schwarze Wilde beim Anblick von etwas Weißem in panischen Schrecken geraten und den Ruf »tekeli-li« ausstoßen, was ungefähr soviel wie »Mahlzeit« bedeutet. Die Eingeborenen tun ungeachtet ihrer Panik freundlich, locken die Abenteurer dann aber in einen Hohlweg, in dem es zum Kampf kommt. Das Schiff explodiert (ob im Hohlweg,weiß ich nicht mehr). Nur Pym und sein Freund Peters können sich retten und zusammen mit einem Eingeborenen, den sie gefangengenommen haben, in einem Kanu fliehen. Die Strömung treibt das Kanu weiter nach Süden, das Meer erhitzt sich mehr und mehr (am Südpol!), weiße Vögel fliegen umher, vom Himmel regnet weiße Asche, das Meer fängt an zu kochen, das Wasser leuchtet, Strudel bilden sich. Der Eingeborene stirbt vor Grauen. Eine lautlose Stromschnelle wird sichtbar, Bildgestalten erscheinen, »ungeheure und fahlweiße Vögel« fliegen umher. Die Vögel stürzen in einen Katarakt und sehen eine verhüllte, gewaltige, übermenschliche Gestalt, kein »Menschengezeugter«, mit einer Haut von »makellosem Weiß des Schnees« ... An dieser Stelle bricht die Erzählung ab und ein gewisser Mr. Edgar Allan Poe teilt dem Leser mit, sein Freund Mr. Gordon Pym, der Autor des Buches, sei an dieser Buchstelle plötzlich verstorben. Ich denke, Sie können meine Empörung verstehen. Sie galt damals dem Mr. Pym, der so unzart war, an der spannendsten Stelle seines Berichtes zu versterben. Heute weiß ich, daß Mr. Poe selbst es war, der diesen Bericht geschrieben hatte, und ich bin doppelt empört über diesen hundsgemeinen Trick, dem ich als argloses Kind zum Opfer gefallen bin. Erst als ich aus Hans-Dieter Gelferts Biographie »Poe -Am Rande des Malstroms« (erschienen 2008 bei C. H. Beck) erfuhr, daß das Buch über Pym seinerzeit auf dem Buchmarkt ein Flop war, habe ich mich ein wenig beruhigt. Es gibt doch noch eine Gerechtigkeit auf Erden.

      IV. Der Plot

      Ein Krimi sollte einen Plot haben. Was ist ein Plot? Das abstrakt zu sagen fällt schwer. Das englische Wort »Plot« hat ähnlich wie der in Bayern verbreitete Ausdruck »Ja mei« mindestens hundert verschiedene Bedeutungen. Wikipedia nennt beim Stichwort »Plot« neben vielem anderen das in der »Dramaturgie für den ursächlichen Zusammenhang eines vorgestellten Ereignisverlaufs zu einem bestimmten Ende« gebildete Dingsda, also, in der Sprache eines früheren Bundeskanzlers, so ein Gedöns (»Der Minister X ist Minister für so ein Gedöns d.h. Landwirtschaft, Verkehr, Jugend, Familie – eben so ein »Gedöns«.) Das macht den Leser bei Wikipedia nicht schlauer. So klickt er die Stichwörter »Handlung« und »Erzählkunst« an, auf die der Artikel verweist. Bei »Handlung« wird er zu Aristoteles geführt, der in seiner Poetik die komplizierte Handlung im Unterschied zur einfachen Handlung beschreibe. Sie habe ein andere Ende als das zunächst in Aussicht gestellten. Sie verlaufe in einer ersten Zusammenhangskette, die jählings notwendig in eine andere, meist ein entgegengesetztes Ende implizierende, überspringe. Was eigentlich gemeint gewesen sei, schlage auf einmal ins Gegenteil dessen um, wozu es ins Werk gesetzt worden sei. Statt Rettung trete der Untergang ein. So werde der ursprünglichen Auffassung der vorgestellten Verhältnisse und ihrer Weiterungen der Boden entzogen. Alle gemachten Voraussetzungen müssten entsprechend der neuen Handlungsrichtung umgewertet werden. Der Feind werde zum Freund, Abneigung, die man zu verspüren glaubte, werde zu Liebe, Kleinmut entpuppe sich als Kühnheit, und dergleichen mehr. Die stärkste Wirkung habe dieser Umschwung, wenn statt eines erwarteten Glücks ein Unglück eintrete. Auch die umgekehrte Richtung sei möglich, sogar gängiger, wennglich weniger wirkungsvoll. Die Anteilnahme des Zuschauers wachse, je unähnlicher ihm die betroffene Person sei, da man Leuten, die man für schlechter als sich selber halte, das Unheil gönne. Der Sturz der einem selbst ähnlichen Person mache dagegen betroffen, da dieses Schicksal auch für einen selbst nicht ausgeschlossen scheine. Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang von »Peripetie« (altgriech. = plötzlicher Umschlag). In Bayern täte man sagen: »Der war scho a fotzater Hund, der Ari!«

      Im Hollywood-Film spielt der von dem Drehbuchlehrer Syd Field so genannte Plot Point eine wichtige Rolle. Dieser Begriff steht für eine Überraschung im Lauf einer Handlung, welche hierdurch verkompliziert wird. Der Zuschauer muß ein bestimmtes Ereignis erwarten, und dann geschieht etwas, was seine Erwartung verändert.

      Ich will das Gesagte an Beispielen verdeutlichen. Ein Meister des Plot war der englische Schriftsteller Roald Dahl (1916–1990), und eine seiner schönsten Kurzgeschichten, die mit einem perfekten Plot endet, entstammt einer Strafrechtsübung, die mein akademischer Lehrer, der Strafrechtsprofessor und Rechtsphilosoph Arthur Kaufmann anno 1949 an der Universität Heidelberg ausgegeben hatte. Wir Strafrechtler verbringen einen Gutteil unserer Zeit damit, uns solche Fälle auszudenken, von denen schon Lichtenberg gesagt hat, es gebe in unserer Schulweisheit Fälle, von denen Himmel und Erde sich nichts träumen liessen. Die Geschichte trägt den Titel »Mrs. Bixby und der Mantel des Oberst.« Sie, liebe Leser, sollten diese Story (und andere von Dahl) im englischen Originaltext lesen. Sie ist veröffentlicht in einem Buch mit dem Titel »Kiss Kiss« und beginnt wie folgt:

      »America is the land of opportunitiesfor women. Already they own about eighty-five per cent of the wealth of the nation. Soon they will have it all. Divorce has become a lucrative process, simple to arrange

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