Die Illusion der Unbesiegbarkeit. Paul Williams

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Die Illusion der Unbesiegbarkeit - Paul  Williams Dein Business

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und Chrysler radikal scheitern und was moderne Unternehmensführer womöglich von den Incas und ihrer ausgeklügelten »Integrationspolitik« lernen können.

      Zurück zu den Fortune 500. Die Automobilindustrie ist eine Branche, an der sich viele Abstiegsfallen illustrieren lassen. Dazu gehört das Thema Werte. Wie sich der Umsatz von Volkswagen, im Jahr 2015 Platz 8 der Fortune 500, angesichts des Abgasskandals entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Zumindest in den USA war der Absatz im Februar 2016 im Vergleich zum Vorjahresmonat um satte 13 Prozent zurückgegangen.5 In US-Werbespots hatte VW seine Dieselfahrzeuge als super sauber präsentiert: Eine ältere Dame hält bei laufendem Motor ein schneeweißes Tuch vor den Auspuff, und das Tuch bleibt blütenrein. Wer so offensichtlich Werte-Kulissen bewegt, wird abgestraft (unser Thema in Kapitel 4). Dass Werte mehr sind als Textbausteine für Neujahrsversammlungen und Kick-off-Meetings, illustriert auch die Führungskultur von Volkswagen, die der Spiegel einmal als »Nordkorea minus Arbeitslager« beschrieb.6 Wo alle vor dem Herrscher zittern, kann es den Kopf kosten, wenn man gesetzte Ziele zu den gesetzten Kosten nicht erreicht. Also wurde geschwiegen und getrickst, und der Konzern muss jetzt mit weitaus höheren Kosten für den daraus resultierenden Betrug rechnen. Fatalerweise setzte sich das Werte-Dilemma bei VW auch nach Entdeckung der »Schummel-Software« fort: So bestand das Topmanagement im Frühjahr 2016 auf Millionen-Boni, während Mitarbeiter längst um Arbeitsplätze bangten und Einschnitte hinnehmen mussten. Dabei zeichnet sich ab, dass immer häufiger Managementerfolge nachträglich neu bewertet und Forderungen nach Rückzahlung von Boni laut werden. Offenbar ist es schwierig, auf Top-Ebene die Bodenhaftung zu behalten, wenn einem kaum noch jemand unangenehme Wahrheiten sagt. Wie umgeht man diese Falle?

      Darüber hinaus gibt es noch weitere Komponenten des Unternehmenserfolgs, die wir in diesem Buch auf den Prüfstand stellen: Wann gehen die gern pathetisch beschworenen Unternehmensvisionen nach hinten los (Kapitel 1)? Wieso gelang den Incas über viele Jahrzehnte, woran viele Unternehmen scheitern: tatsächlich die Talentiertesten mit Führung zu betrauen (Kapitel 2)? Was zeichnet glaubwürdige Führung aus (Kapitel 3)? Wie vermeidet man ruinöse Machtkämpfe, die nicht nur das Inca-Reich zu Fall brachten, sondern bis heute Unternehmen gefährden? Und wie bewahrt man nüchterne Urteilskraft angesichts der oft interessegeleiteten und daher tendenziösen »Briefings« anderer? Auch in diesem Punkt stimmt die Geschichte der Incas oder besser gesagt unser Blick auf diese nachdenklich: 500 Jahre lang wurde das Bild der Incas durch katholische Missionare und gierige Eroberer geprägt, Eindringlinge, die ihr brutales Vorgehen durch die Abwertung einer vermeintlich »primitiven« Kultur rechtfertigen mussten. »Wer erzählt mir was mit welchen Hintergedanken?«, lautet eine Frage, die sich auch im Unternehmensalltag regelmäßig zu stellen lohnt (vgl. Kapitel 7 »Urteilskraft«).

      Eine »Logik des Niedergangs«?

      »Nichts ist so beständig wie der Wandel«, stellte der griechische Philosoph Heraklit von Ephesus schon vor rund zweieinhalb Jahrtausenden fest. In der Bibel warnt Joseph den Pharao, dass auf »sieben fette Jahre« sieben magere folgen werden (1. Mose 41). Auf mittelalterlichen Darstellungen dreht Fortuna das Glücksrad, unerbittlich und ohne Ansehen der Person. Die Botschaft: Wer gerade noch oben auf ist, dessen Schicksal kann sich schon bald wenden. Fortuna befördert ihn unaufhaltsam nach unten, immerhin mit der Chance, irgendwann wieder obenauf zu sein. Auch Goethe glaubte offenbar nicht an stabiles Glück: »… alles muss in Nichts zerfallen, / wenn es im Sein beharren will«, dichtete er und empfahl »umzuschaffen das Geschaffne, / damit sich’s nicht zum Starren waffne«.7

      Der Gedanke der Wankelmütigkeit des Erfolgs ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Für Unternehmen heißt das: Kometenhafte Aufstiege sind jederzeit möglich, aber auch rasante Abstürze. Dazu muss man nicht den modischen Hinweis auf »disruptive« Technologien bemühen; im Kern steckt diese Idee schon in Joseph Schumpeters bekannter (und mehr als 70 Jahre alter) These der »kreativen Zerstörung«. Danach wird der Kapitalismus durch Innovationen vorangetrieben – neue, bessere Verfahren und Technologien bedrohen fortlaufend die bestehenden, die Spielregeln der Produktion ändern sich. Auch der mechanische Webstuhl oder die Dampfmaschine waren so gesehen Auslöser einer »Disruption« und verschwanden nach einer weiteren Drehung des innovativen »Glücksrades«.

      Wer bestehen will, muss sich daher rechtzeitig wandeln – nur was sich verändert, bleibt. Wir alle kennen Beispiele von Unternehmen, die den Zug der Zeit verpassten, unverdrossen Schreibmaschinen produzierten, während der Personal Computer Einzug hielt, auf mechanische Uhrwerke setzten, obwohl billigere Digitaluhren den Markt überschwemmten, usw. Neben solchen externen Faktoren können aber auch hausgemachte Fehler ein Unternehmen Talfahrt aufnehmen lassen, siehe DaimlerChrysler, Schlecker oder Volkswagen. Gilbert Probst und Sebastian Raisch von der Universität Genf haben in diesem Zusammenhang schon 2004 die Frage aufgeworfen, ob es so etwas wie eine »Logik des Niedergangs« gibt. Dazu analysierten sie die 100 größten Unternehmenskrisen der vorausgegangenen fünf Jahre in den USA und Europa, d. h. die fünfzig größten Insolvenzen sowie 50 Fälle, in denen Unternehmen binnen dieses Zeitraums mindestens 40 Prozent ihres Börsenwertes eingebüßt hatten. Probst und Raisch identifizierten vier Merkmale eines dauerhaften Unternehmenserfolgs:

      imagestarkes Wachstum,

      imageBereitschaft zur permanenten Veränderung,

      imageeine starke (»visionäre«) Führung und

      imageeine leistungsorientierte Unternehmenskultur.8

      70 Prozent der scheiternden Unternehmen besaßen all das – jedoch im Übermaß. Zu schnelles Wachstum, hektische Veränderungsprozesse, übermächtige (starrsinnige) CEOs und eine »überzogene Erfolgskultur« führten diese Organisationen auf Dauer an den Abgrund. Eine extreme Erfolgskultur etwa, mit hohen Gehältern und Boni, schürt Konkurrenzdenken und Söldnermentalität. Geht es dem Unternehmen schlechter, verlassen davon angezogene Mitarbeiter eilig das sinkende Schiff und beschleunigen seinen Untergang. Extremes Wachstum ist häufig Folge zahlreicher Unternehmensaufkäufe in (zu) kurzer Zeit. Dies erschwert nicht nur die Integration, sondern bürdet den Käufern häufig hohe Schulden auf, die in umsatzschwächeren Zeiten zum Problem werden. Beispiele sind der US-Mischkonzern Tyco oder ABB. Unkontrollierter Wandel führt zur Orientierungslosigkeit auf allen Ebenen. Nach 60 Übernahmen und zahlreichen Restrukturierungen und Richtungswechseln wusste bei ABB zeitweise niemand mehr, wofür das Unternehmen eigentlich steht. Der letzte Sargnagel ist dann eine Führungsspitze, die den Ernst der Lage verkennt, weil der bisherige Erfolg sie selbstherrlich und blind für Gefahren gemacht hat. Das Unternehmen brennt aus, schlittert in die Insolvenz (wie etwa Enron nach einem Wachstum von 2000 Prozent in nur vier Jahren, von 1997 bis 2001) oder wird durch riesige Schuldenberge belastet (wie zeitweise British Telecom, Deutsche Telekom und France Télécom). Probst / Raisch sprechen vom »Burn-out-Syndrom«. Aktuellere Beispiele für dieses Syndrom wären die Porsche AG, die in den VW-Konzern eingegliedert wurde, nachdem sie sich selbst an einem Übernahmeversuch verhoben hatte, die wechselhafte Geschichte von Infineon, die Talfahrt von Valeant, die wir in Kapitel 6 analysieren, oder auch die Drogeriekette Schlecker, die u.a. an einer explodierenden Zahl von Filialen und einem beratungsresistenten Firmenpatriarchen scheiterte.

      Der Absturz bis dato erfolgreicher Unternehmen ist also keine schicksalhafte Fügung, kein Produkt »äußerer Umstände« oder »disruptiver« Technologien, sondern

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