Feierabend hab ich, wenn ich tot bin. Markus Väth

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Feierabend hab ich, wenn ich tot bin - Markus Väth Dein Leben

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Orientierung einfach sein eigenes moralisches Weltbild. Ein bisschen Christ, ein bisschen Salon-Kommunismus, ein bisschen Selbsterfahrungskurs mit Darmspülung. Das ist bedeutsam und bedrohlich zugleich: Wenn ich mein moralischer »Master of the universe« bin und allein die Regeln aufstelle, bewahrt mich bei einem Absturz nichts vor der eigenen Niederlage. Ohne ein Korsett aus flankierenden Grundwerten und Grenzen überschreite ich diese – weil ich sie nicht mehr wahrnehme.

       Wie eine Welle erfasst der Zwang zum Erfolg alle Lebensbereiche.

      Genau das ist Burnout – eine bis zur Selbstauflösung reichende Überschreitung von Grenzen, die wiederum man erst im Nachhinein erkennen kann. Wie eine Brille, die einem von der Nase gefallen ist und die man erst nach dem Stolpern wieder aufsetzt. Warum man jedoch stolpert, wie die Brille eigentlich aussieht und wer einem am effektivsten hilft beim Aufrappeln – darüber streiten sich die Geister.

      Bei allen drei bislang besprochenen Bereichen – Arbeitsorientierung, Erfolgswahn und atomisierte Moral – lag das Augenmerk auf dem Geschehen außerhalb der Familie. Der vierte Faktor der alltäglichen Burnout-Überlastung liegt dagegen innerhalb: das Phänomen des einsamen Reiters, des Lonesome Ranger.

      Viele Burnout-Betroffene berichten von Unverständnis, wenn sie quasi über Nacht von starken High-Performern zu schwachen, Halt suchenden Menschen werden. Manch einer bringt Tage und Nächte damit zu, seinem Partner oder seiner Familie zu erklären, wie es in ihm aussieht. Oft genug gelingt dies nicht. Das Spektrum eigener Emotionen reicht dabei von Wut und Existenzangst bis zum Gefühl der Erniedrigung und des Verrats. Jahr um Jahr hatte man investiert, in die Arbeitsstelle und den Partner, hatte gegeben und durchgehalten. Nur um im Burnout festzustellen, dass einen der Arbeitgeber ausgenutzt hat und nun fallen lässt. Dass der Partner nicht mit der neuen Situation zurechtkommt und sich möglicherweise trennen will.

      Ich nenne das den »Abgrund«: die schwindelerregende Befürchtung, sein halbes Leben lang einer Lüge auf den Leim gegangen zu sein, nämlich dem Versprechen, auf die eigene Investition erfolge irgendwann die Belohnung, die Rendite, die Anerkennung. Das Ende des berüchtigten »Rattenrennens«, bei dem man eigenen und fremden Ansprüchen so lange hinterherhetzt, bis man nicht mehr kann. Die Erkenntnis, trotz der eigenen Cleverness, trotz der immensen Arbeitsleistung, sich im Leben so verschätzt zu haben und nun mit leeren Händen dazustehen, trifft einen oft wie ein Schlag.

       Es liegt in der Natur des Menschen, Spuren hinterlassen zu wollen.

      Dabei geht es um mehr als nur die

      Frage, wer in der Abteilung die nächste Gehaltserhöhung bekommt. Es liegt in der Natur des Menschen, Spuren hinterlassen zu wollen, sichtbar zu sein und zu bleiben. Viele Menschen wollen sich durch Elternschaft »verewigen« und ihre Werte und Erfahrungen an ihre Kinder weitergeben. Maler und Musiker wollen bleibende Kunstwerke schaffen, und auch der kleine Straßenmusiker träumte einst davon, Madonna oder Michael Jackson zu werden. Politiker bezeichnen ihre Taten und Entscheidungen gern als »historisch« oder »alternativlos«, um eine gewisse Dramatik zu erzeugen und sie mit Bedeutung aufzuladen. Teenies lechzen nach der Demütigung in einer Castingshow, weil sie so wenigstens kurz aus der Masse der Menschen herausragen. Wenn sie schon keinen Job kriegen, so doch wenigstens diese fragwürdigen 15 Minuten Ruhm. Man sieht vielleicht auch seine eigenen Eltern, wie sie langsam körperlich und geistig abbauen und hat Angst, »selbst einmal so zu enden«. Dann schaut man zurück auf sein eigenes Leben und erkennt vielleicht, wie wenige Spuren man hinterlassen hat, wie wenige liebevolle, tragfähige Beziehungen man in seinem Leben hat, wie wenige magische und bewegende Momente. Trotz der aufreibenden Arbeit, trotz des Alltagsmultitasking, trotz der vielen Opfer, die man gebracht hat. Das ist der Moment, in dem alles schwarz wird und einem der kalte Schweiß ausbricht. Und man beginnt sich zu fragen: Wo bin ich falsch abgebogen? Das ist der Moment, in dem man sich entscheiden muss: für ein Weiterleben als einsamer Reiter oder dafür, sein Leben zu ändern.

      Um ein Bild zu gebrauchen: Der Burnout-Betroffene zieht ins Leben wie ein Ritter mit einem exzellenten Schwert: seinem Wissen, seinem Engagement, seiner Bereitschaft zu kämpfen, zu leiden und zu siegen. Das Schwert trägt ihn durch viele Kämpfe, von Sieg zu Sieg. Er ist erfolgreich: im Beruf, im Privatleben, bei der Organisation des Alltags. Zwischendurch muss das Schwert geschliffen werden; das war es dann aber auch. Bald treibt er erneut den Gegner mit großen Hieben vor sich her, erobert neues Territorium und bleibt der Lieblingskämpfer des Königs (beziehungsweise des Chefs), der einen wahlweise als Mann für aussichtslose Fälle oder Motivator nach vorne schickt. Diese Alternative ist auf Dauer genauso kräftezehrend wie das Gegenteil: Er reibt sich auf, kämpft an vielen Fronten und will der Liebling des Chefs werden, will irgendwann mit Reichtum und Ländereien belohnt werden. Aber es klappt nicht. Der Chef ignoriert ihn, trotz seiner Taten. Zur Anstrengung kommt dann auch noch der Frust.

      Und Schutzlosigkeit. Denn leider hat der Ritter seinen Schild daheim vergessen. Sprich: die Fähigkeit, auch einmal Grenzen zu ziehen, Arbeitsaufträge abzuwehren, den Kampf nicht aufzunehmen. Nur mit Schwert und Schild ausgerüstet sollte man den Kampf mit einem Gegner wagen. Sonst wird man zum Lonesome Ranger, zum einsamen Helden, der glorreich, aber einsam in den Sonnenuntergang reitet. So lange, bis einem jemand in den Rücken schießt, weil man wieder einmal niemanden für seine Deckung mitgenommen hat. Nicht umsonst ist der »Pyrrhussieg« sprichwörtlich: Im alten Griechenland gelang es König Pyrrhus von Epirus, die Römer in der Schlacht von Asculum (279 v. Chr.) zu schlagen. Allerdings erlitt Pyrrhus so hohe Verluste, dass er angeblich wehklagend ausrief: »Weh mir! Noch so ein Sieg, und ich bin verloren!« Ähnlich geht es dem Burnout-Betroffenen. Er zieht im übertragenen Sinne von Sieg zu Sieg, ohne zu bemerken, dass seine Truppen – seine Energiereserven – immer weniger und weniger werden. Bis er eines Tages zusammenklappt.

      Wie wird man zum Lonesome Ranger, zum einsamen Helden der Arbeitswelt, der irgendwann erschöpft aus dem Sattel kippt? In der Regel ist das ein langer Weg. Die wenigsten von uns werden zum Lonesome Ranger geboren. In den meisten Biografien von Burnout-Betroffenen findet man jedoch gemeinsame Merkmale, Spuren und Indizien auf dem Weg der biografischen Analyse.

       Wie wird man zum Lonesome Ranger, der irgendwann erschöpft aus dem Sattel kippt?

      Ein wichtiges Puzzleteil im familiären Umfeld von Burnout-Betroffenen sind Eltern, die unbewusst Zuwendung ausschließlich gegen Leistung gewähren. Da werden Belohnungen und Geldgaben gegen gute Noten eingetauscht oder ein bestimmtes leistungsorientiertes Verhalten stark mit Lob und Zuneigung gefördert. An sich ist das nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Ein Kind soll ja zu Leistungen angespornt werden und lernen, dass man sich im Leben Dinge auch mal erkämpfen und durchhalten muss. Das Problem wird akut, wenn Eltern ausschließlich auf Leistungsverhalten mit Zuwendung reagieren. Und das passiert gar nicht selten. So wird aus einer vielversprechenden Lösungsstrategie für die Zukunft und das Arbeitsleben eine Verhaltensfalle und das bedingungslose Ackern zum angeblich einzigen Weg, sich Liebe zu erstreiten.

      Dieser Mechanismus wird besonders bei solchen Vätern ausgelöst, die nicht gelernt haben, Gefühle auszudrücken. Sie weichen auf das »Tauschgeschäft« Anerkennung gegen Leistung aus. Die guten Noten des Kindes oder ein bestimmtes Hobby, das dem Vater gefällt, geben ihm die Gelegenheit, ohne Gesichtsverlust loben zu können und gleichzeitig »Mann« zu bleiben. Denn Nähe zu zeigen oder Gefühle, bedeutet für diese Männer Schwäche sowie eine Verletzung ihres Männerbildes und damit ihres Selbstverständnisses. So wie sie von ihren Vätern hart erzogen wurden, geben sie diese Lehre an ihre Kinder weiter. Sie können einfach nicht anders, als Liebe in der Form eines Geschäftsabschlusses zu leben.

      Befragt man Kinder solcher Väter, so hört man immer wieder in der Familie gefallene Sätze wie »Ich will schließlich nicht, dass mein Sohn verweichlicht«, »Leben ist nun mal Kampf« oder »Ich musste mich meinem

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