Feierabend hab ich, wenn ich tot bin. Markus Väth

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Feierabend hab ich, wenn ich tot bin - Markus Väth Dein Leben

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glücklich gemacht?« Solche »Hätte, könnte, würde«-Debatten sind typisch für Hochbegabte. Theresa Häuser hatte schlussendlich nicht Mathematik studiert. Heute hat sie aus der Not eine Tugend gemacht, indem sie auf eine Stromlinienkarriere verzichtete. Sie war bei mehreren Firmen beschäftigt, wechselte einmal die Branche und ist heute, mit knapp 38 Jahren, erfolgreich als Beraterin selbstständig.

      Zu meinen Klienten gehören auch Hochbegabte wie Frau Häuser, deren Lebenslauf sich wie aus einem Karrieretraum-Poesiealbum liest, die aber kreuzunglücklich sind. Sie könnten viele Positionen erfolgreich ausfüllen und zweifeln trotzdem stark an sich. Ein ausgeprägtes Jobhopping ist die Folge. Weil sie sich nicht an Feedback von außen orientieren können (weil sie einfach viele Dinge sehr schnell begreifen und beherrschen), müssen sie sich allein auf ihren inneren Kompass verlassen, der ihnen sagen soll, welchen Berufsweg sie nun einschlagen. Und das gestaltet sich meist schwierig. Nach außen erfolgreich, fragen sie sich manchmal ihr Leben lang: War diese Wahl richtig? Oder hätte ich mein Potenzial noch besser nutzen sollen? Wenn ich mit Hochbegabten arbeite, gebe ich ihnen meist einen Satz der Journalistin Mary Schmich mit auf den Weg: »Einige der interessanten Menschen, die ich kenne, wissen mit 22 noch nicht, was sie werden wollen. Und einige der interessantesten wissen es mit 40 auch noch nicht.«8

       Die bonbonfarbene Lüge unserer Spaß- und Erfolgsgesellschaft lautet: Du kannst alles schaffen!

      Man muss nicht hochbegabt sein, um an seiner Berufswahl zu zweifeln. Auch »ganz normale« Menschen spüren manchmal einen leisen Zweifel, eine Sehnsucht, wie es wohl wäre, wenn sie ihr Leben anders gelebt hätten. Dieser Zweifel wird besonders der heutigen jungen Generation eingepflanzt, egal wie begabt sie ist. Es ist die bonbonfarbene Lüge unserer Spaß- und Erfolgsgesellschaft: »Du kannst alles schaffen!«

      Diese Lüge lässt sich mit Blick auf den Unterschied zwischen den Botschaften der Medien und den Nachwuchssorgen von Unternehmen allerdings schnell entlarven. Eine nicht unerhebliche Anzahl junger Menschen unter 20 Jahren glaubt inzwischen ernsthaft, das Berufsleben gleiche einer Castingshow: sich einmal präsentieren, sich seine fünf Minuten Ruhm abholen und dann davon zehren. Dass zu einem Beruf Durchhaltevermögen, Kreativität, soziale Intelligenz und nicht zuletzt eine gehörige Portion Bildung gehören, ignorieren sie. Auf der anderen Seite stehen vor allem mittelständische Unternehmen, die händeringend Nachwuchs suchen. Es würden sich entweder gar keine jungen Leute melden oder nur solche, die zu ungebildet sind, klagen viele Arbeitgeber. Hier eine kleine Anekdotensammlung:

      

Ein Handwerksmeister erwähnte einmal, dass er bei Auszubildenden inzwischen Dinge wie den mathematischen Dreisatz gar nicht mehr voraussetze. »Hauptsache, der Betreffende kann einigermaßen Deutsch und weiß, wie man die Hand gibt«, lautet sein resigniertes Fazit.

      

Ein Gymnasiallehrer (!) berichtete mir, seine Schüler würden Begriffe wie »addieren« und »subtrahieren« nicht mehr verstehen. Er sehe sich genötigt, auf die Behelfswörter »hinzunehmen« und »abziehen« auszuweichen.

      

Ein weiterer Gymnasiallehrer berichtete mir von der Beschwerde eines Schülers. Der Lehrer hatte ihm im Fach Deutsch ein Wort als falsch angestrichen. Doch dieses Wort, so der (deutschstämmige) Schüler, sei nicht »in den 1000 Wörtern Grundwortschatz enthalten«, die er wissen müsse. Und wir reden hier nicht von einer Brennpunkt-Hauptschule, sondern von einem ländlichen Gymnasium, wo angeblich »die Welt noch in Ordnung ist«.

      Erfolg und (mediale) Aufmerksamkeit sind die neuen Währungen unserer Gesellschaft. Das bekommen junge Menschen heutzutage von Kindesbeinen an eingetrichtert. Und wieso sollten sie auch daran zweifeln? Ihre Eltern leben ihnen doch das entsprechende Weltbild vor.

       Erfolg und (mediale) Aufmerksamkeit sind die neuen Währungen unserer Gesellschaft.

      Sichtbarer beruflicher Erfolg ist so ziemlich das Einzige, wodurch wir uns noch unterscheiden. Familie? Fehlanzeige. Die Großfamilie ist tot, die Zahl der Singlehaushalte nimmt zu. 40 Prozent aller Paare, die zusammenleben, wollen nicht heiraten. Es könnte ja was Besseres nachkommen. Religiöse Identität? Gibt’s nicht mehr. Die Mehrheit der Menschen findet ihren Weg in die Kirchen gar nicht mehr beziehungsweise erst bei erneutem Ausbrechen einer Finanzkrise. Wenn’s dick kommt, kriecht man eben doch gern bei Mutti unter. Sozialer Kitt wie Vereine, Verbände oder Ähnliches? Alle diese freiwilligen Institutionen ächzen unter massivem Mitgliederschwund. Einzige Ausnahme sind Fitnessclubs, weil Menschen dort ihre Selbstoptimierung in einem anderen Bereich als dem der Arbeit ausleben und vorantreiben können.

      Die jungen Leute merken das alles und richten sich entsprechend aus. Ein Bekannter von mir arbeitet mit Hauptschülern. Er versucht ihnen beizubringen, dass sie für ihren Lebens- und Berufsweg hart arbeiten müssen. Meist ohne Erfolg. Einer der Hauptschüler antwortete auf die Frage, was er denn werden wolle: »Geschäftsführer!« Und er wolle »einen Porsche fahren«. Wie er das denn bezahlen wolle? »Keine Ahnung. Werd’ ich halt Fußballspieler.« Und wenn das nicht klappt? »Scheißegal. Hartz ich eben.«

      Immer öfter erleben all die Sozialarbeiter, Lehrer, Jugendbetreuer auf der einen Seite eine Realitätsblindheit bis zum Psychosenverdacht und andererseits eine Gier nach Status und Erfolg – die wir als Gesellschaft den Jugendlichen einpflanzen. Durch Werbung, Materialismus und eine »Du kannst alles schaffen«-Mentalität. Deshalb lassen sich junge Leute, die nicht mal im Ansatz singen können, von Dieter Bohlen in einer Weise demütigen, für die man in einem gestandenen Sadomaso-Studio eine Menge Geld hinlegen müsste. Sogar die so »Erfolgreichen« gehen vielleicht durch eine Saison, werden mit Knebelverträgen ausgepresst und dann gegen den nächsten Trottel ausgewechselt.

       Wir sind kollektiv erfolgsgeil.

      Diese Art von »Erfolg« ist fragwürdig genug. Doch als Schattenseite einer solchen Entwicklung ist man nicht nur für seinen Erfolg, sondern auch für seinen Misserfolg verantwortlich. Wo Klassen- und Standesbeschränkungen fehlen, wo man in einem weiten Feld und nicht mehr in einem begrenzten Parcours laufen muss, wo keine Kirche und kein soziales Netz mehr Schutz bieten, trifft einen die Wucht des eigenen beruflichen Versagens umso härter. Dieses Versagen muss nicht unbedingt Arbeitslosigkeit bedeuten. Man kann auch erfolglos und unglücklich sein, während man noch Arbeit hat. Gerade Burnout-Betroffene sind sehr gut darin, in ihrem Job Erfolgsziele so zu definieren, dass sie sie gerade nicht erreichen. So »motivieren« sie sich durch ihre Niederlage zu noch größerer Anstrengung.

      Egal ob Burnout oder nicht, egal ob Unternehmensberater oder Bandarbeiter: Wir sind zum beruflichen Erfolg verdammt. Das System lässt keinen Spielraum mehr. Deshalb sind wir kollektiv erfolgsgeil. Wie eine Monstranz tragen wir unseren Erfolg vor uns her; er ist Zuckerbrot und Peitsche zugleich, gibt uns Motivation und droht uns gleichzeitig mit gesellschaftlicher und menschlicher Entwertung. Wir müssen gebraucht werden, die Gesellschaft muss unsere Arbeitskraft wollen, sonst zerschellt unser Schiff des Selbstvertrauens an der Klippe des eigenen Versagens.

      Das ist auch der Grund, warum viele Langzeitarbeitslose nicht mehr vermittelbar sind. Bis auf wenige Ausnahmen, die sich einen Kern Selbstachtung bewahrt haben, ist besagtes Schiff zerschellt und unwiederbringlich gesunken. Der einzelne Arbeitslose hat in einer Zeit, die Arbeit als Lebensmittelpunkt begreift, seine Existenzberechtigung quasi an der Garderobe abgegeben. Nicht, dass ihm das jemand vorwerfen oder es so formulieren würde. Die Gesellschaft und deren kollektives Bewusstsein bringen ihn dazu, so zu denken. Eine für den Einzelnen dramatische, manipulatorische Meisterleistung.

       Wir markieren unser Revier mit den Dingen, die uns die Werbeindustrie als erstrebenswert vorgaukelt.

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