Erhoffte Hoffnungslosigkeit. Frank Witzel
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Weshalb aber gibt es das Gefühl, ich müsste diesen Erlebnissen auf irgendeine Weise »gerecht« werden, dürfte nicht mehr in die »Normalität« zurück, müsste quasi von nun alles auf hohen Touren laufen lassen? Verfalle ich hier nicht dem Fehler, doch wieder das Besondere zu suchen, wo es doch gerade das Banale war, das mich beeindruckt hatte?
Nach dem Erlebnis im Dezember hatte ich immer wieder, wenn ich irgendwo stand und etwas ansah, eine Landschaft oder Aussicht zum Beispiel, die Empfindung, dass sich ein Hintergrund und ein Vordergrund unverbunden voneinander abhoben. Und wenn ich das Gefühl hatte, alles sei in gewissem Sinne Vordergrund, so meinte ich dahinter einen Hintergrund, wenn auch nicht sehen, doch wahrnehmen zu können. Eigentlich war das gar nicht weiter ungewöhnlich, nur, dass mir beide Ebenen bewusst wurden und ich die eine schärfer und die andere unschärfer stellen konnte, was ja ebenfalls ein völlig normaler Vorgang ist, der eben meist nur unwillkürlich und unbewusst geschieht. Weil mir dieser Vorgang aber bewusst war, hatte ich das Gefühl, ich könnte auch den Hintergrund zum Vordergrund machen und so zwar nicht wahrnehmen, dass sich auch hinter diesem noch etwas befindet, eine Art zweiter Hintergrund, aber es zumindest »wissen«. Es ist meine Vermutung, dass es ohnehin nur darum geht, gewisse Wahrnehmungen nicht entsprechend einordnen bzw. nicht genau beschreiben zu können. Es geht wahrscheinlich gar nicht um Wahnsinn oder zweifelhafte Erscheinungen, sondern allein darum, auf die Grenzen der Sprache gestoßen zu sein. So wie es im Traum beständig geschieht. Etwas zu »wissen«, was sich nicht benennen lässt, oder etwas zu »wissen«, was sich auf keine Wahrnehmung stützt, oder etwas wahrzunehmen, was man gar nicht wahrzunehmen meint usw.
August Natterer hatte eine Himmelsvision und war danach und für den Rest seines Lebens damit beschäftigt, diese Vision in Worte und Bilder zu fassen und immer genauer auszuloten, bis hin zu Zeichnungen, auf denen er seine eigenen Augen »zur Zeit der Erscheinungen« darstellte, also auch den Wahrnehmungsapparat miteinbezog. Eine Vision ist auch deshalb Vision, weil sie sich nur ungenügend beschreiben lässt. Und war Natterer nur deshalb verrückt und in der Psychiatrie, weil er keinen zufriedenstellenden Ausdruck für seine Vision fand, Dante aber nicht verrückt, weil er die Commedia schreiben konnte? Ist also gar nicht die Vision selbst Kennzeichen und Ursache des Wahnsinns, sondern der Umgang mit dieser Vision?
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