Erhoffte Hoffnungslosigkeit. Frank Witzel

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Erhoffte Hoffnungslosigkeit - Frank Witzel

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ausmachen? Tatsächlich habe ich das Gefühl, würde ich das alles hier in der dritten Person verfassen, »wirklich« und nicht nur »eingebildet« verrückt zu sein. Doch weshalb, wenn ich doch durch die Verwendung der dritten Person eine größere Distanz herstelle? Gerade deshalb. Ich objektiviere etwas, das nicht zu objektivieren ist. Ich versuche auf Distanz zu gehen, steigere mich aber in Wirklichkeit nur stärker in das hinein, was ich zu verlassen suche. Ich ahme mich in der dritten Person mimetisch nach. (Natürlich greifen diese Gedanken nicht wirklich, denn ich könnte mich natürlich auch in der ersten Person nachahmen, oder ist die erste Person von sich aus schon immer nachgeahmt? Höchstwahrscheinlich.)

      Vielleicht kann man nur in der Rede der dritten Person etwas erfahren, und vielleicht möchte ich gerade gar nichts »erfahren«, weil ich ohnehin beständig viel zu viel erfahre, sondern möchte, statt zu erfahren, einfach nur sein.

      Es ist etwas anderes, das mich an diesem Buch ganz unwillkürlich und unerwartet befremdet. Nachdem ich eine Weile darin gelesen habe und auf der Suche nach dem Inhaltsverzeichnis ganz nach hinten blättere, stoße ich auf eine Anzeige für andere Bücher des Ullstein Verlags, genauer seiner Reihe »Die Frau in der Literatur«. Die dort aufgeführten Titel erzeugen für mich eine starke, kaum zu überwindende kognitive Dissonanz, weil sie den Text Unica Zürns zwischen Paveses Die einsamen Frauen, Marie de Lafayettes Die Prinzessin von Cleve, Urys Nesthäkchen und ihre Küken, Henry James’ Bildnis einer Dame und anderen einordnen. Eingeordnet aber zerfällt ein Text, besonders ein Text wie der Unica Zürns, hier noch verstärkt durch die Tatsache, dass diese »Frau in der Literatur« wahllos mal Subjekt, mal Objekt ist, das heißt generell Objekt (weil sie zum Subjekt »gemacht« wird), gleichgültig ob sie schreibt oder ob über sie geschrieben wird.

      Meine Ausgabe des Buches stammt aus dem Jahr 1985. Ich war damals, so vermute ich zumindest, auf Unica Zürn gekommen, weil ich für einige Wochen in einem Appartement gewohnt hatte, das schräg gegenüber dem Haus lag, aus dem sie sich 1970 gestürzt hatte. Obwohl ich bestimmt jeden Tag mehrmals auf die Straße und auf dieses Haus gesehen habe, will sich kein Bild, keine Erinnerung, keine Verbindung, noch nicht einmal ein Gefühl einstellen. Auch das scheint immer noch eine Nachwirkung dieser eigenartigen Wahrnehmung, die meinen nostalgischen Erinnerungsapparat zeitweilig außer Kraft gesetzt hat. Alles erscheint mir in einer kalten, winterlichen Klarheit, wie hinter einer Glasscheibe. Jede Erinnerung wie nicht wirklich von mir erlebt in einem Diorama aufgebaut und weggesperrt.

      16.12.2018

      Noch einmal: Ich kann nur deshalb allein um Glauben beten und nicht um Wissen, weil die Prämisse des Betens dem Wissen bereits widerspricht. Wissen baut auf Erfahrung, auf geistige Durchdringung, auf Ordnung und Systematik auf, auf der Arbeit am Begriff, kurz, auf einer Herrschaft der Sprache. Genau diesen Bereich verlasse ich im Vorgang des Betens, durch den ich das Andere des Wissens, Gott, mithilfe scheinbar sinnloser, sprachlicher Äußerungen erschaffe. Gerade weil das Beten in früheren Zeiten vielleicht einmal eine List des Verstandes war, ihn heute aber nur noch demütigt, weshalb er sich nach außen hin längst säkularisiert hat, obwohl er schon immer nur einen Gott kannte, nämlich sich selbst in seiner sprachlichen Darstellung, sollte ich das Gebet wieder nutzen, wie man überhaupt alles nutzen sollte, was das Ich demütigt und verunsichert.

      Es wird gemeinhin als Erfolg angesehen, wenn »die Wissenschaft« (der Singular, mit dem sie sich oft selbst schmückt, weist sie bereits als unwissenschaftliche Scharlatanerie aus) mit einem Mal »objektiv feststellt«, dass Rituale, Meditation, Beten, etc. etwas »bewirken«, sei es eine Veränderung der Hirntätigkeit oder des Metabolismus o. ä., eben das, was man bislang so messen kann. Wird daran nicht deutlich, dass »die Wissenschaft« wie ein Moloch ist, der alles verschlingen, alles vereinnahmen will, weil er kein Außerhalb seiner selbst zulassen, nichts »Anderes« anerkennen, keinen Gott neben sich dulden kann, weil allein die Existenz des Anderen die Wissenschaften narzisstisch und bis ins Mark kränkt? Ist es dabei nicht ungemein naiv und hochgradig peinlich, dass die Wissenschaften jetzt erst feststellen, dass etwas »wirkt«, was außerhalb von ihnen bereits seit vielen Jahrhunderten bekannt ist? Schon daran kann man erkennen, dass der Wissenschaftsdiskurs ein Machtdiskurs ist. Erst wenn die Wissenschaft es auch begriffen und mit ihrem Gütesiegel versehen hat, ist es »gültig«.

      Letztlich ist die Wissenschaft natürlich auch ideologisiert, sind ihre »Erkenntnisse«, spätestens, wenn sie als solche präsentiert werden, Kampfbegriffe. Das Haus ihres Seins ist die Sprachkaserne.

      17.12.2018

      Wittgenstein entwarf das Bild von einer Schachtel mit einem Käfer. Jeder Mensch besitzt eine entsprechende Schachtel, kennt aber nur den eigenen Käfer, von dem er auf die Käfer der anderen schließt. Was aber, wenn ich selbst nie in meine Schachtel geschaut habe? Etwa aus Angst, keinen Käfer in meiner Schachtel vorzufinden. Aus Angst habe ich meine Schachtel nie geöffnet und tue nur so, als wüsste ich über meinen Käfer und damit auch über die Käfer der anderen Bescheid, während ich in Wirklichkeit keine Ahnung habe und diese Unsicherheit, nie zu wissen, wovon die anderen sprechen, mit mir herumtrage. Aber vielleicht haben die anderen aus derselben Angst heraus auch nie in ihre Schachtel geschaut. Ich bekomme eine Schachtel, über deren Inhalt bereits alle reden und die zum allgemeinen gesellschaftlichen Kulturgut gehört, sodass ich nicht meiner eigenen Erfahrung traue, vielmehr gleich mitrede, ohne zu verstehen, um was es überhaupt geht. So wie ich bislang über Wahrnehmungen gesprochen habe und jetzt noch einmal dazu gezwungen werde, anders über Wahrnehmungen nachzudenken, quasi aus einem Anliegen, einem Mangel heraus, weil mir etwas in der Selbstverständlichkeit meiner Wahrnehmung abhandengekommen ist. Ich habe das Gefühl, nur Worthülsen zur Verfügung zu haben, simulierte Begriffe, die ich mir irgendwann einmal mimetisch angeeignet und mit denen ich ein Leben lang auszukommen gemeint hatte. Vielleicht bleibt einem gerade die Muttersprache auf immer fremd, und es ist die Tragik des menschlichen Ausdrucks, sich gerade auf sie zu verlassen und sie für alle anderen Sprachen zum Vergleich heranzuziehen, während ich gerade dort, wo ich nach Worten suchen, um Worte ringen muss, viel eher zu einem wirklichen sprachlichen Ausdruck gelangen könnte. Das Eigenartige, beinahe schon Beängstigende aber ist der Umstand, dass ich gemeint hatte, »die« Sprache nicht unbewusst oder nachlässig zu benutzen, sondern, allein schon wegen meines Berufs, zu reflektieren. Jetzt erscheint sie mir als Fremdsprache. Das Fremde aber an ihr ist, dass ich mich in ihr zu gut, zu fließend ausdrücken kann. Diese Sprache fließt mir aus dem Mund und aus der Hand und reißt mich in ihrem Strom davon.

      Die Wörter erscheinen mir als eine Reihe kleiner leerer Schachteln. Der Käfer ist das Behauptete.

      Weil wir ohnehin imitieren, weil wir ohnehin so tun, als kennten wir den Käfer in unserer Schachtel, weil ohnehin alles Nachahmung ist, unsere Begierde nur mimetisch erzeugt wird, ist die bewusste Imitation, so wie die Imitatio Christi, womöglich der einzig gangbare Weg: mich bewusst dazu entscheiden, zu imitieren, damit ich nicht auf eine falsche Authentizität hereinfalle. Nicht im Sinne des popkulturellen Diskurses, der etwas Richtiges meint, es dann aber falsch zu einer reinen Oberflächenaffirmation verkürzt, sondern aus der schlichten Erkenntnis heraus, dass mich das vermeintlich Echte zwangsweise überfordert, überfordern muss, diese Suche nach einem identischen, authentischen Leben, das es nicht geben kann, schon deshalb unter Umständen nicht geben kann, weil mir schlicht und einfach die Möglichkeiten fehlen, seine Existenz wahrzunehmen – auch und gerade, weil ich im Strom meiner Sprache darüber hinwegrase.

      Wenn ich aber sage, ich imitiere mein Leben, dann nicht, um eine Persona, eine Maske, eine Hülle, um das Eigentliche herum zu erstellen, einen Kokon, sondern um eine Annahme zu formulieren. Um etwas annehmen (akzeptieren) zu können, muss ich annehmen (vermuten), was es ist. Aber ich kann nur dann annehmen (vermuten), was etwas ist, wenn ich es zuvor annehme (akzeptiere). In diesem Vorgang ist die Imitatio bereits eingeschrieben.

      Der Schwindel weist mich darauf hin, dass körperliche Zustände sich nicht imitieren

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