Das Meer. Blai Bonet

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Das Meer - Blai Bonet Iberisches Panorama

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Tränke brachte, kam er hierher. Julià Ballester, der gerade einmal zehn Jahre alt war, lief ihnen mit einem grünen Ast in der Hand, den er von einem Oleaster abgebrochen hatte, voraus. Die anderen Jungen lachten ihn aus, denn er rief: «Hierher, Clapada, oooouu, Pintora, eeeeh!» Und weil er die langen Hosen seines Bruders auftrug. Wenn er die Tiere zur Tränke führte, grüßte er die Passanten mit wedelnder Hand.

      Als wir seine Schritte hörten, er duckte sich, um in die Höhle zu gelangen, wussten wir anhand des Lichtes, das durch die Öffnung fiel, dass bis zum Sonnenuntergang nicht mehr viel Zeit war.

      „Ku-ku!“

      Julià Ballester stieg die Felsen Stufe für Stufe hinab – seine dunkle Figur zeichnete sich gegen das helle Licht des Zugangs ab. Er stützte sich mit beiden Händen, links und rechts, auf die großen Felsbrocken. Mit ausgestreckten Armen kam er dann näher und suchte uns, nach uns ausschauend und rufend.

      „Manuel?“

      „Hui.“

      „Pau?“

      Das Wasser – plopp, plopp, plopp – tröpfelte im Sekundentakt von den Wänden auf die Felsen.

      „Pau.“

      Der junge und grüne Feigenbaum im Innern der Höhle war wie der Ursprung der frischen Luft.

      „Wenn du nicht antworten willst, antworte nicht, Pau.“

      Das Licht, das durch das Bullauge in die Höhle fiel, verbarg uns im Trugbild der Felsen und des saftigen Grüns, das von den feuchten Felsen herabhing.

      Julià Ballester legte die Hand auf Pau Ingladas Schulter.

      „Was ist mit dir?“

      „Nimm deine Hand von mir, du Stück Scheiße!“

      Es dauerte nur eine halbe Sekunde, kürzer als ein Flackern der Laterne, und Julià Ballester stürzte sich auf Pau Ingladas Hals. Pau Inglada hob einen Fuß und trat Julià Ballester mit dem Absatz seines Stiefels hart in die Leiste. Julià Ballester fiel auf den Rücken. Flink wie eine Katze warf sich Pau Inglada auf ihn, presste ein Knie gegen seinen Magen und würgte mit beiden Händen seinen Hals.

      „Wo war dein Vater gestern Nacht?“

      „Ich weiß es nicht. Was geht es dich an, wo mein Vater war? Mein Vater ist nicht wie deiner, den sie umbrachten, weil …“

      Pau Inglada würgte mit aller Kraft und stemmte das Knie in Julià Ballesters Magen; er klammerte die Finger fest um seinen Hals und näherte sich seinem Gesicht.

      „Ich werde dich umbringen. Hier in der Höhle.“

      Julià Ballester war von kleiner Statur, aber mutig und weinte nicht. Sein Kopf war klein und er war flink wie eine Ratte. Mit zusammengebissenen Zähnen widerstand er der Umklammerung Pau Ingladas, wehrte sich mit Händen und Füßen und drehte seinen Kopf energisch von einer Seite zur anderen. Julià Ballesters Kopf war blauviolett angelaufen. Es sah aus, als wollten seine Augen herausschießen und an der Wand gegenüber zerplatzen. Als Pau Inglada nur kurz den Druck seines Knies und seiner Finger nachgab, wandte sich Julià Ballester flink wie eine Katze aus der Umklammerung und krallte seine Finger in Pau Ingladas Wangen. Julià Ballester spuckte einen Mundvoll Blut. Mit übermenschlicher Anstrengung befreite er sich und wälzte sich zur Seite. Das gab Pau Inglada die Gelegenheit, in seine Jacke zu greifen und die Pistole hervorzuziehen, um sie auf Julià Ballesters Brust zu drücken.

      „Wie einen Hund! Wie einen Hund werde ich dich töten!“

      Pau Ingladas Gesicht, Hände und Hemd waren blutverschmiert. Er sprach mit einer verzerrten Stimme, als hätte er einen Stein im Mund.

      „Wie einen Hund.“

      „Du tötest doch nur mit Worten. Dein Schwanz ist so winzig wie eine Dattel. Du bist wie die Hühner, rennst vor jedem Lärm, dem kleinsten Ping, davon.“

      „Du trinkst jetzt das hier …“

      Mit dem Kopf deutete er auf die Flasche mit dem Sulfat.

      „Tollwütig wie ein Köter wirst du platzen. Weil dein Vater, gestern, fünf Männer abgeschlachtet hat. An der Mauer vom Friedhof. Mein Vater wird vom Himmel herunter deine Mutter umbringen. Schimmlig gelb wird er sie werden lassen. Er wird ihr das Gesicht abziehen, wie die Schlachter, die mit dem Messer die Knochen abschaben. Euer ganzes Haus wird verrotten, weil deine Mutter nicht mehr da sein wird. Und dein Vater wird verlassen sterben, in einer Ecke liegend, wie die Katzen, die liegengelassen auf den Feldern verenden.“

      Pau Inglada griff nach der Flasche. Er legte die Astra auf den Boden. Langsam.

      „Trink das. Alles. Ohne abzusetzen.“

      Er drückte Julià Ballester den Flaschenhals an den Mund, sodass dieser mit zusammengebissenen Zähnen ein wenig schluckte. Dann geschah etwas Unerwartetes: Julià Ballester, der den Ausdruck eines Besiegten im Gesicht hatte, stieß mit dem Kopf in Pau Ingladas Bauch und griff nach seinem Kiefer. Mit aller Brutalität stieß er nach oben, als wollte er ihm den Kiefer brechen. Dann krallte er die Finger in Pau Ingladas Brust, in seine linke Brustwarze. Man hörte das Fleisch reißen, als zöge man mit einer Zange daran. Pau Inglada brüllte wie ein Schlachtvieh. Während er wie am Spieß schrie, sah ich, wie er verzweifelt versuchte, in seine Hosentasche zu greifen.

      „Pau, neeein!“

      Pau Inglada rammte Julià Ballester das Messer in den Hals, bis zum Griff.

      In der Höhle spürte man einen kühlen Luftzug. Das Wasser – plopp, plopp, plopp – tröpfelte im Sekundentakt von den Wänden.

      Ich rannte fort, zum Ausgang der Höhle. Die Sonne war längst untergegangen. Bevor ich in die kühle Abendluft hinaustrat, drehte ich mich um. Pau Inglada hatte die Hand auf die Haare des toten Julià Ballester gelegt und küsste seine Stirn. Kurz. Als schäme er sich. Die Landschaft war beinahe dunkel.

      Ich rannte ins Dorf, ohne Halt zu machen. Nahe dem Tor, als ich die ersten Häuser erkannte, in denen schon das Licht eingeschaltet war, brach ich in Tränen aus.

      Man trug Julià Ballester in sein Haus. Er war in ein Tuch gewickelt und lag auf dem Karren seines Vaters. Das ganze Dorf stand vor der Tür, leise redend und wartend, dass die Männer den Toten bringen. Die zwei in der Nacht zu den Feldern ausgeschickten Männer von der Guardia Civil fanden Pau Inglada nicht. Ganze Brigaden suchten ihn acht Tage lang und, obwohl sie jeden Meter und jeden Busch absuchten, fanden sie ihn nicht. Bis in die Nacht hinein waren Leute und Hunde auf den Feldern. Nach einer Woche entdeckten sie neben dem Brunnen von Jeroni Crous Fußspuren von Pau Inglada. Gleich neben seinen kleinen Fußabdrücken im Staub waren Spuren von Perlhühnern und Wachteln, die zum Trinken an die Schale unter der Pumpe kamen, zu sehen.

      Die lange Leiter des Elektrizitätswerks wurde in den Brunnen hinabgelassen. Ein Mann aus Pau Ingladas Straße brachte ihn nach oben. Er trug ihn unter dem Arm.

      Man legte den Leichnam auf einen Sack, den man auf die Erde geworfen hatte, die Sonne brannte. Man wartete auf den Staatsanwalt, die Guardia Civil, zwei weitere Polizisten aus dem Ort – alles für ihn, der noch ein Kind war … Eine Aasfliege kreiste um seine Augen. Sie zerstörte die bleierne Stille der Menschen, die sich beim Brunnen versammelt hatten und ihre Mützen in den Händen rotieren ließen. Der Pritschenwagen des Bestatters kam heran, ohne jeglichen Flor, staubbedeckt,

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