Das Meer. Blai Bonet
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Joan Mercader und ich verließen die Lungenstation. Mit aufgeknöpftem Kittel und Händen in den Hosentaschen durchquerte Joan Mercader pfeifend und hart mit den Absätzen auftretend den Saal. Er ist jemand, der selbstsicher geht. Wie ein Korporal des Pionierregiments. Er hat etwas von einem Soldaten, der Ausgang erhalten hat. Wie er den Saal der Lungenstation verlässt, den Gürtel offen (den Bauchnabel fast kindlich zur Schau gestellt), wie er sich nicht zur Wand dreht, wenn er seine Hose herunterlässt, um das Hemd einzustecken. Jordi Mercader, der kein Unterhemd trägt, wie er mit dem Gesicht zu uns, als stünde er allein auf einem Feld, sich sein Hemd überzieht, sich im Kreuz streckend das Hemd vorne in die Hose stopft und kurz seinen gelbhäutigen Bauch zeigt. Danach bindet er seinen Gürtel zu und ordnet geistesabwesend und souverän mit zwei sanften Griffen seinen Schritt – wie das ordnende Herumfuchteln eines Matadors nach acht einfachen pases.
Beim Öffnen der Aufzugstür wandte er sich zu mir.
„Du hast feuchte Augen, beinahe wärst du in Tränen ausgebrochen, als dich der Direktor fragte, welchen Beruf du hast.“
Ich antwortete:
„Weil ich noch nie gearbeitet habe, darum. In meinem Dorf – Du hast keine Ahnung, wie die Leute in einem Dorf ticken! – würden die Leute Mitleid mit mir haben, wenn sie mich in einer Schreinerei arbeiten sähen oder im Steinbruch, wenn sie sähen, wie ich eine Schubkarre durch den Ort placke, mit Zement oder mit Kalk bis oben hin, wenn sie mich als Gepäckjungen auf dem Bahnsteig sähen oder bei Joan Martí, dem Barbier – du hast keine Ahnung, wie Spott auf dem Lande klingt. Einer wie ich dürfte nur in der Verwaltung arbeiten oder in einer Bank. Aber weder im Rathaus noch in der Bank hätte man mich gewollt, weil ich nichts besaß und mir Eugeni, der Kaufmann, manchmal etwas gab und mich in seinem Auto ins Theater in der Stadt mitnahm und ihn die Leute wegen mir schon «La Verònica» nannten.“
Joan Mercader sagte:
„Wenn du aus dem Sanatorium rauskommst, wirst du wie wir alle irgendwo schaffen. Der Direktor hat gesagt, dass du bereits gesund genug bist für Arbeit. Wenn du nicht arbeitest, wirst du wie vorher den ganzen Tag die Hände in die Hosen stecken. Man muss immer was in den Händen haben, ob Holz, Steine, Kalk oder Brot. Aber wenn du den lieben langen Tag die Wärme deiner Hosentaschen suchst, kommst du erst mittags aus den Federn. Du wirst sehen, wie du wieder fett wirst und dann traurig. Irgendwann reißen deine Arterien, und das Blut wird so heftig aus dir herausschießen, dass es den Spiegel vollspritzt, wenn du einen Spiegel in deinem Zimmer zu Hause hast. Du wirst wie Justo enden, der das Betttuch über den Spiegel am Waschbecken warf, damit er sein Blut nicht sehen musste. Du musst einen Ausweg finden, Ramallo. Einen Ausweg, hast du gehört …“
„Ich habe die Lösung. Sie ist mir gestern eingefallen. Im Bett.“
Und während er die Hand auf meine Schulter legt und mich mit seinen hellen Augen anschaut:
„Verzeih, was ich dir gesagt habe, Ramallo.“
„Sei ruhig, du hast ja recht, Mann.“
7 | MANUEL TUR |
Was ich denke: Es ist kalt auf dem Klosett.
Was ich spüre: Wenig Lust, Wasser zu lassen, eine Nervosität, so etwas wie den Vorwand, das Bett zu verlassen.
Ich setze mich auf und stütze mich kräftig links und rechts mit beiden Händen auf die Matratze.
Ich schaue auf das gelbe Mosaik der Galerie, auf die weißen Säulen, die grüne Landschaft, mit den Zehen suche ich nach den Pantoffeln unter dem Bett.
Auf den Füßen stehend. Ich. Der Kopf dreht sich mir und ich suche das Gleichgewicht, während die Augen schwindelig kreisen.
Warum gehe ich zum Spiegel? Ich weiß es nicht … natürlich, weil er sauber ist und ich mich in der Reinlichkeit des Spiegels begrüßen möchte.
„Hallo!“
Die grüne Dose Profidén-Zahnpasta auf dem weißen Waschbecken liefert mir den Anlass, hinzugehen. Meine Lippen sind voll und rot, meine Ohren groß und weit abstehend. Ich habe einen kurzen Hals und meine Augen waren schon immer glasig und wässrig. Schon immer. Es ist drei Uhr. Wie immer. Ich höre das Röcheln meiner Luftröhre. Das Röcheln der Luftröhre spiegelt sich nicht im Glas. Weil der Spiegel wie das Glück ist: Er wirft nur das Bild zurück, nie die Wirklichkeit. Wie der wunderbare Lichtstrahl eines Leuchtturms, der niemals das Petroleum mitsendet, niemals den Docht, der weder die Augen des Leuchtturmwärters noch dessen Frau mitsendet.
Der Rand des Waschbeckens reicht mir bis zur Hüfte. Ich lege meine Traurigkeit auf das Waschbecken, das weiß ist und aus Stein. Eine Traurigkeit wie aus jenen Tagen in meiner Kindheit, als draußen Sommer war und ich daheimblieb, allein, und die Tür schloss, um Vaters Rasierer hervorzuholen und mir in der Küche den Schnauzbart zu rasieren, heimlich, und mich freute, den feinen Geruch der Rasierseife in der Nase zu haben. Danach stellte ich mich im Schlafzimmer meiner Eltern vor den großen, gefasten Spiegel und freute mich zu sehen, dass ich ein Mann wie die anderen bin, die sich zur Wand drehen, wenn sie sich entkleiden.
Ich stelle mich an die Tür zum Korridor. Mein Kopf – er fühlt sich schwer an – drückt auf die Schultern.
Hinter der geschlossenen Jalousie stehen die grünen Eukalyptusbäume, sie wiegen sich in der kühlen Morgenluft. Die Bergkette ist nicht zu sehen, aber man spürt ihre Nähe, so wie Rheumakranke das Wetter fühlen.
Die Urinale sind weiß und abgetrennt, durch kleine marmorne Trennwände, die so grau sind wie das Gesicht Ramon Duchs, des Priesters und früheren Mitschülers von Pater Gabriel. Er starb in der 15. Alle gingen hin, um ihn zu sehen, bevor ihn Agustí Alcàntara in die Leichenhalle brachte. Sein Gesicht war wie mit Asche bestreut, die überweit aufgerissenen Augen waren grün, und wo sich sonst Tränen sammeln, war ein schwarzer Faden seines Blutes. Wer in der 15 stirbt, hat meist ein gefrorenes starkes Grinsen im Gesicht. Seines war ein rundes Lachen, als sei es ihm nach einem Witz ins Gesicht gesprungen. Als hätte ihm der Witz des Lebens gefallen, als hätte er, der aus der 15, den Witz des Lebens verstanden, als stünden das Lachen und die blutige Träne für die Weisheit und die Scham der 15.
Ein langer Pfiff gellt in mein Ohr. Wie das Pfeifen eines Zuges. Ich lege die linke Hand oben auf die Trennwand, die Augen schielen in die Tiefe, als hätten Sie keine Lust zu sehen. Der Kopf reckt sich über den aufsteigenden Dunst, mit dem Gesicht zur Wand. Ich uriniere, Tropfen für Tropfen, als weinte ich.
Wenn ich die Hand von der Trennwand nähme, würde ich zusammenklappen. Wie ein Toter. Wie jemand, der umfällt und stirbt. Mich mit den Händen an der Wand abstützend könnte ich zurück bis zum Korridor gelangen. Die paar offenen Meter vom Waschraum rüber zu meiner Tür werde ich nicht schaffen. Ich stütze mich von Trennwand zu Trennwand und gelange an das Waschbecken der Wand gegenüber, der entferntesten Wand. Ich beuge meinen Kopf unter den kalten Wasserstrahl. Ich werde reagieren. Reagieren. Ich werde reagieren. Ich glaube an Gott. Ich glaube an Gott. Ich glaube an Gott. Eine Hand stütze ich auf das Waschbecken, denn trotz aller Vorsicht ist mir gerade eine Vene gerissen. Blut spritzt heraus. Heftig. Es spritzt gegen die gekalkte Wand. Es glänzt. Wie die Farbe auf den Werbetafeln, die nachts neben den Landstraßen aufleuchtet. Es schießt wieder hervor, diesmal ins Waschbecken. Ich kann nicht fort von hier, weil mich das Bluten hier festhält. Mit brutaler Kraft schießt es heraus. Wäre ich zu Hause, der Eimer wäre längst randvoll. Das Gesicht ist schweißnass und ich spüre – schon spüre ich –