Jupiter 6: Gravo-Schock. Hubert Haensel
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»Hannan ...!«
Eine Meldung wurde im Display eingeblendet: »Der Funkkontakt wurde von der CHARLES DARWIN II aus abgebrochen.« Stirnrunzelnd nahm Bull den Hinweis zur Kenntnis.
Abrupt wandte er sich um. Unschuldig hell, von einem matten Leuchten umflossen, erhob sich der Quaderturm aus dem ewigen Eis. Aus der Distanz sah Bull den fahlen Schimmer weitaus besser als von Nahem.
Ich finde heraus, was sich hier abspielt!, dachte er heftig. Gegen eine Verständigung habe ich weiß Gott nichts einzuwenden – aber wer oder was immer du sein magst, lass dir nicht einfallen, hier alles durcheinanderzubringen. Ich mag keinen Ärger, darauf reagiere ich allergisch!
Das Artefakt verwirrte ihn. Möglich, dass ausgerechnet seine Mentalstabilisierung dem gegenseitigen Verständnis im Weg stand. Andererseits hatte er bislang von keinem der Wissenschaftler erfahren, was die Quader erzählten. Nicht nur die Kapazitäten aus Galileo City behaupteten, dass dieses Objekt zu ihnen sprach. Die beiden terranischen Hyperphysiker und der Dimensionstheoretiker hatten sich ebenfalls dergestalt geäußert.
Bull vermutete, dass das Artefakt entsprechende Empfindungen in ihnen wachrief. Ob tatsächlich Substanz dahintersteckte, konnte er noch nicht erkennen. Dieses Ding vermittelte Gefühle, so viel stand für ihn jedenfalls fest, und es waren durchaus angenehme Empfindungen.
Das an sich war nicht negativ zu bewerten. Womöglich verfügte das Artefakt aus dem Eis über keine andere Möglichkeit, sich verständlich zu machen.
Gefühle, überlegte Bull, gehörten zur Psyche der meisten intelligenten Wesen. Über Gefühle ließen sich Bereiche des Unterbewussten ansprechen, die für Worte oder Bilder allein nur schwer zugänglich waren.
Er betrat die Eisbrücke. Aus seiner zuvor schlechten Perspektive hatte er richtig erkannt, dass jemand zusammengebrochen war. Nun sah er mehr, zumal die Umstehenden vor den beiden Robotern zur Seite wichen.
Kateen Santoss lag verkrümmt am Boden. Bull erkannte die Frau an einigen Details ihres Schutzanzugs. Vor längstens zwei Stunden hatte er sich kurz mit ihr unterhalten. Sie schien ziemlich überrascht gewesen zu sein, dass ihr in der zerklüfteten Eiswüste der Ovadja Regio ausgerechnet der Residenz-Minister für Liga-Verteidigung über den Weg lief – einer der ranghöchsten Regierungsvertreter der Liga Feier Terraner.
Andererseits, das hatte sie offen zugegeben, hätte sie damit rechnen müssen – immerhin war ein unbekanntes Etwas aus der Vergangenheit ins Solsystem eingedrungen. Kateen Santoss hatte in Terrania lemurische Geschichte und Archäologie studiert und war schon vor Ort gewesen, als das Artefakt sich aus dem Untergrund hochgeschoben und das Eis durchbrochen hatte.
»Reginald Bull!« Hannan O'Hara war wieder da. Nicht ihr Konterfei, sondern ihre Stimme. »Wir holen dich da raus!«
»Ich habe nicht um Unterstützung gebeten, Hannan.«
»Perry hat ...«
»... hat was?«, unterbrach Bull sie. Ihm lag wenig daran, den Kugelraumer der SATURN-Klasse über dem Artefakt zu sehen. Solange nicht feststand, ob die fünf »Porzellanwürfel« wirklich eine Bedrohung darstellten, wollte er diese Provokation vermeiden.
Warum eigentlich?, fragte er sich. Bin ich doch beeinflusst?
»Perry hat angeordnet, dich da rauszuholen!«, stellte die Kommandantin klar. »Ich will ihn lebend wieder – genau das waren seine Worte.«
»Wie nett von ihm. Aber mir geht es gut.«
»Genau das glaubte der Resident wohl nicht. Es war seine Entscheidung, dass wir dich abholen sollen ...«
»Wo ist Perry jetzt?« Erneut fiel Bull der Kommandantin ins Wort. »Lass mich zur Micro-Jet weiterleiten, Hannan!«
»Es tut mir leid, Reginald.«
Er reagierte wie elektrisiert. »Was tut dir leid? Ich will nicht hören, dass ...«
»Genau das. Wir haben die Jet aus der Ortung verloren.«
»Du sprichst von den Ortungen der CHARLES DARWIN. Die Leistungswerte eines ENTDECKERS kennen wir beide aus dem Effeff.«
»Keine Ortung! Kein Funkkontakt!«, versicherte O'Hara. »Wir versuchen seit einigen Minuten intensiv, die Spur des Boots wiederzufinden.«
»Wo ist Perry?«, wiederholte Bull. Eindringlich betonte er jedes Wort.
»Wahrscheinlich in der Jupiteratmosphäre«, antwortete die Kommandantin.
»Behaupte nicht, er sei dort nicht aufzufinden.« Bull reagierte mit einer heftig abwehrenden Handbewegung. »Gibt es wirklich keine Spur? Der Resident der Liga Freier Terraner verschwindet doch nicht einfach!«
»Das nahe Umfeld des Planeten ist in Aufruhr geraten.«
»Wohin wollte er? Irgendeine Erklärung muss Perry doch abgegeben haben. Ich vermute, dass er eine der Faktoreien anfliegt.« Bull stutzte. Erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, was O'Hara eigentlich gesagt hatte. »Was geht über Jupiter vor sich?«, fragte er hastig.
»Nach allem, was wir momentan anmessen können, tobt ein energetisches Chaos.«
»Also normale Verhältnisse.«
Für einige Sekunden stabilisierte sich die Bildverbindung wieder. Sie gab Bull zumindest das Gefühl, dass die Situation keineswegs so unübersichtlich war, wie O'Hara sie darstellen wollte.
»Wenn du einen Schwerkraftsturm und unerklärbare Energieentladungen für normal hältst, sind die Verhältnisse rings um Jupiter natürlich unverändert.« O'Hara verzichtete sogar darauf, ihre Frisur zurechtzurücken. »Ausgelöst werden diese Erscheinungen offenbar durch wandernde Schwerkraftfelder variierender Stärke.«
»Genaue Werte?«
»Einige Hundert Gravos. Bis hin zu tausend, zweitausend und mehr. Sie zeigen eine ähnlich irreguläre Struktur wie die Anomalien im Bereich des Artefakts.«
»Hier ist nichts davon zu spüren«, versicherte Bull.
»Wir können in wenigen Minuten bei dir ...«
»Abgelehnt!«, widersprach er heftig. »Kümmert euch um die Micro-Jet. Falls die Turbulenzen weiter anwachsen, dürfte es für die Nussschale ziemlich unangenehm werden.«
»Wir schicken dir eine Korvette ...«
»Ebenfalls abgelehnt! Ich bleibe auf Ganymed, und keine zehn Haluter brächten mich von hier weg. Falls das Artefakt eine Bedrohung bedeutet, ist mein Platz erst recht hier.«
»Perry wollte ...«
»Das soll er mir selbst sagen! Hol ihn und seine Begleiter aus der Gefahrenzone,