Der Erste Weltkrieg. Daniel Marc Segesser
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Innenpolitisch war die Situation in Indien vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges oberflächlich ruhig. Die 1905 erfolgte Teilung Bengalens, die sowohl unter Muslimen als auch unter Hindus zu großen Diskussionen geführt und eine Spaltung des All-India National Congress zur Folge hatte, war 1911 zurückgenommen worden. Gleichzeitig war den Muslimen, die in der kurzzeitig bestehenden Provinz Ostbengalen die Mehrheit gestellt hatten, mit den Morley-Minto Reformen von 1909 die Schaffung von separaten Wahlkörperschaften zugestanden worden, was ihren Einfluss auf gesamtindischer Ebene gegenüber den anderen Volksgruppen des Landes gestärkt hatte. Zudem schuf die neue Verfassung von 1909 neue Möglichkeiten für Debatten im Imperial Legislative Council, auch wenn Mehrheitsentscheidungen weiterhin nicht möglich waren und der Executive Council der Legislative auch weiterhin nicht verantwortlich war. Gerade in diesem Punkt bestand in Indien ein großer Unterschied zur Situation in den Dominions. Dort wurden die Legislativen nicht nur von der männlichen und in Neuseeland sowie Australien auch der weiblichen Bevölkerung nach freiem und geheimem Wahlrecht gewählt. Eine Regierung konnte auch nur gebildet werden, wenn sie sich auf eine Mehrheit im Parlament verlassen konnte. Im Bereich der Wirtschaftspolitik waren die Dominions ebenfalls weit unabhängiger als Indien. Sie nutzen deshalb ihren Spielraum, um durch die Errichtung von Zollschranken den Import von Industriewaren zugunsten der im eigenen Land entstehenden Industriezweige einzuschränken. Die meisten Dominions entschieden sich dabei für eine Politik, mit welcher Waren aus Großbritannien gegenüber solchen aus anderen Staaten weiterhin bevorzugt wurden. In Indien waren solche Schritte nicht möglich, was immer wieder zum Vorwurf geführt hat, dass die dortige britische Herrschaft das Land wirtschaftlich schädige und die Entwicklung einer eigenen Industrie hemme. Angesichts der Tatsache, dass sowohl die britischen als auch die indischen Historiker mit ihrer Forschung häufig die Interessen ihres eigenen Landes zu schützen versuchten, ist es nicht immer einfach, zu einer fairen Wertung der gemachten Aussagen zu kommen. Der Schlüssel zur Beantwortung der Frage, weshalb die Industrialisierung Indiens nicht vorankam, liegt wahrscheinlich aber darin, dass das vorhandene Investitionskapital nicht primär dem industriellen Sektor zugute kam. Wie in Großbritannien, jedoch im Unterschied zu vielen Staaten auf dem europäischen Kontinent, aber auch in Japan unterblieb eine gezielte staatliche Förderung der industriellen Produktion. Andererseits fand das indische Investitionskapital im bestehenden System der landwirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse auf Grund des gläubigerfreundlichen britischen Rechts im landwirtschaftlichen Sektor im Dienstleistungsbereich bessere Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen. Dies wirkte sich besonders für die Textil- sowie die Eisen- und Stahlindustrie negativ aus. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass Jimsetji Nusserwanji Tata, der bereits im 19. Jahrhundert versuchte, eine indische Schwerindustrie aufzubauen, sein Projekt erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Tat umsetzen konnte. Eine stärkere politische Partizipation indischer Bildungsschichten hätte hier möglicherweise durchaus eine Entwicklung wie in Australien, Neuseeland, Kanada oder Japan in Gang setzen können.
Wie bereits mehrfach angedeutet, waren die Vereinigten Staaten von Amerika im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer wirtschaftlichen, zunehmend aber auch politischen Großmacht aufgestiegen. Zwar hatte sich die Expansion des Landes in dieser Zeit vornehmlich noch auf die Erschließung und Eingliederung der verbliebenen Landesteile auf dem nordamerikanischen Kontinent konzentriert, dies bedeutete jedoch nicht, dass das Land und viele seiner Exponenten vollständig auf eine weitere Expansion – auch über die Grenzen des amerikanischen Kontinentes hinaus – verzichten wollten. Gerade William H. Seward – der Außenminister der Präsidenten Lincoln und Johnson – war überzeugt, dass die USA in Zukunft ähnlich wie Großbritannien eines informellen Empires bedürften, um die Absatzbedürfnisse der stetig wachsenden eigenen Industrie und der landwirtschaftlichen Produktion befriedigen zu können. Zu einem wichtigen Ziel wurde nach einer Phase der Zurückhaltung in den Jahren zwischen 1870 und 1890 in diesem Zusammenhang die Sicherung des Handels im Pazifik (Hawaii, Japan, China) sowie mit den lateinamerikanischen Staaten. Dabei nutzten die amerikanischen Regierungen auch immer wieder Rebellionen gegen die Herrschaft speziell der spanischen Kolonialmacht in der Karibik und in Ostasien. Nach dem Erfolg im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 sicherten sich die USA die formelle Kontrolle über Guam, die Philippinen und Puerto Rico. Zudem richteten sie eine Art Protektorat über das offiziell unabhängige Kuba ein. In der Folge intensivierten die amerikanischen Regierungen – allen voran die Administration von Präsident Theodore Roosevelt – die Interventionen der USA in Mittelamerika und der Karibik (Interventionen in Haiti, der Dominikanischen Republik und Nicaragua). In Fernost drängten sie auf eine Politik der Open Door, um dem amerikanischen Außenhandel den Zugang zu den dortigen Märkten zu sichern, dies besonders in China. Trotz des diplomatischen Erfolges in der Vermittlung des Friedensvertrages von Portsmouth (New Hampshire) am Ende des Russisch-Japanischen Krieges gelang es den USA allerdings vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges nicht, ihre Position in Ostasien im gleichen Ausmaß auszubauen wie in der Karibik und in Mittelamerika.
Für die Entwicklung in Ostasien von zentraler Bedeutung war die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Japan. In der Regel ist davon im Hinblick auf die Geschichte des Ersten Weltkrieges selten die Rede, da der ostasiatische Raum von den meisten Historikerinnen und Historikern als Nebenschauplatz betrachtet wird. Es ist zwar durchaus richtig,