Nomade im Speck. Wiglaf Droste

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Nomade im Speck - Wiglaf Droste

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hat er fertig geraucht, wir gehen zurück ins Lokal, und ich frage mich, was ich mehr als dreißig Jahre lang in Berlin gesucht habe, wenn man dort doch alles, was in der Erinnerung aufbewahrt zu werden lohnt, in nur drei Tagen erleben kann.

      Jömmeläsch, gleich bei Gott um die Ecke

Joemmelaesch Made und Speck

      »WILLKOMMEN IN GROSSFRITANNIEN«, scherzt mein Gastgeber. Wir haben im niederländischen Vaals die deutsch-holländische Grenze gequert und sind wenige Minuten später im belgischen Gemmenich angekommen, das von den Einwohnern Gemmenichs allerdings »Jömmeläsch« ausgesprochen wird.

      Zur Begrüßung gibt es das belgische Nationalgericht, Moules-frites, Miesmuscheln in Kräutersud mit Pommes frites. Dazu trinken wir Grand Cru du Val Dieu, ein dunkles belgisches Bier aus der Abteibrauerei in Aubel. Ob in diesem Tal tatsächlich Gott zu Hause ist, weiß ich nicht, zumal das Val Dieu, bevor die Mönche sich ansiedelten, Val du Diable hieß, Tal des Teufels, aber das von den Nachfahren der gewieften christlichen Umcodierer gebraute Bier könnte man IHM, wenn es IHN gäbe, ohne Bedenken anbieten, und Moules-frites sowieso.

      Später wird geraucht, mein Gastgeber ist ein erfahrener Cigarristo und schlägt eine italienische Toscano vor, eine sogenannte Drei-Männer-Zigarre, die so heißt, weil man zu ihrem Genuss angeblich drei Männer braucht: einen, der raucht, und zwei, die ihn stützen. Das Schönste an der Drei-Männer-Zigarre ist, dass sie für zwei Männer bestimmt ist: Man schneidet sie in der Mitte durch und teilt sie sich. So gesehen ist die Drei-Männer-Zigarre eigentlich eine Sechs-Männer-Zigarre, also ein perfektes Instrument zur Förderung eines gedeihlichen Soziallebens.

      Zum anregenden Kraftkraut wird weiter Val Dieu getrunken, und wie es sich für einen Rauchersalon alter Schule ziemt, kommt irgendwann auch die Politik auf den Tisch, aber eben milde und distanziert. In Belgien gibt es tausend Biersorten und manchmal 500 Tage lang keine Regierung. Kristallklar schimmert der innere Zusammenhang auf: Pro Biersorte gibt es einen halben Tag ohne Regierung, man muss also nur jeden Tag zwei neue Biere brauen, dann kann die Regierung weiter einpacken und sich gehackt legen. Wie lange wird der Wettlauf mit der Zeit noch andauern? Halten die belgischen Brauer durch und bleiben erfindungsreich?

      Vom abendlichen Rauchen mehrerer Drei-Männer-Zigarren ist uns andernmorgens etwas nebulös zumute, und weil auch das Klima wattig und schwadig klamm sich zeigt, schlage ich vor, das beste Gegenmittel zuzubereiten, um Unbill gar nicht erst aufkommen zu lassen: eine Hühnersuppe. Mein Gastgeber stimmt zu; so geht es zum Markt nach Lüttich. Ein richtiger Markt ist das und nicht so ein nutzloses Ensemble von Feinkosthäppchenständen, wie man es aus Berlin kennt, wenn auch nicht gewohnt ist, denn gewöhnen kann sich an Simulation nur, wer selbst simuliert. In Berlin schreiten die stolzen Besitzer von Wir-machen-alles-aber-sowas-von-richtig-Frisagen durch ihre Öko-Nischen, selbstgerechter als jeder Papst, gute grüngurkene Bürger keinerlei Geschlechts. Die haben es, wie man so sagt, geschafft. Wer sich selbst ganz großartig findet, muss niemand anderem mehr gefallen.

      Nun aber sind wir in Lüttich, auch Palermo ohne Palmen genannt, Balermo ohne Balmen, wie der Franke respektive Wrrange sagt. Der aus Franken stammende Autor und Schauspieler Hanns Zischler erzählte mir, dass er als junger Mann vor der fränkisch-wrrängischen Aussprache des Wortes »Erotik« habe fliehen müssen: »Erroodick«. Die habe er nicht erleben wollen, und das verstand ich seelisch und physisch sofort.

      Im Lütticher Marktlärm und Gedränge gibt es richtige Gesichter, nicht dieses zusammengecastete Volk. Wir tauchen ein in den Strom der Düfte, der Farben, der Stimmen. Man kann das Leben schmecken und anfassen, bald ist ein Schwarzfederhuhn gefunden, dazu Möhren, Zwiebeln, Ingwer, Knoblauch, Sellerie heißt c’est la vie, am Käsestand tränen die Augen vom miegigen Dunst, würzig ist das Leben, prall und voller Saft.

      Auf ein Getränk geht es ins »Les Olivettes«. Ein Pianist, der Spinnweben angesetzt hat, begleitet die Sängerinnen und Sänger, die für jeweils zwei Lieder die kleine Bühne erklimmen. Es sind ältere Herrschaften, die ihre Intonationsunkenntnis durch Inbrunst kompensieren. Das Publikum, Kaffee oder Bier trinkend, hat Freude dran, singt mit und applaudiert, und die alten Gestalten auf der Bühne geben alles, einer hat ein großes silbernes Kreuz vor der Brust baumeln, ein anderer hat sich mit seinen etwa 70 Jahren ganz in Alarmrot gewandet und trifft nicht einen einzigen Ton.

      Richtig schön verhauen ist das, nach etwa sieben Liedern mahnt das Trommelfell zum Aufbruch, und so verlassen wir Lüttich, die Stadt, in der Georges Simenon aufwuchs und schon als Halbwüchsiger Reporter war, bevor er der hinreißende Kriminalschriftsteller wurde, dessen Werke alle Moden überdauern. Auf Simenon trinken wir später ein belgisches Bier, das »Mort Subite« heißt, plötzlicher Tod. Könnte das nicht der Anfang einer Kriminalgeschichte sein?

       Schwertfischposaunenbar

       Für Carsten

Schwertfisch Made und Speck

      EINE GUTE BAR IST EIN PLATZ, an dem man mit sich und der Welt ins Reine kommen kann. Manchmal ist das nötig, weil alles, was man am Tag zu hören und zu sehen bekam, sich erst mal sacht setzen muss. Das ist kein dramatischer psychoanalytischer Vorgang, bloß private Hygiene, und genau das ist so angenehm daran: Man belästigt niemanden mit seinem Kram, sondern siebt und sortiert ihn für sich selbst.

      Ob man dazu einen Kaffee, einen Mojito, ein Bier, einen Wein oder ein Wasser trinkt, ist eine Frage des Geschmacks oder der Gewohnheit und spielt ansonsten keine Rolle. Hauptsache, man kann das Trübe klären und filtrieren, Gratisgeschwätz von Substantiellem unterscheiden und gewissermaßen geistige Mülltrennung betreiben. Besser als in den eigenen Wänden gelingt das oft an Orten, die genau zu diesem Zweck errichtet wurden: in einer Kirche oder in einer guten Bar. Man ist dort nicht allein, doch wenn man es sein möchte, ist man für sich.

      Weihwasser zählt nicht zu meinen Lieblingsgetränken, und den himmlischen Freuden ziehe ich die irdischen entschieden vor. Sie sind greifbar, erreichbar und bezahlbar, und mit diesen Worten ist man schon in der Bar. Was für ein Genuss, einem guten Barmann bei der Arbeit zuzusehen: wie er Gläser poliert, seinen Laden fein in Schuss hält und diese Mischung aus Aufmerksamkeit, Zurückhaltung und Autorität verströmt, die so selten ist.

      Man fühlt sich aufgehoben, wird beachtet, ohne belästigt zu werden, und ehe man sich’s versieht, steht das gewünschte Getränk auf dem Tresen oder auf dem Tisch, selbstverständlich auf einer kleinen Serviette und niemals servil serviert, sondern immer elegant. So kann Glück aussehen: schön einfach und einfach schön. Man muss es aber können.

      Die Schwertfischposaunenbar, in der ich über ein Jahrzehnt lang immer wieder einmal vor Anker ging, hieß nicht so, aber ich gab ihr für mich diesen Namen, weil dort stets nur Musik ertönte und niemals akustischer Raumspray versprüht wurde. Wie wohltuend ist es, wenn man sich konzentrieren darf und sich nicht zerstreuen lassen muss! Nord- und Südpol sind längst hektisch erforscht und zerlatscht; wer aber einen Ruhepol entdeckt, ist ein glücklich gelandeter Reisender.

      Und so lauschte ich der »Swordfishtrombone« von Tom Waits, unbehelligt vom Gewühl der Welt, denn der Besitzer der Bar und seine Leute kannten das erste Gesetz für eine gute Bar: Nicht die Kundschaft sucht sich die Bar aus, sondern die Bar ihr Publikum. Lieber hat man einen ruhigen Abend mit wenigen, angenehmen Gästen, als eine vollgepfropfte Durchgangsstation für den globalen Vergnügungsviehtrieb zu sein. Geld

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