Das Auge des Feinschmeckers. Frank Winter
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»Ich bin, was ich immer gewesen bin, ein Schotte, vielleicht ein bisschen introspektiv. Ich erzähle keine Lügen und bin aufrecht.«
Sean Connery, Schauspieler
James Bond lässt grüßen
Die dunklen Häuser des Stadtteils Fountainbridge pfiffen auf gutes Aussehen, solange sie nur ihren Bewohnern eine sichere Zuflucht bieten konnten. Äußerlich ähnelten sie einer Ansammlung von Mini-Burgen, gebaut für die Stadtbewohner der Neuzeit. Besucher konnten durch die knappen Vorhöfe hindurch gut erspäht werden. Freilich mussten die Menschen des 21. Jahrhunderts weder eine Zugbrücke überqueren noch mit siedendem Pech rechnen. Die einzige heiße Essenz, die man ihnen offerierte, war eine gute Tasse Tee. Und obwohl man Sean Connery den Wegzug aus seinem Viertel nach Jahrzehnten noch übel nahm, käme auch er in diesen Genuss. Aus dem Guest House »Villa Buongiorno« trällerte eine Stimme unaufhörlich »I love you, I love you«. Der Papagei saß in einem Käfig und bewegte außer den künstlichen Stimmbändern rein gar nichts. Er würde sehr wahrscheinlich noch älter werden als ein leibhaftiges Tier. Sein Herz konnte nicht aussetzen, allenfalls die Batterie, die das integrierte Tonband antrieb. Die Dame seines Herzens, Maria Vitiello, schmunzelte und schüttelte den Kopf, während sie weiter die Kartoffeln schälte. Was für eine Zukunft hätte sie mit dem kleinen Stoff-Caruso auch haben können? Ihr Mann Alberto, den sie mitsamt seinem spitzbübischen Humor genießen konnte, seit sich die beiden als Jugendliche zufällig in Edinburgh getroffen hatten, schaltete das Band mit einem Grinsen ab und ging zur Haustür. An diesem Morgen bekam er Besuch von MacDonald, der sich aus dem Bus schwang, in die Leamington Terrace einbog und dabei ein wenig wie ein Seelöwe auf spontanem Landurlaub aussah, mit dem winzigen Unterschied, dass dieser keine glänzend polierten Schuhe tragen würde. Das Guest House offerierte den typischen Geruch von gebratenen Eiern mit Schinken. Tausende von herzhaften Frühstücken waren hier bereits serviert worden. »Ciao, Alberto, heute ist wieder ein herrlicher Tag, nicht wahr?«, rief er, sich des unerschöpflichen Erlebnisfundus des Hauses bedienend. In einer meteorologisch unerquicklichen Zeit hatte Alberto einst zwei reizende, ältere Damen aus den USA beherbergt. Dank ihrer extremen Kurzsichtigkeit merkten sie nicht, dass es Katzen hagelte und er begrüßte sie drei Tage hintereinander enthusiastisch mit demselben Satz. Heute war Alberto allerdings so in Gedanken, dass er das Zitat nicht erkannte. »Ciao, Angus. Wenn ich an die Evakuierung von gestern denke, geht’s mir in der Tat ausgesprochen gut.«
»Hattest du Bombenalarm?«
»Eher Heißmilchalarm. Ein Gast wollte sich Milch warm machen, im Wassererhitzer! Es hat drei Stunden gedauert, die Bescherung von der Decke zu kratzen. Kannst du dir das vorstellen?«
»Du meine Güte, der wollte wohl ›Under Milk Wood‹ von Dylan Thomas in die Tat umsetzen?«
»Es gibt Schlimmeres im Leben, zum Beispiel den Kommentar eines Kollegen. Er hat mich gefragt, worüber ich mich aufrege. Bei ihm hat letzten Monat ein Gast versucht, sich Baked Beans zu kochen, was der Wassererhitzer auch persönlich nahm. Er hat Fotos geschossen für die Versicherung. Wenn du jemandem gehörig Angst machen möchtest, leihe ich dir sie gerne aus. Vielleicht für Halloween? Auf Ideen kommen die Leute. Wie läuft es bei dir so?«
»Ich habe gestern Abend einen abscheulichen Imbiss serviert bekommen.«
»Das wundert mich gar nicht, Angus. Eure schottische Küche! Alles wird frittiert: Fisch, gekochte Eier, sogar Schokoriegel!«
»Es war beim Mexikaner«, erwiderte MacDonald, der sehr wohl wusste, dass Alberto nur Köche ernst nahm, die aus Italien stammten und eine professionelle Ausbildung absolviert hatten, so wie er.
»War das Personal mexikanisch?«, fragte Alberto, denn diese Küche war ihm fast so sehr zuwider wie die der Yanks.
»Nein, vermutlich eher schottisch.«
»Aha! Was hattest du denn?«
»Zunächst so einen unangenehmen Geschmack im Mund ...« »Ich meinte, was du zu essen hattest.«
»Wenn ich das nur wüsste. Der Fleischgeschmack war derart fremdartig und widerwärtig, dass er mich noch immer tyrannisiert. Als ob ich ständig an einem Abfallhaufen schnuppern würde.«
»Puh, dann muss es schlimm gewesen sein, denn das schaffen normalerweise nur ranziger Knoblauch oder Kohlblätter, die das Zeitliche gesegnet haben.« Alberto stemmte die Arme in die Seiten, ein Zeichen für angestrengtes Sinnieren.
»Was überlegst du, mein Freund?«
»Nun«, erwiderte er amüsiert, »vielleicht haben sie dir eines dieser großen, garstigen Tiere serviert. Sie werden gerne für die Herstellung von Handtaschen benutzt.«
»Du meinst, Alligatorenfleisch. Nein, das war es keineswegs.«
»Woher willst du das wissen?«
»Nun, ich habe bereits ...« MacDonald brach ab, weil er nicht wollte, dass sein Freund einen falschen Eindruck von ihm bekam. Er wusste, wie tierlieb Alberto war.
»Sag bloß, du hast schon Krokodilfleisch gegessen. Raus damit«, rief Alberto, der keinerlei Probleme damit hatte, belustigt.
»Nun, äh, in Südafrika aß ich einmal ein Crocodile Carpaccio. Das war es jedenfalls nicht.«
»Ich glaube dir aufs Wort. Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Erde, der am Geschmack eines Huhns erkennen kann, auf welchem Bein es nachts geruht hat.«
»Jetzt übertreibst du aber.«
»Viel hängt auch davon ab, wie die Tiere gehalten werden. Heute ist das meist eine einzige Quälerei.«
»Was gibt es bei euch zum Lunch?«
»Nichts Besonderes, einen kleinen Salat, Pasta und dann etwas Fisch.«
»Die Pasta stellst du selbst her, wie ich annehme?«
»Aber natürlich, Angus. Zufällig bin ich in der Gastronomie tätig und weiß, wie es gemacht wird.«
»Apropos, kannst du mir vielleicht ein gutes italienisches Restaurant in der Stadt nennen?«
»Leider nicht.