Einstürzende Gedankengänge. Ulrich Land

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Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land Mord und Nachschlag

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doch aufgetragen, ich soll noch mal hin zu der Mutter. Fingerabdrücke, Speichelprobe, das ganze Programm. Gesagt, getan. Und die im Labor sind jetzt durch damit. Die Indizienlage ist ziemlich eindeutig. Und die Todesurache ist jetzt auch klar: Lungenentzündung.«

      »Hab ich’s doch gewusst«, antwortest du und kommst zurück ins Hier und Jetzt gestolpert, »hab ich die ganze Zeit gesagt, dass es diese so genannte Mutter war. Dass die ihr Kind auf dem Gewissen hat. Mord durch unterlassene Hilfeleistung. Aber wollten Sie ja nichts von wissen, Sie mit Ihrer braven Beamtenvorsicht.«

      »Aber ...«

      »Sei’s drum; Ei drüber. Also – dann müssen wir die ja jetzt bloß noch bisschen in die Enge treiben und zugucken, wie das Geständnis aus ihr raussprudelt.«

      »Gehe ich verschärft von aus«, nickt Kollegin Mahnemann eifrig, offenbar froh, dass der ermittelnde Hauptkommissar Dollinger doch nicht so ganz neben der Kapp’ steht und außerdem nicht sonderlich nachtragend ist, »die endgültige Überführung dürfte für Sie bloß ’n Kinderspiel sein.«

      »Was für Kinder?«

      »Kinder?«

      »Mir war, als hätten Sie grade was von Kindern gesagt.«

      Die hat doch was von Kindern gesagt. Scheiße, dir war tatsächlich, als habe die Mahnemann grade irgendwas von Kindern erzählt.

      »Sheriff, Sie kommen mir irgendwie so durch ’n Wind vor.«

      Und da ist er wieder. Plötzlich ist der Gedanke wieder da und das Pack-Ende. Jetzt bloß nicht wieder aus den Fingern gleiten lassen!

      »Ach, bloß Kopfschmerzen, Barbara. Rasende Kopfschmerzen, die werd ich nicht mehr los. Seit, was weiß ich, zwei vollen Tagen mindestens.«

      »Seit wir an dem neuen Fall dran sind, kann das sein?«

      »Kann hinkommen. Verflucht, ja, da können Sie wahrhaftig recht haben. Seit diesem jämmerlich umgekommenen Knirps. – Mahnemannsche, hab ich schon gesagt, wie wir jetzt hier weitermachen?«

      »Nee.«

      »Aha.«

      - . -

       6

      »Kopfschmerzen, als wenn mir einer mit der Brechstange die Schädeldecke aufhebeln wollte, ganz langsam. Und der gibt immer mehr Druck drauf. Das lähmt einen; ein Irrsinn ist das.«

      »Wie war noch mal Ihr Name?«

      »Dollinger. Tom Dollinger.«

      »Eine Namensamnesie also noch nicht.«

      »Eine was?«

      »Wenn Sie also mal ganz tief in sich hineinhorchen, was richtet das alles in Ihnen an?«

      »Sag ich ja, ich kriege überhaupt keine Entscheidung mehr hin, von der ich auch nach drei Minuten noch überzeugt bin. Was das für meinen Job bedeutet, brauch ich Ihnen ja wohl nicht auseinanderzuklamüsern.«

      Und du brauchst ja wohl noch weniger auseinanderzuklamüsern, was das für eine Überwindung kostet, überhaupt auf die Idee zu kommen, dich an einen Seelenklempner ... das erste Mal in deinem Leben, dass du zu diesem Strohhalm greifst. Muss es dir schon verflucht scheiße gehn, wenn du dich zu so was ... Gut nur, dass es hier so ’ne Trulla vor Ort gibt. Seit ein paar Jahren hier im Präsidium. Und trotzdem kennt die dich kaum. Gut so.

      Aber jetzt weiter im Text. Wenn du dich schon mal drauf eingelassen hast, dann musst du da auch durch. Also gib ihr Text: »Außerdem tauchen im Tagesablauf immer wieder so total merkwürdige Zeitlöcher auf.«

      Sofort regnet ein warmer Regen auf dich herab. Zephirleise gesäuselte Sätze flattern mit Schmetterlingsflügeln von der Kanzel herab, lassen sich bassbaritonweich irgendwo in deinen Gehörgängen nieder. – Achtung, alter Knabe, aufgepasst, dass die dich nicht um ’n Finger wickelt, dich nicht bei Hammelbeinen kriegt, von deren Existenz du gar nichts weißt, nichts wusstest, woran du aber auf jeden Fall nicht gepackt werden willst. Entscheidend ist, dass DU derjenige bist und bleibst, der die eigenen Marionettenfäden in der Hand hält. DU und kein anderer. Und keine andere schon gar nicht.

      »Zeitlöcher, als würden einzelne Minuten, manchmal auch Stunden oder sogar halbe Tage von einem kosmischen Black-Hole verschluckt«, rieselt es verständnisvoll auf dich herab.

      »Halbe Tage nicht, so weit ist es noch nicht.«

      »›So weit ist es noch nicht‹, Sie glauben also, Herr Dollinger, es könnte durchaus so weit kommen!«

      »Außerdem ist da ewig diese Angst, ich könnte irgendwie nicht mehr funktionieren können. Das ist Terror!« Genauso Terror wie diese beknackte Couch, auf der du’s dir hast »gemütlich« machen sollen. Gemütlich, das ist ja wohl ’n Witz. Du hast schon lang nicht mehr auf so’m ungemütlichen Ding gelegen. Erinnert dich verdammt an deinen Urologen. Der hat auch so ’n knochenhartes Teil, da aber dann noch strafverschärfend mit Kunstleder überzogen. Dass man’s anschließend, wenn einer bei der Untersuchungsprozedur nicht ganz dicht gehalten hat, problemlos abwischen kann. Da lob ich mir doch hier den Baumwollstoff, oder was das ist. Aber von der gemütlich einfühlsamen Sorte jedenfalls ist das Ding nun wahrlich nicht. Meilenweit entfernt von einer Knautsch-Couch. Vielleicht ist das Gerät auch aus gutem Grund nicht so ganz der Gipfel der Bequemlichkeit. Damit nicht einer auf die Idee kommt, sich wirklich gemütlich darauf einzurichten. Damit man’s flugs hinter sich bringen will und nicht vergisst: Das hier ist Arbeit. Das Verfertigen der Gedanken beim Reden erleben und erleiden, ist alles andre als ein Kinkerlitzchen. Das ist ernst hier, so richtig ernst, Dollinger, hier geht’s um deinen verdammten verqueren Schädel, Mann! Hier geht’s um deinen Arsch.

      Wie dem auch immer sei, es hilft alles nichts, du musst was vorlegen, musst dem Tiger was anbieten zum Zerfleischen. »Diese Angst, ich weiß nicht, dass man die Abläufe nicht mehr hinkriegt, den Tagesablauf, die Ermittlungsabläufe, egal was, also das ist wie eine Prügelstrafe, ohne dass ich wüsste, was ich ausgefressen hab.«

      »Aber dass Sie was ausgefressen haben, das scheint Ihnen plausibel. Dass die Strafe also nicht ganz unberechtigt ist, auch wenn Sie nicht wissen weshalb.«

      »Ganz die Psychologin!«, konterst du und bist total überrascht, dass du doch noch fähig bist, einen senkrechten Gedanken zu fassen. Und dein aufmüpfiges Maul ist auch noch nicht ganz verstummt. Grund zum Jubeln, findest du.

      »Was lachen Sie?«, ist die Wernigge gleich wieder zur Stelle.

      »Sorry. Dabei ist mir nicht im Entferntesten nach Lachen zu Mute. Ein einziger Horror, mein Leben zur Zeit, alles enorm anstrengend, jeder Tag, jede Stunde. Und keine halbe Woche her, da war alles noch ganz klipp und ganz klar strukturiert, alles hatte hieb- und stichfeste Konturen. Ich war ein verflucht guter Polizist, wissen Sie.«

      »Und jetzt gerät alles ins Schwimmen. Nicht wahr?«

      Das gerät jetzt alles … Dir gerät jetzt alles irgendwie ins Schwimmen.

      - . -

       7

      Wie ihr – du warst sechs, vielleicht auch erst fünf, wahrscheinlich fünf, in der Schule jedenfalls warst du noch nicht, definitiv nicht – wie deine Eltern und du also mit diesem beigefarbenen

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