Einstürzende Gedankengänge. Ulrich Land

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land страница 9

Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land Mord und Nachschlag

Скачать книгу

Boden und lässt die Couchkante weit hinter sich.

      Generalstabsmäßigen Schritts geht sie rüber zu ihrem ebenfalls kargen, aber wenigstens gepolsterten Therapeutenstuhl und setzt sich. »Vielleicht, Herr Dollinger, vielleicht waren’s ja tatsächlich nicht Sie ...«

      Das schlägt dem Fass den Boden aus. »Vielleicht?!«, donnerst du sie an.

      Aber sie fährt völlig unbeirrt in ihrem Programm fort: »... sondern Ihre zweite Person.«

      »Meine zweite was? Sagen Sie, bin ich hier bekloppt oder wer?«

      Kaum richtig Platz genommen, erhebt sie sich wieder und schreitet in ausladenden Kreisen durch den Raum. Offenbar ist, was jetzt kommt, zu gewichtig, als dass sie es im Sitzen würde zum Vortrag bringen wollen. »Ich hab jetzt nicht viel Zeit, gleich nach der Mittagspause hab ich die nächste Sitzung. Also nur so viel: Die Symptomatik der dissoziativen Identitätsstörung nimmt sich in der Regel so aus, dass ...«

      Ist wahrlich nicht ganz ohne, einen psychotherapeutischen Fachvortrag über sich ergehen zu lassen, während man dermaßen auf heißen Kohlen hockt, dass einem ... immerhin geht’s ja um keinen andern als um dich! Aber du zwingst dich, Aufmerksamkeit zu heucheln. Schließlich hast du den Kopf so richtig in der Schlinge, und diese Frau, die ist die einzige, die den wieder ... Vielleicht.

      »Die Ausbildung multipler Persönlichkeiten«, doziert sie und verschränkt die Hände überm Steiß, während du dich auf dem asketischen Liegemöbel der Selbsterkenntnis niederlässt, »ist ein äußerst effektives Abwehrsystem für Menschen, die im Kindesalter eine grausame, anhaltend traumatisierende Erfahrung machen mussten. In Ihrem Fall ist das primäre, das im Alltag dominante System die Person des korrekten, perfekten und erfolgreichen Ordnungshüters.«

      »Und die andere Person?«, versuchst du mehr schlecht als recht mitzudenken.

      »In Ihrem Fall der Loser, der ständig vom Damoklesschwert seiner früher erlittenen physischen und psychischen Schmerzen eingeholt wird. In ihrer ungezügelten Aggressivität erfüllt diese Persönlichkeit sich ihre Bestimmung, indem sie schwere Straftaten begeht, nicht nur aus brutaler Rache, sondern auch, um die Strafe, die der Tat auf dem Fuße folgt, als gerechte Selbststrafe zu erleben.«

      Wenn dir bislang noch nicht heiß und kalt war, dann jetzt. »Von was reden Sie da, von was für früheren Schmerzen?«

      »Tja«, die Wernigge ist stehen geblieben und stützt die Hände in die Hüften, »das, Herr Dollinger, wird unsre nächste Aufgabe sein, das rauszukriegen. Ihre zweite Persönlichkeit lebt jedenfalls genau die Potenziale aus, die sie in ihrem Primärsystem als Kommissar täglich bekämpfen. Und deshalb müssen Sie Ihre brutale Seite verdrängen und tabuisieren.«

      Verdrängen und tabuisieren … Heh, Moment mal, wenn du jetzt eins und eins zusammenzählst, dann ...

      dann dürfte das ja wohl heißen. dass du deinen Zweitdollinger vor dir selbst totschweigst, dass du glaubst, überhaupt nichts davon zu wissen, dass du all das komplett wegklickst … dass das alles bloß ein Rettungsmanöver ist, um deinen Alltag heil über die Bühne zu bringen. Oder wie?

      »Dabei muss uns keineswegs irritieren, dass Ihr mit krimineller Energie aufgeladenes sekundäres Persönlichkeitssystem jetzt zum Ausbruch kommt, dass es in den letzten Jahren vielleicht sogar völlig verstummt war. Immerhin waren Sie ja während Ihrer Polizeiausbildung und auch in Ihrer bisherigen Berufspraxis höchst erfolgsverwöhnt.« Die Wernigge ist voll in ihrem Element, stürzt sich mit krakenhaftem Elan in dein Kauderwelsch im Schädel. Ihre Mittagspause hat sie, wie’s aussieht, völlig vergessen, so gut gefällt ihr augenscheinlich dein Krankheitsbild. »Jetzt aber, den aufzuklärenden Kindesmisshandlungsfall vor der Brust, könnte das im Untergrund nach wie vor rumorende abgespaltene Persönlichkeitssystem wieder ›scharf‹ geworden sein. Und da, Herr Kommissar, sind Sie alles andre als ein Einzelfall. Das alles entspricht gradezu bilderbuchmäßig dem bekannten Symptomkomplex. Wir gehen da von bestimmten Auslösungsreizen aus, so genannten ›Triggers‹, die den Wechsel von einer Persönlichkeit zur anderen hervorrufen und die abgespaltenen Systeme abwechselnd auf den Plan rufen.«

      Mr. Jekyll und Dr. Hyde, schießt’s dir durch den Kopf. Oder hieß der Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Das hast du dir noch nie merken können.

      »Und jetzt«, murrt die Wernigge, die inzwischen bedrohlich nah an deiner Couch Stellung bezogen hat, »jetzt gönnen Sie mir den winzigen Rest meiner Mittagspause! Wir sehn uns morgen.«

      - . -

       14

      Wie du stocksteif auf der Rückbank hocktest, in diesem Käfer, der, je mehr die Zeit sich auseinanderdehnte, immer enger wurde. Klein und kleiner. Wie die Wände irgendwie auf dich zukamen; wie du das Gefühl nicht loswurdest, sie müssten jeden Augenblick deine Wangen berühren, dein Gesicht in den Schraubstock legen. Wie du’s nicht gewagt hast, den Kopf auch nur um einen Millimeter zu bewegen, um die Wände nicht zu provozieren.

      Der Motor tat keinen Mucks mehr. Aber auch draußen die Eulen schwiegen und die Unken, oder was für Nachtgetier auch immer dich Winzling da in deinem Blechkokon belauern mochte.

      Und wie irgendwann dann – dein Hals tat übel weh, weil er die ganze Zeit diese Starre durchhalten musste – wie die bleierne Stille da draußen allmählich zerzwitschert wurde. Wie der Wald langsam, unendlich langsam wach wurde, ein matter Lichthauch durch die Äste fiel. Wie die Vögel, offenbar bester Laune, sich auch vom prasselnden Regen nicht davon abbringen ließen, die Schnäbel zu spreizen und ihre Mailieder in den knisternden Morgen zu entlassen. Wie aber dieses glockenhelle Jubilate zerschmiert wurde durch die bescheuerten Scheibenwischer, die immer langsamer jaulten, trotzdem aber unfassbar lange brauchten, um endgültig den Geist aufzugeben. Dafür, dass dein Vater immer so fluchte über die schlappe Batterie im Käfer, hielt sie doch erschreckend lange. Und als endlich das Scheibenwischergejaule verstummte, war auch der Morgenchoral der Singvögel dem üblichen Tagsüber-hin-und-wieder-Zwitschern gewichen. Und wie du irgendwann mittendrin dann, als du begriffen hattest, dass auch die Morgendämmerung an deiner entsetzlichen Lage nichts änderte, wie du dann dein eigenes Jammern wieder hörtest. Leise, aber lauter als all die Regentrommeln auf dem Käferdach. Ein trockenes Jammern, weil deine Tränen natürlich längst versiegt waren. Und wie sich in dieses Jammern allmählich, ganz allmählich ein neuer Unterton schlich. Ein heller, auf- und abwallender Ton. Fast eine Melodie. Ein – wie hieß das: ein Dreiklang? Und, leicht versetzt, noch eine zweite, gleichlautende Melodie, eine dritte noch. Wie diese Melodien sich immer lauter in deinen Kopf bohrten und ein paar Minuten später dein Schluchzen völlig übertönten. Aber da wusstest du bereits: Martinshörner! Polizei, Krankenwagen, irgendwas, jedenfalls Rettung.

      Irgendwo hinter dir, oben auf der Straße hörtest du Bremsen kreischen. Hörtest, wie Autotüren aufgerissen und zugeschlagen wurden, wie ungezählte Stiefelschritte hektisch durchs Unterholz den Hang hinabstampften, immer näher kamen. Immer näher.

      Jetzt musste jeden Augenblick ... und wurde auch: die Tür, die verkeilte Fahrertür, irgendwer hebelte sie mit einer ächzenden Brechstange auf. Da konntest du nicht mehr anders, ließest los, irgendwoher bekamst du wieder ein paar Tränen zusammen, schwollen an zu Sturzbächen, schossen dein Gesicht runter und durchnässten dein Hemd, dein letztes trockenes Kleidungsstück.

      Aus deinem kläglichen Jammern war ein lautstarkes Heulen geworden, und zwischendurch, ob du wolltest oder nicht, zwischendurch löste sich immer wieder ein Kreischen aus deiner Kehle. Ein total fremdes Kreischen, wie das einer entstellten Waldhexe.

      Und dann endlich, endlich erkanntest du deinen Vater, wie er sich zu dir in den Käfer beugte, wie sein Gesicht ganz nah,

Скачать книгу