Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?. Wiglaf Droste

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Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen? - Wiglaf Droste

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Hardy for a gun.« Mit Gott sprechen ist, als ob Stan Laurel ausgerechnet Oliver Hardy um eine Knarre an­flehte? Ein stimmigeres, komischeres und eigen­sinnigeres Bild für vollständige Vergeblichkeit habe ich lange nicht vor mir gesehen. Auch über Macht weiß Ritter Bescheid: »The keys to the Kingdom got lost inside the Kingdom.« Es hilft also nichts, auf die Dämlacks zu vertrauen, die innerhalb des Reiches sitzen.

      Josh Ritter hat nicht nur seinen musikalischen Idolen gut zugehört und sie wohldosiert in sein eigenes Universum eingespeist. Auch eine der wahrhaftesten, tiefsten Zeilen von Joachim Ringelnatz ist ihm zumindest intuitiv bekannt: »Alles, was lange währt, / Ist leise.« Ritters Poesie verzichtet auf schweres Geschütz, er malt seine Bilder behutsam und zart, ohne jemals den Kern der Sache zu verfehlen. In »One more Mouth« beschreibt er eine spröde Geliebte: »You treat every hungry kiss like one more mouth to feed.« Musik und Stimme sind dabei zum Erschrecken filigran.

      Zum Glück für Ritter und seine Hörer aber ist Zerbrechlichkeit nicht sein alleiniges Stil- und Ausdrucksmittel; ein ungebremster Enthusiasmus, wie man ihn von Mike Scott und den frühen Waterboys kennt, ist Ritter ebenso zueigen. Die Vielfalt seiner Möglichkeiten macht einen Teil seines Reichtums aus; die Unterschiedlichkeit der Kompositionen wirkt nicht unentschieden, sondern zeigt im Gegenteil, ohne jede technische Musiker-Angeberei, was der Mann alles sieht, fühlt, hört und in zeitlos schöne Songs verwandelt. Wenn Ritter »so many minor chords out there« moniert, so viele menschliche Mollakkorde da drau­ßen, weiß er, wovon er singt, ohne Teil der Flenn­suserei zu werden.

      In Irland ist Josh Ritter spätestens seit »Hello Starling« ein vielgehörter Sänger – mit »The Animal Years« dürfen ihn auch die Deutschen für sich entdecken, zum Beispiel mit diesen Zeilen aus dem Song »Wolves«: »Your face was simple, your hands were naked / I was singing without knowing the words.« Die Trommelstöcke fegen über die Schlagzeugfelle wie die Pfoten jagender Wölfe über den gefrorenen Schnee, die Orgel treibt sie alle voran, auch den eben nicht jaulenden, sondern singenden Wolf namens Josh Ritter. Singen, ohne die Wörter zu kennen: Der Mann weiß, was das ist und wie man das macht.

      Der Herr Herdieckerhoff

      Eine Bach-Kantate

      ALS LESE- UND KONZERTREISENDER lernt man naturgemäß jede Menge Veranstalter kennen. Es gibt unter ihnen erstaunlich viele gute; Menschen, die inspiriert, liebevoll, großzügig und mit Lust ihre Arbeit tun, auf dass man auf der Bühne ebenso agieren kann. Einer der geistreichsten, lustigsten, gastfreundlichsten und klügsten Impresarios war Jochen Herdieckerhoff. Ich lernte ihn kennen, als er mich einlud, das rheinische Langenfeld, ein deutsches Kaff in der Brache zwischen Düsseldorf und Köln, aufmischen zu helfen und bei den Langenfelder »Tagen des schlechten Geschmack’s« – das falsche Apostroph war selbstverständlich Absicht – dabei zu sein. Ich tat es gern. Auch Matthias Deutschmann, Harry Rowohlt und Christoph Schlingensief waren dabei, groß war das Alarmgeschrei der lokalen politischen Angsthasen, die u.a. mich als, wie sie schäumten, »RAF-Sym­pa­thisanten« dingfest machen und ausgeladen haben wollten; größer jedoch war die Freude des Publikums.

      Herr Herdieckerhoff frohlockte – und importierte sogleich die »Wiener Festwochen« nach Langenfeld. Weil sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Österreich Wahlen stattfanden, ließ er zwischen die einheimischen Wahlplakate auch österreichische hängen. Die Langenfelder konnten auf einmal zwischen SPD, SPÖ, FDP, FPÖ, CDU, ÖVP und sogar KPÖ entscheiden – und wussten, vollkommen überfordert, überhaupt nicht mehr, wie ihnen geschah. Das fanden sie nicht lustig und ließen ihren Mangel an Humor kleinlich an Jochen Herdieckerhoff aus.Der zog nach Wien, in die Stadt, die er liebte, warum und wofür auch immer. Er organisierte und veranstaltete – und das als Hete! (für die Restnichteingeweihten unter uns: als Heterosexueller) – das »Wien ist andersrum«-Festival, outete handkehrum in der taz den Neo-Ultra-Rechten Jörg Haider als homosexuell und legte sich in der intriganzgesättigten Spinnwebenstadt Wien mit allem an, was nicht bei dreitausend auf dem Baum war.

      Zuletzt sah ich ihn, nachdem ich seine Einladung angenommen hatte, eine Ausstellung des Titanic- und FAZ-Zeichners Achim Greser zu eröffnen. Es handelte sich um Gresers Zyklus »Der Führer privat« – um Bilder, die Hitler als das Würstchen zeigen, das er war und als das er massenhaft geliebt wurde, weil Versager naturgemäß Versager lieben, sogar bis zur Vergasung, wenn die nur andere trifft. »Hitler’s coming home« nannte Jochen Herdieckerhoff die Ausstellung. Wir fanden das lustig, die Wiener Krone, die rechtsextreme Neue Kronen Zeitung, war nicht amüsiert.

      Mit Wolf Martin, dem Kolumnisten des Massenschrottblattes, setzte Jochen Herdieckerhoff mich auf eine Wiener Bühne. Wolf Martin dichtet, wie Hitler malte: »Europas Zukunft wird vermasselt / der Euro in die Tiefe rasselt. / Die echten Werte gehn in Scherben. / Das Abendland – liegt es im Sterben?« Aus Silberhochzeitsanlässen wurde von Amateuren kaum lausiger gereimt. Gedichte in Grass und Scheiße meißeln ist sein Genre. »Arme Schwarze« heißt ein weiteres Teil, voilà: »Der Schwarze Kontinent ist reich, / nur Fleiß und Disziplin fehlt euch! / Europa hat’s aus eigner Kraft / und nicht durch Bettelei geschafft!« Diesen Wolf Martin lederte ich, befeuert von Jochen Herdieckerhoff, mit Vergnügen ab. Danach sah ich Jochen nicht wieder.

      Am 6. Juni 2006 bekam ich eine Elektropost, deren Betreff »Parte Jochen Herdieckerhoff« lautete:

      Schlummert ein, ihr matten Augen

      fallet sanft und selig zu!

      Welt, ich bleibe nicht mehr hier,

      hab ich doch kein Teil an dir,

      das der Seele könnte taugen.

      Hier muss ich das Elend bauen,

      aber dort, dort werd ich schauen

      süßen Frieden, stille Ruh.

      BWV 82, Ich habe genug

      Unter der Bach-Kantate »Ich habe genug« (BWV 82 heißt Bach-Werke-Verzeichnis 82) stand zu lesen:

      Werte Herrschaften!

      Hiermit zeige ich an, dass ich mit dem heutigen Datum einen aus meiner Sicht überfälligen Schritt vollzogen und meinem Leben aus freien Stücken ein Ende gesetzt habe. So mir das Schicksal nicht einmal mehr Spielverderber war, habe ich mich nächst der Wiener Berggasse 19 von einem Baugerüst gestürzt. Ich bitte um Verständnis für diese finale Pointe, die ich mir gleichwohl so wenig verkneifen konnte, wie ich diese auf Dauer unerquickliche Existenz hätte fortsetzen wollen.

      Leben Sie wohl!

      gez. Jochen Herdieckerhoff

      Wien, 1. Juni 2006

      Harry Rowohlt schrieb in der Zeit: »Einer meiner allerbesten Freunde, Jochen Herdieckerhoff, hat sich, was ich ihm persönlich sehr übelnehme, umgebracht. Wie so ein Born an Kreativität und guter Laune insgeheim tieftraurig sein kann –, das bleibt sein Geheimnis und das so vieler anderer Hoch- und Sonderbegabter, die uns olle Muffköppe so lange aufmöbeln, bis es für sie selbst nicht mehr reicht.«

      Es gibt so viele Menschen, deren Leben und Tod einem vollständig gleichgültig sind. Jochen Herdieckerhoff gehörte und gehört nicht dazu. Ich wünsche ihm, was er sich wünschte.

      Leipzig: Mercedes Bach und Russentussen

      DER 28. JULI 2007 WAR DER 257. Todestag von Johann Sebastian Bach. In Leipzig, das sich gern und stolz »Bach-Stadt« nennt, wurde das Jubiläum im Rahmen des MDR-Musiksommers mit einem Konzert in der Thomaskirche begangen. Zu hören gab es Werke von Bach und Buxtehude, der Bachs Lehrer und Vorbild in Lübeck war. Bach, der wusste, dass Buxtehude die Stel­lung nur bekommen hatte, weil er die Tochter

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