Rotzverdammi!. Reiner Hänsch
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Читать онлайн книгу Rotzverdammi! - Reiner Hänsch страница 6
Sylvia ist ganz toll und ganz furchtbar. Je nachdem. Wir passen überhaupt nicht zusammen, aber irgendwas an ihr lässt mich immer wieder ihre schlechten Eigenschaften vergessen. Ich denke mal, ihr geht es genauso mit mir.
Gestern Abend war sie wieder mal ganz furchtbar. Ich wahrscheinlich aber auch. Es ging eigentlich ja nur darum, dass sie trotz vollgequetschter Kleiderschränke aber auch rein gar nichts anzuziehen hatte für eine Beerdigung und dass mir das natürlich fuuurchtbar leidtat. Oooch, gar nichts anzuzieh’n, du Arme! Dann malen wir dich eben schwarz an, mit einer weißen Blume auf dem Hintern. So was und noch ein paar ähnliche Vorschläge habe ich ihr gemacht, weil es immer dasselbe Theater ist mit ihren scheiß Klamotten. Entschuldigen Sie! Ist mir so rausgerutscht. Naja, und am Schluss hat sie die Tür geknallt, aber vorher noch gesagt, dass sie dann eben überhaupt nicht mitkäme. Und dabei ist es dann geblieben. Von mir aus. Ich habe auch keine Lust mehr, mich darüber zu ärgern. Heute nicht.
„Du und deine Sauerländer!“, sagt sie immer schon so abwertend, aber ich habe es ihr noch nicht einmal so richtig übel genommen, weil ich diese Käffer im Hühnerscheiße-Niemandsland ja auch irgendwie ziemlich satthatte. Aber wenn ich mir dann doch mal fest vorgenommen hatte, wenigstens Mutter zu besuchen, kam doch glatt immer in letzter Minute irgendetwas dazwischen, weil mal wieder was Wichtiges in der Agentur zu tun war.
Ach ja, die Agentur!
Ich mache Werbung, Reklame, Kommunikation, müssen Sie wissen … wie immer man diese zwielichtige Branche vornehm benennen will. Man könnte auch etwas bösartig sagen, wir bescheißen einfach nur sehr professionell die Leute und verdienen ’ne Menge Geld dabei. Das ist eigentlich schon alles. Man könnte auch sagen, wir geben den ansonsten ja völlig hilflosen Personen, die da draußen in den Supermärkten, den Einkaufsmalls und überhaupt so im Leben zwischen den marktschreierischen und überall lockenden Angeboten und Versprechungen umherirren, „Kaufempfehlungen“ für gewisse Produkte. Wir helfen da nur. Phh. Aber: Wir müssen die Hersteller und Vertreiber dieser Produkte überzeugen, dass wir am effektivsten und lautesten für ihre Produkte schreien können und ihnen dann ihr Geld dafür aus den Taschen ziehen. Das ist eigentlich das Schwerste und der leider etwas demütigende Teil dieser Arbeit.
Und ich bin sozusagen der wichtigste Mann in der Agentur. Kreativ-Chef. ECD – Executive Creative Director – Head of Creation. Toller Titel, oder? Unentbehrlich. Hochbezahlt. Mr. Wichtig. Aber dafür auch Niggersklave in goldenen Ketten – rund um die Uhr.
Bölkemeyer & Friends heißt die aufstrebende Düsseldorfer Reklamefabrik mit immerhin fast einhundert hektischen Angestellten. Und Sylvias Vater, Arno Bölkemeyer, ist der Chef. Massa Arno. Also gut, eigentlich ist ER der wichtigste Mann, natürlich. Und er ist mein Vielleicht-Schwiegervater. Mal sehen. In ein, zwei oder drei Jahren setzt der Alte sich wahrscheinlich zur Ruhe, ich könnte praktischerweise seine Tochter heiraten, den Laden übernehmen und viel, viel weiteres schönes Geld einsammeln bis ans Ende eines wohlhabenden, unbeschwerten Daseins.
Schöne Vorstellung eigentlich. Und wahrscheinlich mache ich das auch. Na klar, mach ich’s. Ich meine, ich bin ja nicht blöd. Das ist die Chance meines Lebens. Und was soll ich sonst tun?
Aber erst in ein, zwei oder drei Jahren. Vielleicht auch später. Im Moment muss ich jedenfalls noch Ideen liefern, Konzepte erfinden, die Nächte durcharbeiten und eben Kunden überzeugen.
Aber vor allem muss ich Arno überzeugen. Ich muss ihm zeigen, dass ich der Richtige bin, um seine Agentur weiterführen zu können. Er muss wissen, dass man sich auf mich verlassen kann, dass ich die richtigen Entscheidungen fälle, dass ich immer und voll für die Agentur da bin. Die Betonung liegt auf „immer“. Also los, Flottmann, dann hau rein! Ackern und ackern und ackern – und da ist es natürlich klar, dass ich überhaupt keine Zeit habe. Für nichts.
„Vorwicht! Gepfwindikeitsbeschwänkung!“
Ich drehe TV-Spots, kreiere Anzeigenkampagnen, entwerfe Visionen für unsere Kunden, treffe Entscheidungen, bin ständig unterwegs, Vielflieger natürlich, ich bin einfach mittendrin in dieser gnadenlosen Reklamemühle, die sich immer dreht. Tag und Nacht. Manchmal hab’ ich echt große Lust, in den berühmten Sack zu hauen. Aber feste. Doch das geht natürlich nicht. Und es darf auch keiner wissen, dass ich das möchte, weil es ja auch keiner verstehen würde.
Zum Beispiel gestern: Was gab es da für ein Riesentheater, als ich sagte, ich sei heute mal nicht da?
„Wie, Sauerland?“, haben sie regelrecht angewidert gefragt. „Wo ist das denn? … Beerdigung? Deine Mutter? Oh, ja ... tut uns leid … jaja ... schon vergessen … natürlich“, und zähneknirschend hat mir Arno Bölkemeyer dann freigegeben.
„Ja, ja“, hat er gesagt, „selbstverständlich“. Aber ich wurde den Gedanken nicht los, dass er es eigentlich nicht so richtig eingesehen hat, wo doch soooo wichtige Arbeit auf dem Tisch lag. „Aber sieh bloß zu, dass du übermorgen pünktlich wieder hier bist, Hardy!“
Hardy.
Ja, so heiße ich in der großen Werbewelt. Hardy Fetzer. Nicht Heinz-Nobätt Flottmann. Nä, das geht ja nicht. Eigentlich war der tolle, schnittige Name Hardy Fetzer für eine ganz andere zweifelhafte Karriere gedacht: Sänger. Das erzähle ich Ihnen auch später. Aber für die Werbung passt er doch auch ganz wunderbar. Man hat mir nämlich vor langer Zeit ziemlich schnell klargemacht, dass eine Karriere im Reklamegeschäft als Heinz-Norbert Flottmann quasi ausgeschlossen wäre. Das hat mir auch eingeleuchtet. Kein Mensch hat hier solche Namen. Nicht hier im Zentrum der Großkotz-Werbewelt. Und da habe ich diesen Namen einfach wieder hervorgekramt. Hardy Fetzer. Hört sich doch gar nicht übel an für so’n Reklameheinz auf der Überholspur, was meinen Sie?
Ich heiße und bin jetzt H. F., der Senkrechtstarter der Düsseldorfer Werbeszene, strahlender Stern am Firmament der Kreativen, der Mann, dem die Unternehmen ihre Millionen anvertrauen, um damit Werbekampagnen zu erschaffen, die die Welt erschüttern.
„Naja, nu chib ma nich so furchtbar an, Düsseldorfer!“, sacht dat Sauerland. Und es hat schon wieder recht.
3
Sskhöne Sskheiße!
„Mie mächste Mpfraße minks abmiegen“, mumpft die geknebelte Frau aus dem Handschuhfach.
Nee, Moment, das weiß ich jetzt aber besser, gute Frau. Entschuldigung, aber hier fahre ich mal geradeaus weiter, denn da war doch immer diese kleine Straße hinter den Feldern lang, die dann direkt bei Schwattmecke wieder auf die Hauptstraße führt.
Ich kenne mich doch tatsächlich immer noch ganz gut aus hier und brauche das Navi eigentlich gar nicht mehr. Ich erkenne doch glatt einiges wieder. Hier steht also immer noch die alte, schon immer recht baufällig wirkende Kirche von Schmelbecke und gleich müsste der Abzweig nach Langenei und dann nach Marbecke kommen. Diese Namen! Haben Sie schon jemals von Hundesossen oder Faulebutter gehört? Nein, sicher nicht. Das gibt’s nur hier. Das ist eben das Sauerland.
Das Sträßchen ist leider schlechter, als ich es in Erinnerung habe, aber es geht. Und wenn ich alle Löcher geschickt umfahre, dann setzt der Porsche noch nicht einmal auf.
„Bippe,