Rotzverdammi!. Reiner Hänsch
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Aber nächstes Mal schon, dann
könnten wicht’ge Teile fehlen.
Jetzt versuche ich also mal auszusteigen, um mir den Schaden an meinem schönen Auto anzusehen. Aber das scheint nicht mehr so einfach zu sein, wie vor diesem kleinen Zwischenfall. Die Tür klemmt und ich muss mich mehrmals von innen mit der Schulter dagegenwerfen, um sie endlich aufzubekommen. Dann rolle ich mich ächzend und schnaufend, aber doch dankbar heraus, bleibe dafür aber mit dem Ärmel meines Sakkos am Türgriff hängen. Bisken Schwund is’ ja immer. Dass ich dann mit den Füßen im braunbrackigen, nach Gülle stinkenden Wasser dieses bösartigen Grabens stehe, mir plötzlich, so im Stehen, dann doch leicht schwindelig wird, sogar ziemlich schummerig vor den Augen, und ich dann wie ein Sack auf die weiche, braune, schlammige Erde plumpse, ist mir dann auch egal. Das ist der Schock, sagt man ja. Ich hab’s jedenfalls überlebt … und ich will weiterleben, denn ich habe noch Ziele.
„Schwattmecke“, deliere ich vor mich hin und versuche mich nach einer kurzen Dunkelpause wieder aufzustellen.
Der Porsche sieht schrecklich aus. Halb im Graben versunken, mit Schlamm bis ans Dach versaut. Und die wirklichen Schäden kann ich noch gar nicht erkennen, weil er ja halb im Stinkewasser liegt. Ob man den jemals wieder hinbekommt? Ich kann gar nicht hinsehen.
„Schwattmecke.“ So langsam wird doch noch ein Schimpfwort daraus.
Ich halte mich an der Stange fest, die freundlicherweise zufällig direkt neben mir in den schlammigen Boden gerammt ist. Sie trägt das Ortsschild von Schwattmecke, wie ich erstaunt feststelle.
Ich bin also schon da. Schön.
Schweren Herzens lasse ich also mein Autowrack im Stich und schleppe mich die Straße entlang, in der Hoffnung, irgendwo den Friedhof zu finden.
Mannomann, dat is abba ’ne sskhöne Sskheiße, woll!
4
Hirn ohne Blut
Bei jedem Schritt quietschen meine nassen italienischen Edeltreter und das Schlammwasser quillt zwischen den feinen, ledernen Schnürsenkeln hervor. In meinem Kopf höre ich das Brummen eines ganz alten, leicht defekten Diesel-Generators, der allerdings auf meinem Kopf zu stehen scheint oder wenigstens direkt daneben. Ich möchte gar nicht wissen, wie der Schädel des Heinz-Norbert Flottmann jetzt aussieht. Es fühlt sich jedenfalls ganz oben an wie eine schnell wachsende Beule. Links oben kann ich sie fühlen, wenn ich ganz, ganz vorsichtig mit der Hand darüberfahre. Aahua. Kein Blut allerdings. Das ist doch schon mal gut. Immer schön optimistisch bleiben, Flottmann. Vielleicht ist es ja dann optisch doch nicht ganz so katastrophal, wie du denkst.
Ich schaue also voller frisch entkeimter Hoffnung an mir her-unter, bin dann aber doch eher enttäuscht von dem augenblicklichen Zustand der sorgfältig ausgesuchten teuren Herrenbekleidung. Es hat leider nichts mehr mit dem zu tun, was Sylvia mir für diese traurige Feierlichkeit heute Morgen dann doch noch, trotz abendlichen Streits, herausgelegt hatte. Die schwarze Anzughose ist jetzt platschnass und dreckverschmiert, das Sakko völlig versaut und außerdem knuddelig mit einem langen, schlimmen Riss am linken Ärmel, das weiße Hemd … nein, ich möchte auch gar nicht darüber reden.
Egal. Ich muss jetzt meine Mutter beerdigen und dir wäre es auch egal. Oder, Mutter? Ist doch so?
Mutter schüttelt den Kopf.
Nee?
Nee, stimmt. Das wäre es sicher nicht. Wenn die mich so sehen würde, dann müsste ich leider wieder umdrehen und mich erst mal umziehen. „So cheht dat abba nich, Gunge, du siehs’ aus wie ’ne Pottsau! So könnwe nich unter de Leute geh’n, woll. Da müssenwe dich ersma zurechtmach’n.“
Quietschenden Schrittes und eine verräterische, nässende Spur hinterlassend, nähere ich mich also der kleinen Kapelle, die ich das letzte Mal gesehen habe, als wir meinen Vater Herbert beerdigt haben. Nur Herbert, ohne Hans oder Heinz.
Da war ich aber auch nur ganz kurz hier, weil ich ja später noch in Düsseldorf dieses Meeting … jaja, keine Zeit, das sagte ich Ihnen ja schon.
Von innen höre ich Orgelmusik, Schneuzen und Gemurmel. Die übliche Trauerfeier-Soundcollage. Die Feier hat natürlich schon begonnen. Man hat nicht auf mich gewartet. Ich rücke noch mal den schwarzen Schlips gerade, mehr so pro forma allerdings, weil der Schlamm davon ja auch nicht abgeht, räuspere mich, obwohl man mich hier auch nicht als Redner erwartet, streiche mir auch eher symbolisch und ohne Erwartung eines größeren Effektes den ruinierten Anzug etwas glatt und drücke dann tief durchatmend auf die schwere eiserne Klinke der Friedhofskapelle.
Als die klobige Tür sich dann endlich mit einem schrecklich lästigem Quietschen bewegt, dreht sich die gesamte Trauergemeinde wie ein einziger riesiger Organismus reflexartig und entrüstet zu mir um. Es ist ein feindlicher Organismus. Das ist nicht schwer zu erkennen.
Der Laden ist rammelvoll. Die Orgel setzt augenblicklich aus und alle, also Organist, Organismus und Pfarrer, halten für einen Moment, der mir vorkommt wie ein paar quälende Minuten, die Luft an. Ich blicke in fassungslose, gewaltbereite Gesichter.
Fetzen wie: „Isser dat?“, „Soll dat däa Heinz-Nobätt sein?“, „Dat der au’ noch kommt!“ erheben sich flüsternd aus dem allgemeinen betroffenen Gemurmel. Und immer wieder auch: „Ach, du chrüne Neune!“, was man hier gerne sagt, wenn man es einfach nicht glauben kann, oder eben: „Ochottochottochott!“ Das geht immer.
Ich betrete todesmutig die Kapelle und nähere mich dem mehr als hundertköpfigen, hinterhältigen Organismus, der jede meiner Bewegungen im Blick hat. Platschend und triefend schreite ich gemessenen Schrittes durch die blutdürstigen Reihen. Ganz lässig und so überlegen wie eben möglich lasse ich meine momentan ganz besondere Aura nach rechts und links in die Reihen spritzen.
Ja, ich bin dat, Leute! Der Stadtfuzzi aus dem popeligen Düsseldorf, den ihr alle bestimmt nich’ leiden könnt, weil er seine Mama nie besucht hat und sein Dorf auch nich' wiedersehen wollte, der jetzt dummerweise bisken spät kommt, seine Karre in’ Graben gesetzt hat, sich den Kopp schwer angehauen hat, leider auch noch auffe Fresse gefallen is’ un getz wie ein stinkender Eber hier einläuft. Jou, dat bin ich. Normalerweise bin ich mehr so der Lackaffe im feinen Zwirn, aber heute sehe ich mal aus wie’ne Pottsau.
Die Orgel setzt plötzlich selbstständig wieder ein, einfach auch, um die Leute bei Trauerstimmung zu halten, und ich erschrecke mich dabei ein wenig.
Am Rande des Organismus erkenne ich Bernd und seine dralle Sabine, die mir mit zusammengeknüllten Papiertaschentüchern in den Fäusten aus der ersten Reihe direkt vor dem Sarg zuwinken. Ich soll also zu ihnen kommen. Zu Mutter.
Und dann erst, als ich den Sarg sehe und daran denke, wer darin liegt, wird mir doch noch ganz anders. Erst jetzt überfällt mich endlich die tiefe Traurigkeit, die eigentlich schon lange hätte da sein müssen. Mensch, Flottman, deine Mutter ist tot. Jetzt bist du mit deinem Bruder ganz alleine auf der Welt.
Schön geschmückt ist der Sarg, mit vielen Kränzen davor, und zum Glück ist da auch einer, auf dessen Schleife ich meinen Namen zusammen mit Bernds und Sabines sehe. Ich habe natürlich völlig vergessen, dass man so was ja macht. Na, da muss ich den beiden noch mal schön Danke sagen – hinterher.
Quer über den Sarg hat man einen blau-weißen Schalke-Schal gelegt, denn Mutter war immer, ihr ganzes Leben lang, treuer Schalke-Fan. Normalerweise ist man im Sauerland BVB-Fan, aber Mutter nicht.