Der Serienmörder von Paris. David King

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Der Serienmörder von Paris - David  King

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Gestank – „ein böser Geruch gerösteten menschlichen Fleischs“ – drang unerbittlich in Massus Nase.

      Nur wenige Schritte entfernt fand er eine Schaufel, ein mit einer dunklen Substanz verschmiertes Beil und, verborgen unter der Steintreppe, einen grauen Sack, der die linke Seite einer verwesenden Leiche enthielt, jedoch nicht den Kopf, den Fuß und die inneren Organe. Massu wusste nicht, wie er den grauenerregenden Ort beschreiben sollte, ohne die mittelalterliche Literatur zu zitieren. Der Keller der eleganten Villa ähnelte einer Szene aus Dantes Inferno.

      Massu machte sich zusammen mit Bernard auf den Weg in den engen Innenhof. Dort traf er einige Ermittler, darunter Oberinspektor Marius Battut. Gemeinsam betraten sie eines der kleineren hinteren Gebäude. Im ersten Raum standen ein polierter Schreibtisch mit zwei Ledersesseln, ein gemütliches Sofa und ein kleiner Rundtisch, auf dem Magazine lagen. Ein großer Schrank voller Arzneimittel befand sich an einer Wand. Genau gegenüber hing ein Bücherschrank mit gläsernen Türen, in dem sich Sachbücher zum Thema Medizin aneinanderreihten. Den Kommissar verblüffte die Ordnung des Raums. Er befand sich in einem weitaus besseren Zustand als die meisten Zimmer der stattlichen Villa und war wesentlich sauberer und aufgeräumter. Auch schien er erst kürzlich renoviert worden zu sein. Massu öffnete eine zweite Tür neben dem Bücherschrank, die in einen schmalen Korridor führte, ungefähr 90 Zentimeter breit. Am Ende des Ganges lag eine weitere Tür, gesichert mit einer dicken Kette und einem massiven Vorhängeschloss. Die Ermittler verschafften sich Zutritt zu dem dahinterliegenden Raum. Es war eine kleine, fast dreieckige Kammer mit sehr dicken Wänden. Eine der Wände war mit einer beigen Tapete beklebt, die anderen hatte man lediglich verputzt. Es gab weder Fenster noch Möbel, sondern nur zwei nackte Glühbirnen und eine schlichte Pritsche aus Metall. In den Ecken, ungefähr einen Meter unterhalb der Decke, hatte man an den Wänden eiserne Haken befestigt.

      Eine Doppeltür am Ende des Raumes, der Rahmen mit Blattgold verziert, schien sich zu einem großen Salon hin zu öffnen. Als einer der Inspektoren sie aufmachen wollte, drehte sich lediglich der Türgriff. Mithilfe einer Brechstange hoben die Beamten die Tür schließlich aus den Scharnieren, wobei sie bemerkten, dass es sich nur um eine Attrappe handelte. An der rechten Seite der falschen Tür sahen sie eine Klingel, die aber nicht funktionierte. Sie war nicht angeschlossen, da man die Kabel von außen durchtrennt hatte. Massu sah sich in dem dreieckigen Zimmer um und entdeckte voller Erstaunen, dass sich an der Innenseite der Eingangstür keine Klinke befand.

      Bei näherer Betrachtung der beigen Tapete fiel Bernard auf, dass man sie erst kürzlich geklebt hatte. Behutsam riss er sie ab und sah eine Art Spion mit einem vergrößernden Okular, ungefähr in einer Höhe von 1,80 Metern angebracht. Der Verwendungszweck der Kammer lag nicht klar auf der Hand, jedoch verspürten die Beamten ein tiefes Unbehagen. Ein kleiner Raum mit praktisch schalldichten Wänden und Eisenhaken in den Ecken – waren die Opfer hier ihrem schrecklichen Schicksal ausgeliefert gewesen?

      Nachdem sich Massu und die Ermittler wieder in den Hof begeben hatten, nahmen sie das alte Fuhrwerkshaus unter die Lupe, das nun als Garage diente. In dem dort herrschenden Chaos lagen Werkzeuge, ungehobelte Bretter, Eimer für einen Wischmopp, große Pinsel, Gasmasken und alte Matratzenfedern herum. Eine Schiebetür an der hinteren Wand führte in ein weiteres Gebäude, möglicherweise den ehemaligen Stall. Dort, auf dem Boden hinter einem Haufen verrosteten Eisenschrotts, lag eine Abdeckplatte aus Metall, unter der die schrecklichste Entdeckung dieser Nacht auf die Ermittler wartete.

      Es war der Eingang zu einer Grube. Ein frisch geschmierter Flaschenzug mit einem dicken Seil, zu einer Schlinge geknüpft, hing über dem Loch. Der bestialische Gestank ließ keinen Zweifel zu, was sich dort unten befand. Trotzdem kletterte Massu die Holzleiter hinab und achtete bei jedem Schritt auf die rutschigen Sprossen. Alsbald fand er sich in einem abstoßenden Bodensatz – man konnte es beinahe schon einen Sumpf nennen – aus Löschkalk und Leichen in den verschiedensten Stadien der Verwesung wieder. Es war die Müllhalde eines wahrhaftigen Schlachthofs.

      Doch wer konnte genau wissen, wie viele Leichen hier unten lagen? Angesichts einer Tiefe von geschätzten drei bis dreieinhalb Metern waren es auf jeden Fall mehr Tote als im Keller des Hauptgebäudes. Massu drehte sich auf dem Absatz kurz zur Seite, um einen genaueren Blick in die Grube zu werfen. Unter den Schuhsohlen hörte er brechende Knochen. Als der Kommissar aus dem Loch stieg, verbreitete seine Kleidung einen ekelerregenden Gestank. Unverzüglich ließ er Spezialisten des Polizeilabors kommen, um die knöchernen Überreste für die Analyse zu bergen, denn seine Assistenten hatten sich angewidert geweigert, tätig zu werden. Wie Massu berichtete, wirkten sie so verängstigt, als wären sie dem Teufel persönlich begegnet.

      Kommissar Massu hatte bei Ermittlungen während seiner 33-jährigen Laufbahn 3.257 Verhaftungen vorgenommen, doch er musste sich bislang niemals mit einem so schrecklichen und verwirrenden Fall auseinandersetzen. Wer war für das Gemetzel in diesem Alptraumhaus verantwortlich? Wer waren die Opfer, wie viele gingen auf das Konto des brutalen Täters, wie waren sie gestorben? Doch am meisten irritierte ihn die Frage nach dem Motiv. Der Mörder – wer immer es auch sein mochte – tötete seine Opfer nicht nur, sondern er zerstückelte sie. Die Ermittlungen in einem Fall, den Massu als ein „Jahrhundertverbrechen“ bezeichnete, hatten begonnen …

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      DIE DEUTSCHE FINSTERNIS HAT DAS LAND VERSCHLUCKT … FRANKREICH IST EIN ORT DER STILLE, VERLOREN IRGENDWO IN EINER NACHT, IN DER ALLE LICHTER VERLÖSCHEN.

      (Antoine de Saint-Exupéry in einem Brief an das New York Times Magazine, 29. November 1942)

      Vier Jahre zuvor hatte die Flucht der reichen und privilegierten Bewohner von Paris begonnen. Der Herzog von Windsor, Prinz Georg von Griechenland, die Prinzessin Winnie de Polignac und ihre Nichte Daisy Fellowes, Erbin des Singer-Nähmaschinen-Imperiums, verließen alle die Hauptstadt. Der Aga Khan hatte sich in die Schweiz abgesetzt. Peggy Guggenheim lagerte ihre umfangreiche Kunstsammlung in der Scheune eines Freundes ein und machte sich in ihrem luxuriösen Talbot Richtung Megève auf, dem im Département Haute Savoie gelegenen Skiort in den Savoyer Alpen.

      Doch auch viele Schriftsteller, Maler und Künstler flüchteten aus der Stadt des Lichts, wie die Einwohner Paris liebevoll nannten. Sie hatten die Metropole, laut Urteil des Kunstkritikers Harold Rosenberg von der New York Times, in das „[intellektuelle] Laboratorium des 20. Jahrhunderts verwandelt“. Bevor er nach Zürich emigrierte, setzte sich James Joyce in ein Dorf bei Vichy ab. Gertrude Stein und Alice B. Toklas reisten nach Culoz, das in der Nähe von Annecy lag. Marc Chagall, Henri Matisse, René Magritte und Wassily Kandinsky flüchteten in Richtung Süden, wohingegen Vladimir Nabokov sich einen Platz auf dem letzten Liniendampfer nach New York sicherte. Walter Benjamin machte sich auf den Weg, um eine schwierige Gebirgspassage nach Spanien zu bezwingen, doch er schaffte es nur bis nach Portbou, wo er sich im Alter von 48 Jahren für den Freitod entschied.

      Die Wegzug aus der französischen Hauptstadt hatte im Mai 1940 stark zugenommen, nachdem die Nazis in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden eingefallen waren. Am Nachmittag des 3. Juni ertönte das beängstigende Heulen des Fliegeralarms. Die Luftwaffe bombardierte die Citroën- und Renault-Werke. Auch das Luftfahrtministerium am Boulevard Victor wurde angegriffen. Das einstündige Bombardement hinterließ eine Spur der Verwüstung – Krater in den Straßen, riesige Schutthaufen und einen Häuserblock, der den Beobachtungen des Journalisten Alexander Werth zufolge „wie ein schlecht geschnittenes Stück Cheddarkäse“ aussah. 254 Menschen starben bei dem Angriff, 652 wurden verletzt.

      Als sich die Wehrmacht Paris näherte und die Stadt von Norden, Osten und Westen her beinahe einkesselte, nahm der Exodus dann fast schon epische Dimensionen an. In kürzester Zeit waren die Züge überbucht, was viele Einwohner nötigte, mit dem Auto, dem LKW, dem Pferdewagen – ja, manche sogar mit einem Leichenwagen – aus der Stadt zu fliehen. Noch häufiger mussten sich die Menschen allerdings zu Fuß vor den Nazis in Sicherheit bringen.

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