Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell
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Dr. Dunstaple war von Louise und von Mrs. Dunstaple bedrängt worden, ihre Abreise nach Krishnapur zu verschieben, bis der letzte Ball der kühlen Jahreszeit stattgefunden habe. Dann könne Louise noch am selben Nachmittag Brautjungfer bei der Hochzeit einer Freundin in der St Paul’s Cathedral sein. Der Doktor seufzte. Wieder waren ein paar glückliche Schweine seinem Spieß entgangen. Er tanzte nicht gern.
In der Festhalle war die Temperatur weit über neunzig Grad Fahrenheit, die hohen Fenster standen offen und punkahs flatterten wie verwundete Vögel über den Köpfen der Tanzenden. Obwohl Fleury sich nicht vorstellen konnte, wie man bei einer solchen Hitze tanzen sollte, hatte Louise ihre Tanzkarte im Nu gefüllt; als er kam, um sich zu bewerben, war zu seinem Leidwesen nur noch der galloppe frei. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und zog ihn schimmernd, wie mit Olivenöl bestrichen zurück. Auch die Ladies konnten nicht kühl aussehen; noch so viel Reispuder konnte den Glanz ihrer Gesichtszüge nicht mattieren, noch so viel Polsterung konnte feuchte Flecken nicht daran hindern, sich unter ihren Achselhöhlen auszubreiten.
Ein Wunderwerk nach dem anderen hervorhebend, die Musiker, die prachtvoll livrierten Diener, das köstliche Buffet inmitten der Blumen und Lüster und Topfpalmen, empfahl der Doktor Fleury dringend, diese elegante Szene nicht zu vergessen, wenn es darum ging, Beispiele zivilisierten Verhaltens für sein Buch auszuwählen. Fürwahr, stimmte Fleury zu, dies sei sicher eine Art von Zivilisation, aber irgendwie glaube er, eigentlich werde ein ganz anderer Aspekt gebraucht … ihre spirituelle, ihre mystische Seite, die Seite des Herzens! »Zivilisation, wie sie derzeit ist, denaturiert den Menschen. Denken Sie nur an die Mühlen und die Schmelzöfen … Im Übrigen, Doktor, empfiehlt mir jeder, dem ich in Kalkutta von meinem Buch erzähle, auf dies oder jenes zu achten … einen Kanal, der gebaut worden ist, oder irgendeine grausame Sitte wie Kindstötung oder Witwenverbrennung, die abgeschafft wurde … Das sind natürlich Verbesserungen, gewiss, aber so, wie die Dinge liegen, sind es nur Symptome von etwas, was eine große, heilsame Krankheit sein sollte … Das Problem ist, wissen Sie, dass die Symptome zwar da sind, die Krankheit als solche aber fehlt!«
»Eine heilsame Krankheit!«, dachte der Doktor, während er einen entsetzten Blick auf Fleurys errötetes Antlitz warf.
»Hm, das ist alles schön und gut, aber … Hier, nehmen Sie eine von diesen.« Der Doktor bot Fleury sein Zigarrenetui an, wobei er als subtiles Kompliment hinzufügte: »Ich fürchte allerdings, dass sie nicht so gut sind wie Lord Cannings.« Er beobachtete Fleury besorgt. Er hatte gehört, auch wenn es nur ein Gerücht sein mochte, Fleury habe sich im Bengal Club irgendeinen armen Teufel geschnappt und ihm ein langes Gedicht über die Besteigung eines symbolischen Berges vorgelesen.
Überrascht von der Anspielung auf Lord Canning, nahm Fleury eine Zigarre und fuhr nachdenklich mit der Nase daran entlang. Sein Blick fiel auf zwei hübsche, schwitzende Mädchen in der Nähe, als eines von ihnen ausrief: »Ich hasse Männer, die bei der Polka hopsen!« Auf jedem Londoner Ball hätte ihm dieselbe Bemerkung zu Ohren kommen können. Obendrein hatte er gehört, dass in Kalkutta auch reiche indische Gentlemen zu Bällen im zivilisierten europäischen Stil luden, obwohl sie die englischen Ladies zugleich dafür verachteten, mit Männern zu tanzen, als wären sie »nautch girls«*, etwas, was sie ihren eigenen Frauen niemals gestatten würden. Darin schien ein Widerspruch zu liegen. Es war alles sehr kompliziert.
Der Doktor hatte Fleury am Ellbogen gefasst und führte ihn zum Buffet. Wo Mrs. Lang denn heute Abend sei? Fleury erklärte, Miriam habe es abgelehnt, mitzugehen, nicht, weil sie noch trauere, sondern weil sie es zu heiß fand, um zu tanzen. Miriam habe ihren eigenen Kopf, brummte er.
»Was für eine vernünftige junge Frau!«, rief der Doktor neidisch, wünschte er sich doch auch für seine Ladies einen eigenen Kopf, der ihnen sagte, wann es zu heiß zum Tanzen war.
Sie kamen an einer Reihe erhitzter Anstandsdamen am Rand der Tanzfläche vorbei; die ununterbrochene Bewegung ihrer Fächer verlieh diesen Ladies etwas Flatteriges, etwas von Vögeln, die sich ihr Gefieder putzen. Die aus der Blässe schwer gepuderter Gesichter hervortretenden Augen folgten Fleury ausdruckslos, als er vorbeiflanierte. Er dachte: »Wie wahr, dass englische Frauen im indischen Klima nicht gedeihen! Ihr Fleisch fällt ein, es schmilzt dahin und hinterlässt nur Sehnen, Fasern und Falten.«
Plötzlich herrschte Aufregung im Ballsaal, wie ein Lauffeuer ging die Nachricht um: General Hearsey war eingetroffen! Das Gedränge im vorderen Bereich der Tanzfläche war so groß, dass der Doktor und Fleury nichts sehen konnten, und so stiegen sie ein paar Stufen der weißen Marmortreppe hinauf. Von dort aus gelang es ihnen, einen Blick auf den General zu erhaschen, und der Doktor konnte nicht anders, er wünschte sich, unwillkürlich zu Fleury hinüberschielend, sein Sohn Harry wäre an dessen Stelle da. Harry hätte alles gegeben, um des tapferen Generals ansichtig zu werden, während Fleury mit seinem von Zivilisationstheorien aufgeweichten Gehirn sicher nicht den Wert des Mannes schätzen konnte, der jetzt langsam durch die Menge der Gäste schritt, von denen viele vortraten, um ihn zu begrüßen; andere, die keine Gelegenheit gehabt hatten, seine Bekanntschaft zu machen, erhoben sich aus Respekt und verbeugten sich, als er vorüberging.
Aber der Doktor tat Fleury Unrecht, denn Fleury war nicht weniger aufgeregt als er. Fleury hatte sich selbst im Verdacht, ein Feigling zu sein, und hier sah er sich dem Mann gegenüber, der vor dem Zeughaus eines zum Aufruhr bereiten Sepoy-Regiments furchtlos auf den Rebellen, der soeben den Adjutanten erschossen hatte, zugeritten war. Auf die Warnung eines Offizierskameraden, die Muskete des Rebellen sei geladen, hatte der General geantwortet, was in ganz Kalkutta schon zum geflügelten Wort geworden war: »Zum Teufel mit seiner Muskete!« Und der Sepoy, überwältigt von der moralischen Präsenz des Generals, war unfähig gewesen, den Abzug zu drücken. Kein Wunder, dass Fleury seine Theorien im Moment vergaß und sich an dem älteren Soldaten weidete, an dem vollen weißen Haar und Schnauzbart des Generals, an dessen mannhaftem Gebaren, das sein Alter von sechsundsechzig Jahren vergessen ließ. Und als der General, der sich ruhig mit einem Freund unterhielt, aber doch einen müden und angestrengten Ausdruck im Gesicht hatte, seine Augen hob und kurz auf Fleury ruhen ließ, schlug Fleurys Herz, als wäre er kein Dichter, sondern ein Husar.
Erfrischt durch diesen Anblick personifizierten Muts, stiegen Fleury und der Doktor die Marmortreppe weiter hinauf, zu den Galerien. Hier saßen etliche Leute bequem in Nischen, durch Farne und rote Plüschwände voneinander getrennt, mit einem guten Überblick über die Tanzfläche unten. Es herrschte ein reges Kommen und Gehen von Höflichkeitsbesuchen zwischen diesen Nischen, und hier war der Ort, wo man die nüchternen Tatsachen der Ehe diskutieren konnte, während sich die jungen Leute unten um die gefühlsmäßigen Aspekte kümmerten. Mrs. Dunstaple hatte einen Platz auf einem Sofa unter einer punkah gefunden und redete mit einer anderen Lady, die ebenfalls eine heiratsfähige Tochter hatte, wenngleich um einiges gewöhnlicher als Louise. Als Mrs. Dunstaple Fleury mit ihrem Ehemann näherkommen sah, konnte sie einen Freudenlaut nicht unterdrücken, denn sie hatte ihrer Gefährtin gerade vorgeschwärmt, welche Aufmerksamkeiten Fleury Louise zuteilwerden ließ, und den unangenehmen Eindruck gehabt, dass ihr nicht ganz geglaubt wurde.
Fleury verbeugte sich, als er vorgestellt wurde, und setzte sich dann, benommen von der Hitze. Die roten Plüschwände um ihn herum vermittelten ihm das Gefühl, in einem Ofen zu sitzen. Er nahm ein Taschentuch heraus und tupfte sich die ölige Stirn ab. Auf der Tanzfläche unten ging ein Walzer zu Ende, und bald würde es Zeit für den galloppe sein. Soeben tauchte Louise auf, eskortiert von den Leutnants Cutter und Stapleton, die Fleury beide unverschämt anstarrten und sich der Aufgabe, ihn wiederzuerkennen, offensichtlich nicht gewachsen fühlten.
Fleury blickte bewundernd zu Louise auf; er wusste, dass sie nachmittags Brautjungfer