Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell
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»Oh, da ist ja Mr. Hopkins«, sagte der Magistrate, seine Rede abrupt beendend, als er den Collector an der Tür lauern sah. Und der Collector war gezwungen, lächelnd vorzutreten, wie in gespannter Erwartung der Gedichte, die gleich seinen Ohren schmeicheln würden.
Ein leerer Stuhl stand neben dem des Magistrate, der etwas jünger war als der Collector, mit den roten Haaren und fuchsroten Koteletten des geborenen Atheisten; sein Gesicht hatte einen ständigen Ausdruck zynischer Überraschung, eine Augenbraue hochgezogen und den Mundwinkel verkniffen, soweit man es unter seinen Koteletten, die hier von Fuchsrot in Zimtbraun übergingen, erkennen konnte. Im Kantonnement hieß es, er schlafe sogar mit hochgezogener Augenbraue; der Collector wusste nicht, ob etwas Wahres daran war.
Früher hatten sie im Kreis gesessen und jedes Mitglied der Society war bereit gewesen, seine Meinung zu dem gerade vorgelesenen Gedicht zu sagen. Dies waren die Tage gewesen, da jedes einzelne Gedicht mit Vorzügen gespickt war wie ein Igel und sich mit Ruhm überhäufte wie ein Schakal, die glücklichen Tage, bevor der Magistrate eingeladen worden war. Bald nach seinem Auftauchen hatte sich der Kreis allmählich aufgelöst, die Ladies waren an beiden Seiten immer weiter von ihm abgerückt, bis sie ihm erst in einem Halbkreis und nun, zu guter Letzt, direkt gegenübersaßen, wie auf der Anklagebank. Der Collector hatte tapfer den Platz an der Seite des Magistrate eingenommen, um mildernde Umstände geltend zu machen.
Inzwischen hatte die Dichterlesung begonnen, und Mrs. Worseley, die Frau eines der Eisenbahningenieure, war stockend ans Ende eines Sonnets über einen Erlkönig gelangt. Alle, einschließlich des Collectors, beobachteten nun voll Schrecken den Magistrate, in Erwartung seines Urteils; obwohl der Collector sich in den meisten Dingen sicher war, mangelte es ihm an Selbstvertrauen, wenn es um die Beurteilung von Poesie ging, und er war gezwungen, dem Magistrate den Vortritt zu lassen, allerdings nicht ohne den heimlichen Verdacht, dass sein eigenes Urteil im Grunde doch das bessere sein könnte.
»Mrs. Worseley, ich fand Ihr Gedicht mangelhaft in Versmaß, Rhythmus und Erfindungsgeist. Und um ehrlich zu sein, bin ich der Meinung, dass wir in den letzten Wochen viel zu viele Erlkönige hatten, wobei ich Ihnen versichern kann, dass schon ein einziger Erlkönig mehr als genug für mich wäre.« Mrs. Worseley ließ den Kopf hängen, sah aber ziemlich erleichtert aus bei dem Gedanken, dass sie doch noch gut davongekommen sei.
Nun las Mrs. Adams, eine ältere Dame, die Frau eines kürzlich in den Ruhestand versetzten Friedensrichters, mit gebieterischer Stimme ein langes Gedicht, auf das sich der Collector keinen Reim machen konnte, außer dass es etwas mit Natur, Schlangen und dem Fall Trojas zu tun zu haben schien. Er ließ seine Gedanken schweifen, und als sein Blick an seiner Frau hängenblieb, dachte er, sollte es tatsächlich Unruhen in Krishnapur geben, sei es nur gut, wenn sie nicht da war, um es zu sehen; vielleicht hätte er darauf bestehen sollen, dass die Kinder mit ihr nach Hause fuhren; er hätte es getan, aber er hatte gefürchtet, der Wirbel würde, selbst wenn die ayah* mitginge, zu viel für ihre Nerven sein … Wie auch immer, er hatte fast beschlossen, sich in Jahresfrist, am Ende der nächsten kühlen Jahreszeit, von seinem Posten zurückzuziehen. Er brauchte sich keine Sorgen zu machen, um seine Pension zu sichern, wie der arme Magistrate. Ihn erwartete ein glorreiches und interessantes Leben in England, sobald er glaubte, seine Pflicht in Indien erfüllt zu haben.
Aber noch immer gingen ihm diese Chapatis durch den Kopf, ungelöst. Hier, im Gesellschaftszimmer, war es noch schwieriger, an Unruhen zu glauben, als zuvor in der Eingangshalle, ja, in der Tat war es schwierig zu glauben, überhaupt in Indien zu sein, abgesehen von den punkahs*. Sein Blick wanderte befriedigt über die Wände, dick gepanzert mit Gemälden in Öl und Aquarellfarben, mit Spiegeln und Vitrinen, die ausgestopfte Vögel und andere Wunder enthielten, über die pflaumenblau in Cretonne bezogenen Stühle und Sofas, über Schaukästen mit Mineralien und einer in einer Flasche bläulichen Alkohols schwimmenden Kobra, über hier und dort verteilte, mit schweren, bis zum Boden herabhängenden Tüchern drapierte Tische, auf denen elektroplattierte Statuen von großen Literaten standen, von Dr. Johnson, Molière, Keats, Voltaire und natürlich Shakespeare … aber jetzt war er gezwungen, seine Aufmerksamkeit wieder den Vorgängen in der Versammlung zuzuwenden.
Miss Carpenter hatte begonnen, ein Gedicht zum Ruhm der Great Exhibition* zu lesen; der Collector stöhnte innerlich, nicht weil er das Thema unpassend gefunden hätte, sondern weil es so offenkundig als Hommage an ihn gewählt worden war; Gedichte über die Exhibition kehrten alle paar Wochen wieder und verfehlten es selten, die bissigsten Bemerkungen des Magistrate hervorzurufen. Was zweifellos den Grund hatte, dass sein persönliches Interesse an der Exhibition dem Magistrate ebenso bekannt war wie den Ladies; tatsächlich war es mehr als ein Interesse, denn der Collector war ein prominentes Mitglied des Auswahlkomitees für die Präsidentschaft Bengalen gewesen, und nachdem er 1851 seinen Heimaturlaub genommen hatte, hatte er der Great Exhibition in offizieller Funktion beigewohnt. Im Kantonnement sagte man, der Magistrate verüble es dem Collector, nur wegen dessen Gewohnheit, künstlerischen und wissenschaftlichen Bric-à-Brac zu sammeln, auf so vertrautem Fuß mit all den »hohen Tieren« von der Company zu stehen.
»Macht der Begabung,
wie des wundersamen Rüsseltiers von Afrika,
feierte auf dieser Bühne ihren doppelten Triumph,
den König des Waldes bei den Wurzeln zu heben
und die feinste Nadel vom Boden aufzulesen.«
Obwohl es gemeinhin als unklug galt, dem Magistrate mittendrin Erklärungen zu geben, konnte sich Miss Carpenter nicht enthalten, zu erklären, dass dieses Bild der Exhibition eine Anspielung auf Edmund Burkes vielseitige Begabung sei. Aber da sich die fragenden Mienen ihrer Mitdichterinnen infolge dieser Erklärung nur vertieften, war sie genötigt, ihrer Erklärung eine Erklärung hinzuzufügen, dahingehend, dass Burkes nämliche Begabung mit dem Rüssel eines Elefanten verglichen worden sei, der ebenso gut eine Eiche entwurzeln wie eine Nadel aufheben kann. Die Ladies lenkten ihre entsetzten Blicke auf den Magistrate, um zu sehen, wie er reagierte; sein Gesicht blieb jedoch verdächtig teilnahmslos unter dem fuchsroten Wuchs. Miss Carpenter fuhr mutig fort:
»Während Ihr, Königliche Stifter dieser Schau,
ruhig Euch durch Myriaden Staunender bewegt,
und Briten stürmisch drängen, ihrer Queen
willige Ergebenheit und Liebe zu bezeigen.«
»Wirklich, das ist gar nicht schlecht«, dachte der Collector trotz seiner Beunruhigung um ihretwillen; er mochte Miss Carpenter, die ernsthaft und hübsch und darauf bedacht war, zu gefallen.
»Kiesel und Muscheln, wie Kinder sie
bunt gemischt am Saum des Meeres finden;
was lehren sie nicht alles den nachdenklichen Geist,
und sind doch selbst so nichtig, so bald nicht mehr gesehn!«
»Vortrefflich, wie ernsthaft! Das Mädchen hat ein bemerkenswertes Talent.« Der Collector war überrascht, sich derart angesprochen zu fühlen von einem Gedicht, das eine der Ladies verfasst hatte; bisher hatte er die Gedichte nur wegen ihrer therapeutischen Eigenschaften geschätzt. Leider konnte Miss Carpenter nicht widerstehen, noch eine weitere Erklärung anzufügen: Der letzte Vers beziehe sich auf Newton, der sich selbst als ein Kind beschrieben habe, »das am Strand des großen