Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Briefe über den Yoga - Sri Aurobindo

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Wissen erreichte, doch nicht darüber hinauszugehen vermochte. Aus dem Indien der vedischen Zeiten ist uns die andere Richtung der Verwirklichung überliefert, nämlich die der spirituellen Selbst-Entdeckung; okkultes Wissen war auch dort vorhanden, doch wurde es als etwas Untergeordnetes betrachtet. Wir können sagen, dass in Indien zuerst die Intuition herrschte, bevor das intellektuelle Mental sich in einer späteren Philosophie und Wissenschaft entfaltete. Die Masse der Menschen lebte zu jener Zeit offensichtlich völlig auf der materiellen Ebene, sie betete die Gottheiten der stofflichen Natur an und erbat sich von ihnen ganz und gar materielle Dinge. Den vedischen Mystikern hingegen wurden kraft ihres Strebens die Dinge dahinter durch eine Macht innerer Schau, inneren Hörens und innerer Erfahrung enthüllt, was jedoch nur einer begrenzten Zahl von Sehern und Weisen vorbehalten war und sorgsam vor der Masse der Menschheit verborgen gehalten wurde – der Mystiker bestand immer auf Geheimhaltung. Wir können dieses Blühen der Intuition auf der spirituellen Ebene durchaus einem jähen Wiederauftauchen der wesentlichen Errungenschaften eines vorangegangenen Zyklus zuschreiben, die von diesem herabkamen. Wenn wir die spirituelle Geschichte Indiens untersuchen, erkennen wir, dass, nachdem diese Höhe erreicht war, ein Abstieg stattfand, der jede niedrigere Stufe des bereits entwickelten Bewusstseins aufzunehmen und sie mit dem Spirituellen am Gipfel zu verbinden suchte. Dem vedischen Zeitalter folgte eine große Blüte des Intellektes und der Philosophie, die sich die spirituelle Wahrheit zur Grundlage machten und versuchten, diese von neuem zu erreichen, zwar nicht wie die vedischen Seher durch direkte Intuition oder über einen okkulten Vorgang, sondern durch die Macht des reflektierenden, spekulativen logischen Denkens des Mentals; zur gleichen Zeit wurden Yogasysteme entwickelt, die das denkende Mental als Instrument zur Erreichung der spirituellen Verwirklichung gebrauchten und gleichzeitig dieses Mental selbst spiritualisierten. Anschließend folgte eine Ära der Entfaltung von Philosophien und Yogasystemen, die mehr und mehr das emotionale und ästhetische Wesen als Instrumente spiritueller Verwirklichung benutzten und die emotionale Ebene im Menschen über Herz und Gefühl spiritualisierten. Dies wurde von tantrischen und anderen Vorgängen begleitet, die den mentalen Willen, den Lebenswillen, den Willen der Empfindungen aufnahmen und diese sowohl zu Instrumenten als auch zum eigentlichen Bereich der Spiritualisierung machten. Im Hatha-Yoga und den verschiedenen Versuchen, den Körper zu vergöttlichen, gibt es ebenfalls eine Richtung, die im Hinblick auf die lebende Materie zu der gleichen Verwirklichung zu gelangen sucht; doch dies harrt noch der Entdeckung der wahren, charakteristischen Methode, der Entdeckung der Macht des Spirits im Körper. Wir können daher sagen, dass das universale Bewusstsein nach seinem Herabkommen in die Materie die Evolution in zwei Richtungen lenkte, eine des Anstiegs zur Entdeckung des Selbstes und Spirits, die andere des Abstiegs durch die bereits entwickelten Ebenen des Mentals, des Lebens und des Körpers, um das spirituelle Bewusstsein auch in diese herabzubringen und hiermit eine geheime Absicht in der Schöpfung des materiellen Universums zu erfüllen. Unser Yoga ist in seinem Prinzip ein Aufnehmen, ein Zusammenfassen, ein Vollenden dieses Vorgangs – ein Bestreben, sich zu den höchsten supramentalen Ebenen zu erheben und ihr Bewusstsein und ihre Macht in das Mental, das Leben und den Körper zu bringen.

      Der Zustand der gegenwärtigen Zivilisation die materialistisch ist mit einem nach außen gerichteten Intellekt und Lebens bestreben – das, was du als so schmerzhaft empfindest –, ist ein Übergang, doch einer, der vielleicht unvermeidlich war. Denn wenn die Spiritualisierung des Mentals, des Lebens und des Körpers, wenn die bewusste Gegenwart des Spirit, selbst im physischen Bewusstsein und im stofflichen Körper das zu erreichende Ziel ist, dann musste vielleicht ein Zeitalter kommen das die Materie und das physische Leben in den Vordergrund stellt und sich dem Bestreben des Intellektes widmet, die Wahrheit des materiellen Daseins zu entdecken. Auf der einen Seite hat es, indem es alles bis hin zum Verstand materialisierte, eine für den spirituell Suchenden äußerst schwierige Situation geschaffen – diejenige, von der du sprichst –, anderseits aber hat es dem Leben in der Materie eine Bedeutung gegeben, die ihm die Spiritualität der Vergangenheit zu versagen geneigt war. In gewisser Weise machte es deren Spiritualisierung zum Erfordernis für den spirituell Suchenden und stützte so die absteigende Bewegung des sich entfaltenden spirituellen Bewusstseins in der Erd-Natur. Mehr als dies können wir allerdings nicht in Anspruch nehmen. Die bewusste Auswirkung dieses Zeitalters war eher, das spirituelle Element der Menschheit zu ersticken und beinahe auszulöschen. Allein durch die göttliche Handhabung der aufeinander wirkenden Gegensätze und durch eine Hilfe von oben wird es ein spirituelles Ergebnis zeitigen.

      Alle Phasen menschlicher Geschichte kann man als Entwicklungsstufen des Erd-Bewusstseins betrachten, und jede dieser Phasen hat ihre Aufgabe und ihren Sinn. Und auch diese materialistisch intellektuelle Phase musste kommen und hatte ohne Zweifel ihren Zweck und ihre Bedeutung. Man könnte sogar der Ansicht sein, eines ihrer Ziele sei der Versuch gewesen, zu erkunden, wie weit und wohin menschliches Bewusstsein durch eine intellektuelle und äußere Kontrolle der Natur allein mit physischen und intellektuellen Mitteln gelangen kann, ohne ein höheres Bewusstsein und Wissen einzusetzen; oder auch, dass sie [die materialistische Phase] durch ihren Widerstand dazu beitragen möge, das spirituelle Bewusstsein, das hinter all dem Wandel wächst, hervorzulocken, damit es die Herrschaft über die Materie wage und sie zum Göttlichen wende, so wie es die Tantriker und Vaishnavas mit der emotionalen und niederen vitalen Natur zu tun versuchten, da sie sich mit der vedantischen Hinwendung des Mentals zum Höchsten nicht zufrieden gaben. Doch es fällt nicht leicht, mehr als dies anzunehmen oder gar zu glauben, dieser Materialismus als solcher sei etwas Spirituelles, oder der dunkle, verworrene und gewalttätige Zustand des heutigen Europas sei eine unerlässliche Vorbereitung für die Herabkunft des Spirits gewesen. Diese Finsternis und Gewalttätigkeit, die sogar ein Licht wie das des geistigen Idealismus und das Verlangen nach Harmonie, die sich bereits im Mental der Menschheit erfolgreich gefestigt hatten, zu zerstören vermögen, werden offensichtlich durch das Herabkommen wilder und dunkler vitaler Mächte verursacht, welche die menschliche Welt für sich zu besitzen suchen und nicht einem spirituellen Zweck überlassen wollen. Es ist richtig, einige Okkultisten sagten solch ein Herabstürzen asurischer Kräfte aus den dunkleren vitalen Welten voraus, und zwar als ein erstes Ergebnis jenes Druckes, den das Göttliche Herabkommen in diesem vitalen Bereich verursachte; es wurde jedoch als eine Gegebenheit des Kampfes angesehen und nicht als etwas, das zum Göttlichen Sieg verhelfen würde. Das Durchwühlen der Materie durch den Versuch des menschlichen Verstandes, die stoffliche Natur zu erobern und diese für seine Zwecke zu benützen, mag eine gewisse Passivität und Trägheit brechen, doch geschieht dies für materielle Zwecke in rajasischem Geist und unter Leugnung der Spiritualität als geistiger Grundlage. Solch ein,Versuch kann oder scheint tatsächlich in Chaos und Auflösung zu enden, während neue Versuche der Erschaffung und Wiederherstellung die dunkle Starrheit der stofflichen Natur mit einem Wiederauftauchen der barbarischen Rohheit und Gewalttätigkeit einer halbtierischen vitalen Natur verbinden. Wie sollen spirituelle Kräfte mit all dem fertig werden oder aus diesem Aufwühlen der Energien des stofflichen Universums Nutzen ziehen? Der Weg des Spirits ist ein Weg des Friedens und Lichtes, der Harmonie; wenn er kämpfen muss, dann allein, weil Kräfte vorhanden sind, die entweder das spirituelle Licht auslöschen oder es behindern wollen. In der spirituellen Wandlung muss die Trägheit durch göttlichen Frieden und göttliche Ruhe ersetzt werden, die rajasisch aufgewühlte Energie durch eine ruhige und machtvolle, eine reine und befreite Dynamik, während das Mental für das Wirken eines höheren Wissens-Lichtes plastisch bleiben muss. Wie will die Aktivität des Materialismus eine derartige Wandlung bewirken?

      Materialismus kann in seiner Basis schwerlich spirituell sein, da seine grundlegende Methode, etwas durchzuführen, genau das Gegenteil des spirituellen Weges ist. Spiritualismus wirkt von innen nach außen, die Art des Materialismus hingegen ist es, von außen nach innen zu wirken. Er macht das Innere grundsätzlich zum Ergebnis des Äußeren, zu einer Erscheinungsform der Materie und nach dieser Auffassung arbeitet er. Er versucht, die Menschheit durch äußere Mittel zu „vervollkommnen“, und eine seiner Hauptbestrebungen ist, eine vollkommene soziale Maschinerie zu schaffen, welche die Menschen erzieht und sie verpflichtet, so zu sein, wie sie sein sollten. Das spirituelle Ideal ist es, das Ego im Göttlichen zu verlieren; dies wird dort durch die Opferung des einzelnen an den Militär- und Industriestaat ersetzt. Wo ist hierin irgendwelche Spiritualität zu finden? Spiritualität kann allein erreicht werden durch ein Öffnen des Mentals, des Vitals und des Physischen gegenüber der

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