YOLO. Paul Sanker

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YOLO - Paul Sanker

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Wanker blieb unbeeindruckt. »Was willst du von mir, du Clown?«, skandierte sie ungeduldig und streute dabei die Asche ihrer Zigarette auf den Teppich.

      Müller ging eilfertig in die Knie und versuchte, das graue Würstchen mit der befeuchteten Fingerspitze seiner Rechten in die linke Handfläche zu befördern.

      Henrik verfolgte die Aktion verächtlich grinsend. Doch dann konzentrierte er sich auf die Mutter. »Nun, du weißt doch von meinem Studium an der Fern-Uni Motherwell. Ich brauch’ nur noch vier Semester, dann habe ich meinen Abschluss. Aber die Studiengebühren sind teuer, und ich wollte dich eigentlich nicht mit den Kosten belasten.«

      Das Gesicht der Mutter zeigte keine Regung.

      »Fern-Uni?« Wieder das Echo von Konrad Müller, der nun ratlos mit der aufgelesenen Asche in der Gegend herumstand.

      »Glaub diesem Schwätzer kein Wort, Konrad. Der lügt, dass einem Leprakranken eine neue Nase wächst«, knurrte Sarah Wanker. »Ich weiß von keinem Fernstudium.«

      Ihre Nasenflügel bebten leicht. Ein untrügliches Zeichen, dass sie dabei war, die Geduld zu verlieren. Schon als kleiner Junge wusste Henrik, dass es dann Zeit war, das Weite zu suchen, weil es sonst unweigerlich Prügel setzte.

      »Aber, Mutti …« Henrik zögerte. Wie lange hatte er dieses Wort nicht mehr gebraucht? Denn mehr als ein Wort war es nicht. »Aber, Mutti«, wiederholte er, »wahrscheinlich hast du vergessen, dass ich dir vor zwei Jahren von meinem Entschluss erzählt habe, Kernphysik zu studieren. Du hast ja so viel um die Ohren – deine Geschäfte und deine Reisen. Jedenfalls musste ich die Semestergebühren bezahlen und dabei habe ich nicht bedacht, dass auch die Miete fällig ist.«

      »Kernphysik?«

      Langsam ging es Henrik auf die Nerven, dass der Grauhaarige sich als Echo betätigte.

      »Jawohl, Kernphysik, du Pinsel!« fauchte Henrik, sodass ihm der Speichel von den Lippen flog. »Und zwar in Motherwell, das ist in Irland, damit du’s weißt und in deinem Seniorenstift in der Bastelstunde was zu erzählen hast!«

      Der Lover seiner Mutter bedachte ihn mit einem seltsamen Blick, der Henrik nachdenklich gestimmt hätte, wäre er nicht damit beschäftigt gewesen, einen klemmenden Geldhahn zu öffnen.

      »Wie viel?« Seine Mutter blieb kalt wie Schweineöhrchen im Kühlhaus.

      »Siebenhundert Euro«, antwortete Henrik ebenso knapp. Er schluckte. Jetzt kam der Augenblick der Wahrheit …

      »Keine Chance, mein Lieber!« Sarah Wanker drückte die Kippe mit einer heftigen Bewegung im Aschenbecher aus, vielmehr, sie zerquetschte sie regelrecht. »Du musst lernen, mit deinem Geld besser zu haushalten. Das sage ich dir schon seit Jahren. Ich habe auch meine finanziellen Verpflichtungen und darum nichts zu verschenken.«

      »Welche Verpflichtungen?«, entließ Henrik aufgebracht. »Soviel ich weiß, lebst du sehr gut von Vaters Rente und in Vaters Haus. Anstatt jede Woche Geld für den Caterer auszugeben, um diese widerlichen Schlangen zu füttern, könntest du deinem Sohn ermöglichen, dass er nicht nächsten Monat unter der Brücke schlafen muss.«

      Die Enttäuschung hinderte ihn nicht daran, sich eine Schüssel Kürbiscremesuppe zurechtzumachen und kleine Stückchen vom Baguettebrot einzutauchen, die er nun genüsslich am Gaumen zerdrückte.

      »Du kriegst keinen Cent mehr von mir«, ereiferte sich die Mutter weiter. »Gib das Geld vernünftig und nicht fürs Saufen, für Drogen oder …«, ihr Mund ähnelte einem zähnefletschendem Bullterrier, als sie hervorstieß: »… für Stricher aus!«

      Henrik hätte um ein Haar die Suppenschüssel fallen lassen, als seine Mutter diese Worte förmlich ausspie.

      »Wie kannst du so was zu mir sagen?« Verdammt! Zu allem Unheil hatte er sich jetzt auch noch die Zunge verbrannt. Das tat beim Sprechen weh. Aber egal! Die Schlacht musste er gewinnen! »Tobi ist ein Trottel, ja! Aber kein Stricher. Und was hat das überhaupt mit unserem Problem zu tun?«

      »Deinem Problem, mein Lieber, nicht unser Problem!« Sarah Wanker trat bedrohlich nahe an den Sohn heran und tippte mit dem rot lackierten Nagel ihres Zeigefingers gegen seine Brust. »Außerdem habe ich eine Alternative zu der Lösung, unter einer Brücke zu schlafen.«

      »Welche?«, flüsterte Henrik und wagte die Suppenschüssel nicht aufs Büfett zu stellen. Er ahnte, dass nun die überraschende Wendung kam. Ob es sich um eine angenehme handelte, stand auf einem anderen Blatt.

      »Du ziehst in meine Dachkammer ein.«

      Henrik stand vor Staunen der Mund offen. Die Beiläufigkeit, mit der seine Mutter ihm den Vorschlag eröffnete, verblüffte ihn am meisten. »Vor ein paar Jahren konntest du mich nicht schnell genug loswerden und hast mir das Appartement gemietet. Und jetzt – wegen lumpiger 700 Euro – schlägst du vor, dass ich wieder zurückkommen soll?«

      Da stimmte etwas nicht und stank ganz gewaltig. Doch was?

      »Ich sage nicht, dass du zurückkommen sollst, mein Sohn«, schnappte Sarah Wanker zurück. »Durch dein Verhalten zeigst du aber, dass du nicht in der Lage bist, dein eigenes Leben zu gestalten. Du wurdest wegen Drogenbesitzes festgenommen, du treibst dich in zwielichtigen Etablissements herum, du wirst in Schlägereien verwickelt und, um allem die Krone aufzusetzen, wirst du auch verdächtigt, ein Sittlichkeitsverbrecher zu sein! Was soll ich noch aufzählen?« Den letzten Satz schrie Sarah Wanker fast heraus.

      Henrik stand mit hängenden Schultern ratlos da. Ihm fiel kein Argument für seine Ehrenrettung ein, keine freche Pointe, keine verletzende Bemerkung, nicht mal eine billige Lüge. Die Schlacht war verloren. Plötzlich herrschte Stille im Raum.

      Konrad Müller, der wie ein graues Gespenst im Hintergrund gelauert hatte, räusperte sich jetzt vernehmlich. Das süffisante Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht, als er sagte: »Übrigens, mein Junge … Motherwell liegt in Schottland, nicht in Irland.«

      Henrik ließ die Suppenschüssel auf den Boden fallen, drehte sich um und verließ, so schnell es ihm möglich war, das Haus, nicht ohne die Türe wutschnaubend hinter sich zuzuknallen.

      6 | Eine geniale Spielidee

      Für den Rest des Tages verkroch sich Henrik voll Frust in seinem Bett. Er wollte nichts mehr hören und sehen. Am Abend rief er Tobi an. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag gegen ein Uhr. Von Tobis Wohnung aus wollten sie Frank einen Besuch abstatten, um ihn über die KoF-Spieler auszufragen, die sich regelmäßig im Molocco trafen, über deren Verbindung zu den Schlägern von neulich und über diesen Tulsadoom.

      Tobi wohnte mit seinen Eltern in einem achtzehnstöckigen Hochhaus im sozialen Brennpunkt der Stadt. Die Grünanlage mit dem kleinen Spielplatz vor dem Haus war verkommen und zugemüllt. Im Sandkasten steckten neben Zigarettenkippen und verbeulten Bierdosen auch hin und wieder gebrauchte Heroinspritzen. Hinter einem kläglichen Holundergebüsch lagen ein benutztes Kondom und zerknüllte Papiertaschentücher. Die Hausfassade war mit schlecht ausgeführten oder halb fertigen Graffiti besprüht. Henrik ging achtlos an diesen traurigen Zeugnissen einer desillusionierten und chancenlosen Jugend des dritten Jahrtausends vorbei. Ihn interessierte mehr, ob dieser verdammte Aufzug funktionierte, oder ob das Ding immer noch defekt war, denn Tobis Eltern wohnten im sechzehnten Stock. Als er ins Treppenhaus eintrat, erkannte er gerade noch rechtzeitig die Lache von Erbrochenem unter den Briefkästen und sprang fluchend über den stinkenden See hinweg.

      An

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