Die dünne Frau. Dorothy Cannell

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Die dünne Frau - Dorothy  Cannell

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Familienlegenden behaupten, dass er bereits an Altersschwachsinn litt, als die Pläne gezeichnet wurden. Nur jemand im Endstadium der zweiten Kindheit besitzt diese Art Phantasie. Das Haus ist schnurstracks aus dem Märchen entsprungen – jede Menge Türme, efeubewachsene Mauern, ein Schlossgraben, nicht größer als ein Goldfischteich, und sogar ein winziges Fallgitter zum Schutz der Eingangstür, obwohl sie das jetzt offen lassen.«

      »Wiedersehen mit Dornröschen?«

      »Genau. Es gibt sogar ein richtiges Schlossgespenst.«

      »Lassen Sie mich raten. Onkel Merlin höchstselbst?«

      »So ist es. Seine Verworfenheit besteht darin, was er dem Haus angetan oder vielmehr nicht angetan hat. Er hat es verrotten lassen. Streng genommen ist er kein Onkel – mehr ein Vetter zigsten Grades, aber meine Mutter war eine praktische Frau. Sie bestand darauf, die Verbindung zu unserem einzigen begüterten Verwandten aufrechtzuerhalten. Als Kind musste ich ihm jede Weihnachten Bettsöckchen stricken und wurde nur zweimal eingeladen. Beide Male flog ich vorzeitig raus. Er sagte, ich fräße ihm die Haare vom Kopf und für den Rest des Jahres bliebe ihm nur trocken Brot.«

      »Hoffentlich wird das nicht unsere Wochenenddiät.« Bentley Haskell lenkte das Auto um eine rutschige Kurve. Wir näherten uns der Londoner Peripherie. Ich wechselte den Schirmarm und verkroch mich so tief wie möglich in meinen Deckenkokon. Bedauerlicherweise zeigte mein Begleiter keinerlei Frostschäden.

      »Welchen faszinierenden Persönlichkeiten werde ich sonst noch begegnen?«

      »Allen möglichen.« Ich zitterte vor Kälte. »Einem Vierer mit Partnertausch aus dem East End, einem Wunderdoktor, dem kürzlich die Approbation entzogen wurde, weil er …«

      »Wenn Sie rumalbern«, sagte Mr. Haskell durch die Nase, »konzentriere ich mich eben aufs Fahren.«

      Zusammengestaucht saß ich da wie ein dicker runder Wackelpudding, der auf seinem Teller zittert. Großmütig reichte er mir einen Ölzweig.

      »Wohl alles Verwandte?«

      »Da ist Onkel Maurice«, plapperte ich wie ein Kind, das aufsagen muss. »Er ist Börsenmakler und Mitte fünfzig – ziemlich klein mit Schmerbauch, die drei Haare, die er noch hat, kleistert er sich mit stark parfümierter Pomade an. Onkel Maurice riecht man durchs ganze Haus.«

      »Bei Mord ein schönes Indiz. Ist ihm zuzutrauen, dass er den Butler erschlägt?«

      »Wohl kaum. Sonst hätte er schon vor Jahren seine Frau beseitigt, Tante Lulu, ein Puttputt.«

      »Ein was?«

      »Ein Huhn. Tante Lulu könnte man das Gehirn entfernen und keiner würde was merken, sobald die Frisur wieder drauf ist. Sie bohnert ihre Böden stündlich, bügelt das Klopapier, bevor sie es aufhängt, und lebt nur für ihre Friseurbesuche dreimal die Woche. Sie und Onkel Maurice haben einen Sohn namens Freddy. Der kommt nach keinem von beiden. Freddy ist ein Freigeist: stolz darauf, dass er sich nie wäscht, trägt die Haare in einem Pferdeschwanz und lässt sich einen Bart sprießen, der aussieht wie ein alter Scheuerlappen, den der Müllschlucker wieder ausgespien hat. Unser Freddy weiß, was angesagt ist – düst auf dem Motorrad durch die Pampa, hat ein Loch im Ohrläppchen und qualmt Hasch wie ein Drache.«

      »Also angepasster als sein Vater.« Bentley Haskell spähte durch das Schneetreiben nach einem halbverwehten Wegweiser, schlug an der Weggabelung einen scharfen Haken, erwischte Glatteis, kam kurz ins Schleudern und war wieder auf Kurs. Ich fühlte mich wie ein Klumpen Eiskrem, so hart gefroren, dass sich daran jeder Löffel verbiegt.

      »Freddy macht Musik«, schnatterte ich, »so eine Art Garagen-Punk auf Haushaltsgeräten. Gegenwärtig pausiert er. Laut Tante Astrids letzten Katastrophenmeldungen ist der Kuckuck ins Nest heimgekehrt, und die armen Vogeleltern haben nicht die Kraft, ihn rauszuschmeißen.«

      »Tante Astrid?« Mr. Haskells dunkle Augenbrauen zogen sich zu einem konzentrierten Strich zusammen, während wir durch das Städtchen St. Martin’s Mill glitten, vorbei an Fachwerkhäusern, die uns im schwindenden Dämmerlicht beäugten.

      Es hatte endlich aufgehört zu schneien. Ich nahm den Schirm herunter und machte vorsichtig Armbeugen. »Tante Astrid ist Witwe, zieht sich immer zum Abendessen um und wurde noch nie ohne ihre Perlen gesehen. Ich glaube, sie hält sich für eine Reinkarnation von Königin Viktoria – sie spricht von sich stets im Pluralis majestatis. Sieht immer aus, als hätte sie sich gerade auf einen glühenden Feuerhaken gesetzt. Sie hat eine Tochter – Vanessa«, murmelte ich, da bog Mr. Haskell von der Straße ab und ersparte mir, Vanessa in all ihrer Femme-fatale-Pracht zu beschreiben.

      »Zeit zum Auftanken«, sagte er.

      »Benzin oder Nahrung?«

      »Weder noch«, zügelte mich Mr. Haskell, während mir Visionen von Rührei mit Pommes durch den Kopf tanzten. »Ich dachte, Sie hätten nichts dagegen, wenn wir Ihre Wärmflasche aufheizen.«

      »Durchaus nicht«, schoss ich zurück. »Sie hat sich schon vor Stunden in einen Grabstein verwandelt. Aber wenn das da drüben ein Gasthaus ist, werde ich reingehen und mich bei einem dicken, saftigen Steak und Meeren von dampfendem Kaffee auftauen. Sie können machen, was Sie wollen, hier draußen Schneemann spielen oder mitkommen.«

      Der arme Mr. Haskell sah hin- und hergerissen aus. Aber das Fleisch war schwach, denn er hielt unter dem knarrenden Gasthausschild, auf dem passenderweise Zur Zuflucht stand, entriss mir die Wärmflasche und stieß seine Tür auf. »Ich hoffe, Sie zahlen«, fauchte er, klopfte sich den Schnee von den Armen und stapfte ums Auto, um mir herauszuhelfen.

      »Bleibt mir was anderes übrig? Sie entwickeln sich zu einem sehr kostspieligen Bedarfsartikel, Mr. Haskell.« Meine Würde litt etwas darunter, dass ich mich fest an seinen Arm klammern musste, damit mir nicht die Beine wegrutschten. »Mein Mantel« – zehn Jahre war er alt – »ist völlig ruiniert, und wenn Sie nicht auf die hirnrissige Idee gekommen wären, in Ihrem Frischluftauto zu fahren, säßen wir jetzt beide kuschelwarm in Merlins Schloss und könnten Tante Sybils köstlichen Kochkünsten zusprechen.«

      »Was Sie nicht sagen. Nach Ihrer Beschreibung hatte ich eher den Eindruck, sie serviert sehr tote Fledermäuse in sehr kalter Suppe.«

      Seine Vorstellung kam der Wahrheit ziemlich nahe, was meinen Zorn weiter anfachte. Wutschnaubend erreichten wir die Tür. Drinnen würdigten wir uns keines Blickes und gaben, während sich um uns kleine Pfützen bildeten, dem irritierten Mädchen hinter der Theke zu verstehen, dass wir einen Tisch für zwei brauchten. Die Antwort war patzig, aber ich schaute stur geradeaus.

      Bald saßen wir vor einem prasselnden Kaminfeuer, um uns glänzte gut geputztes Messing vor handgeschnitzter Täfelung. Es war unmöglich, sich der besänftigenden Wirkung von so viel Achtzehntes-Jahrhundert-Charme zu entziehen. Ich beschloss zu vergessen, welch Wurm Mr. Haskell war.

      »Gemütlich, nicht?«

      »Reichlich übertrieben, die Altertümelei. Warum läuft das Mädchen da mit einer Lockenwickelhaube und im Nachthemd rum?«

      »Die Kellnerin? Das ist kein Nachthemd, das ist die Tracht der Kammerzofen am Hofe Karls des Zweiten. Haben Sie Angst, sie enthüpft ins Bett, bevor wir bestellen können?«

      Wir entschieden uns beide für Steak mit Champignons. Es war hart, auf die Kartoffeln zu verzichten, aber er sollte doch mein Problem für eine Drüsenstörung halten. Unser Essen kam, es brutzelte auf irdenen Tranchiertellern.

      »Miss

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