Silbergrau mit Wellengang. Andrea Reichart
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Читать онлайн книгу Silbergrau mit Wellengang - Andrea Reichart страница 3
Ein leises Stöhnen entfuhr mir, als sie den Druck auf meine Ferse erhöhte. Ich verspürte den Drang, das Kreuz durchzudrücken, ein wenig meine Sitzposition zu verändern. Mir war, als würde mein Steißbein vor Wonne quietschen. Es hatte an der harten Federung der ausgelutschten Bus-Stoßdämpfer in den letzten Stunden entsetzlich gelitten, aber das schien ja niemanden zu interessieren.
„Schließ die Augen und entspanne dich“, befahl Lisbeth in ihrer unnachahmlich bestimmenden Art, und ganz entgegen meiner skeptischen und rebellischen Natur gehorchte ich sofort.
Ihre Finger fuhren sanft aber bestimmend hin und her, ihr Daumen presste mal hier und mal dort, glitt durch den warm gewordenen Schaum und massierte ihn in meinen verknöcherten rechten Fuß.
Die Geräusche der Nacht umsurrten mich. Das ständige Schnurren von Autos, die nur wenige Meter von uns entfernt heranbrausten und sich wieder entfernten, erinnerte mich an Wellen, die unaufhörlich an einen Strand brandeten, nur um sich wispernd wieder ins Meer zurückzuziehen.
Hinter mir zirpten Grillen, ich hörte das Knirschen von leisen Schritten, als Schorschi und die anderen schweigend auf dem schmalen Kiesweg hinter meiner Bank hin und her liefen, um sich die Beine zu vertreten. Versunken in ihre Gedanken zogen sie ihre kleinen Runden, bemüht, die Fahrer der anderen Wagen nicht zu wecken.
Lisbeths Daumen kreiste unterhalb meines Fußballens und eine wohlige Wärme begann sich in meinem Magen auszubreiten. Hatte ich mich eben noch zum Kotzen gefühlt und meine missliche Lage verdammt, so schien sich irgendetwas in mir plötzlich zu entspannen, schien ich mich von innen heraus zu öffnen: für meine Situation und vor allem für Lisbeth, die mit ihren alten Knochen vor mir auf dem schmalen Asphaltstreifen auf ihrer Strickjacke kniete und meine Füße mit Schaum einrieb.
Meine Güte, tat das gut! Ich hatte plötzlich das Gefühl, als könnte ich zum ersten Mal seit vielen Stunden frei durchatmen.
Als der olle Bus vor meiner Wohnung am Straßenrand gehalten hatte und ich begriff, dass ich einen mächtigen Fehler gemacht hatte, hatte sich ein eiserner Ring um meine Brust gelegt, nun flog er lautlos auseinander und ich atmete tief ein und aus.
Ich spürte, wie ein Lächeln über mein Gesicht glitt, als Lisbeths Finger meine Zehen berührten, als ihre Hand sie warm und fest umschloss.
Ich hatte mich eigentlich immer für kitzelig gehalten, aber als sich ein Lachen in meiner Brust bildete, das an die Oberfläche drängte wie eine glucksende Quelle, hatte dies nichts mit kitzeliger Überempfindlichkeit zu tun, sondern eher mit Glück, das sich einen Weg bahnte in meine Augen, in meine Stimme, in meine Ohren. Alle meine Sinne vibrierten.
Ich hielt die Augen geschlossen und wünschte mir, Lisbeth würde nie mehr aufhören, meinen Fuß mit ihrem nach Melone duftenden Frauenrasierschaum einzureiben. Aber genau in diesem Moment tat sie es doch.
Fast wollte ich enttäuscht den Kopf heben, der mir in meiner Entspannung tief auf die Brust gesunken war, da nahm sie meinen linken Fuß in ihre Hände.
Warum nur tat sie dies für mich?
Die Antwort lag auf der Hand.
Ich war so aggressiv und angespannt gewesen, seit wir Rolf aus der Klinik wieder mitgenommen hatten, da hatte sie zu recht befürchtet, ich könnte nicht nur die Kontrolle über mich, sondern auch über den Bus verlieren. Dass sie das nicht zulassen konnte, verstand sich von selbst. Dass sie zu dieser ungewöhnlichen Methode griff, um mich wieder runterzuholen, war alles andere als selbstverständlich.
Während ihre Hände die Innenseiten meiner Ballen massierten, durchflutete mich Dankbarkeit.
Wie war es nur möglich, dass mich dieses magere Althippie-Weibchen so überraschen konnte? Ich hatte ihr nicht genug Verstand zugetraut, von eins bis zehn zu zählen. Oder von siebzig bis achtzig.
Und jetzt saß ich auf einer Bank auf einem namenlosen französischen Rastplatz südlich von Nirgendwo und hatte das tiefe und dringende Bedürfnis, die alte Frau vor mir in die Arme zu nehmen.
Ich konnte mich gerade noch beherrschen. Stattdessen legte ich den Kopf mit geschlossenen Augen tief in den Nacken und stöhnte noch einmal leise auf.
„Danke“, flüsterte ich.
„Gern geschehen“, sagte sie, dann nahm sie das Tuch, das sie mitgebracht hatte, und trocknete erst den einen und dann den anderen Fuß.
Ich öffnete die Augen, traurig, dass es vorbei war. Der Duft von Melone stieg in meine Nase und fast ein wenig widerwillig beugte ich mich vor, um mir die verschwitzten Strümpfe überzustreifen und meine Schuhe wieder anzuziehen.
Lisbeth stand auf und schüttelte ihre spindeldürren Beine. Der lange buntgeblümte Rock, der ihr fast bis zu den Fesseln ging und aussah, als habe sie ihn nach Woodstock in ihren Schrank gehängt, um ihn für diese Fahrt erst wieder herauszuholen, wippte leicht.
Aus allen Richtungen kamen die anderen zurück, als habe Lisbeth ihnen ein stummes Signal gesandt.
Ich sah mich um. Schorschi und Bea stützten Rolf, damit er wieder in den Wagen klettern konnte.
Als ich die wenigen Schritte zum Bus ging, glaubte ich für einen Moment, ich müsste tanzen, so beschwingt und frei fühlte ich mich. Ich wackelte mit den Zehen. Sobald wie möglich würde ich mir Sandalen holen, wie die anderen sie trugen. Mir doch egal, was die Leute sagten.
Als ich gerade einsteigen wollte, meldete sich meine Blase und ich überlegte, doch lieber schnell noch ein Gebüsch aufzusuchen. Leise pfeifend stampfte ich über die kleine Wiese und suchte nach einer Stelle, die etwas weniger stank als alle anderen.
Als ich zurückkam, pfiff ich noch immer. Das Wohnmobil, an dem ich vorbeiging, wippte nicht mehr. Da hatten zwei miteinander ihren Frieden gefunden. Schön für sie.
Als jeder auf seinem Platz saß, schloss ich so leise wie möglich die klemmende Seitentür des Busses.
Lisbeth stieg ein und schloss die Beifahrertür.
Wie durch ein Wunder sprang der Bus beim ersten Versuch an.
„Siehst du?“, sagte Lisbeth schelmisch. „Ich hab dir doch gesagt, er spürt das, wenn der Fahrer gut drauf ist!“
Kapitel 2
Als wir bereits mehr als dreizehn Stunden unterwegs waren – die Pausen mitgerechnet –, und insgesamt elfhundert Kilometer hinter uns gebracht hatten, wünschte ich mir nichts sehnlicher als ein Bett.
Ich konnte froh sein, dass die Seniorengang nicht zu geizig gewesen war, die französischen Autobahngebühren in ihre Planung einzubeziehen, denn sonst wären wir vermutlich noch auf einer Landstraße herumgeeiert, auf der Suche nach kostenlosen Schleichwegen Richtung spanischer Grenze.
Lisbeth hatte ihre Route genauestens ausgearbeitet und kannte sie als Einzige. Warum sie mich nicht in die Unterlagen blicken ließ, erschloss sich mir nicht. Immer wieder musste ich warten, bis sie mir sagte, wie es weiterging.
Jetzt war es wieder soweit.
„Lisbeth?“
Erstaunt stellte ich jedoch fest, dass sie schlief. Tief und fest. Und ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir, dass die anderen