Das achtsame Gehirn. Daniel Siegel

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Das achtsame Gehirn - Daniel Siegel

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wir, dass gegenseitige Einstimmung – die grundlegende Eigenschaft einer sicheren Bindung – zu den empirisch nachgewiesenen Ergebnissen führt, die wir oben beschrieben haben.

      Diese Liste der neun Präfrontalfunktionen schien sich auch mit dem zu überschneiden, was ich im Laufe der Zeit über die Achtsamkeitspraxis gelernt hatte. Ich habe diese Idee Jon Kabat-Zinn auf einem Diskussionspodium vorgestellt (Ackerman, Kabat-Zinn & Siegel 2005), und er hat die Beobachtung dieser Funktionen als Zielkriterien bestätigt. Er hat dann die Idee dahingehend erweitert, dass es bei dieser Liste nicht nur um Ergebnisse geht, die von der Forschung verifiziert wurden, sondern um den Prozess des achtsamen Lebens an sich.

      Der Reiz, eine Konvergenz zwischen der Bindungs- und der Achtsamkeitsforschung zu finden, hat mich dazu gebracht, die Überschneidungen weiter zu erforschen. Seit jener ersten Begegnung habe ich noch mehr über die Achtsamkeitspraxis gelernt, aus dem direkten Erleben und meinen eigenen klinischen Anwendungen ebenso wie dadurch, dass ich an einer Reihe von Retreats teilgenommen habe und mich an Forschungsinstituten als Teilnehmer und Fakultätsmitglied damit beschäftigt habe. Die Reise, etwas über diese Möglichkeiten, den Geist und das Wohlbefinden zu kultivieren, zu lernen, ist aufregend gewesen und hat mich in meiner Aufgeschlossenheit gestärkt.

      In den vor uns liegenden Kapiteln werden wir tiefer in die Geheimnisse des Geistes eindringen und untersuchen, was achtsames Gewahrsein, sichere Bindung und präfrontale Gehirnfunktion miteinander gemein haben könnten.

      Kapitel 2

      Das Gehirn – Grundlagenwissen

      Das Nervensystem entwickelt sich im Embryo zunächst als Ektoderm, den äußeren Zellschichten, die später die Haut bilden. Bestimmte Zellcluster dieser äußeren Zellen falten sich dann an der Rückenseite (Neuralplatte) nach innen und bilden das Neuralrohr aus, das zum Rückenmark und zum Gehirn wird. Diese Entwicklung vom Ursprung der Neuronen – der Grundzellen des Gehirns – auf der „Außenseite“ bis hin zu ihrer Reise „ins Innere“ des Körpers veranschaulicht eine philosophische Erkenntnis, nämlich die, dass das Gehirn an der Schnittstelle der inneren und der äußeren Welt unseres körperlich definierten Selbst entsteht. Für die Beschäftigung mit dem achtsamen Gehirn ist es von Nutzen, diese Schnittstelle oder Verbindung von innen und außen im Gedächtnis zu behalten.

      Unser Gehirn steht an der Spitze eines ausgedehnten Nervensystems, das über den ganzen Körper verteilt ist. Wann immer wir dem Wort Gehirn begegnen, ist es wichtig, sich diese Tatsache zu vergegenwärtigen. Das Grundgerüst (oder die Kernarchitektur) des Nervensystems entsteht im Zuge seiner Entwicklung im Mutterleib. Genetische Faktoren bestimmen in entscheidendem Maße, wie viele Neuronen zu ihrem Bestimmungsort wandern und sich dann miteinander verbinden werden. De facto sind circa fünfzig Prozent unseres genetischen Materials direkt oder indirekt für die Struktur des Nervensystems zuständig, was die Gene zu einem sehr wichtigen Faktor in der neuronalen Entwicklung werden lässt. Doch bereits wenn der Fötus kurz davor steht, den Mutterleib zu verlassen, wirken Erfahrungen auf die Verbindungen zwischen den Neuronen ein.

      „Erfahrung“ bedeutet für das Nervensystem im Wesentlichen die Aktivierung des neuronalen Feuerns als Reaktion auf einen Stimulus. Wenn Neuronen aktiv werden, dann wachsen ihre Verbindungen untereinander und unterstützende Zellen und Blutgefäße beginnen sich schnell zu vermehren. Auf diese Weise prägen Erfahrungen die Struktur des Nervensystems. Unter neuronalem Feuern versteht man die Aktivierung des Äquivalents eines elektrischen Stroms, eines so genannten Aktionspotenzials, das sich über die gesamte Länge der Axone (Nervenzellenfortsätze) bis zu deren Endverzweigungen fortsetzt, wo an der Synapse, dem intrazellulären Raum zweier unmittelbar angrenzender Neuronen, die durch Verbindungskanäle (gap junctions) aneinander gekoppelt sind, entweder ein aktivierender oder ein hemmender Neurotransmitter (Botenstoff) ausgeschüttet wird. Das nachgeordnete Neuron wird dann in Abhängigkeit davon gefeuert, ob die in jenem Moment ausgeschütteten Transmitter eher stimulierend oder eher hemmend sind. Im Durchschnitt sind hundert Milliarden Neuronen über 10 000 synaptische Verschaltungen miteinander verbunden, die von Genen geschaffen und durch Erfahrung geformt werden: Die Natur braucht die Umwelt. Diese beiden wichtigen Dimensionen der menschlichen Entwicklung und der Neuralfunktionen stehen nicht im Widerspruch zueinander.

      Neuronen feuern, wenn wir Erfahrungen machen. Durch das Feuern der Neuronen wird das Potenzial geschaffen, bestehende Synapsen durch das Wachstum neuer Verbindungen zu verändern oder sogar das Wachstum neuer Neuronen anzuregen, die ihrerseits neue synaptische Verbindungen erzeugen. Die Neubildung und Neuvernetzung von Neuronen beruht sowohl auf genetischen Faktoren als auch auf Erfahrung. Veränderungen in den Verbindungen, die aufgrund von Erfahrung zustande kommen, sind Ausdruck der Neuroplastizität des Gehirns.

      Erfahrung bedeutet neuronales Feuern, was in einigen Situationen die Aktivierung von Genen fördern kann. Die Genaktivierung führt zur Produktion von Proteinen, die ihrerseits die Bildung neuer Verschaltungen und die Verstärkung alter ermöglicht. Die Forschung hat außerdem gezeigt, dass Erfahrungen das Wachstum neuer Neuronen anregen können. Neurogenese ist der Prozess, bei dem neue Neuronen heranwachsen – sogar bei Erwachsenen. Bei den noch nicht ausdifferenzierten Zellen im Gehirn, den neuronalen Stammzellen, erfolgt eine regelmäßige Teilung. Ein Produkt dieser Teilung setzt durch Vermehrung die Stammzellenlinie fort (Proliferation), während das andere, die „Tochterzelle“, dazu angeregt werden kann, zu einer voll integrierfähigen Nervenzelle im Gehirn heranzuwachsen (Differenzierung). Wir wissen, dass sich Neurogenese bei Erwachsenen zumindest im Hippocampus vollzieht (synaptische Plastizität) und dass diese Tochterzellen über einen Zeitraum von mehreren Monaten dazu angeregt werden können, zu voll funktionsfähigen, integrierten Neuronen heranzuwachsen (Kempermann, Gast & Gage 2002).

      Erfahrungen können strukturelle Veränderungen im Gehirn bewirken. Häufig finden solche Veränderungen auf der fein abgestimmten mikrostrukturellen Ebene statt; zum Beispiel wenn wir im Gedächtnis neue Assoziationen schaffen. Mit Hilfe eines Scanners können solche Veränderungen jedoch kaum nachgewiesen werden, es sei denn, sie wären recht markant. Aufgrund von Sara Lazars veröffentlichter Arbeit (Lazar et al. 2005), die strukturelle Veränderungen aufzeigt, sollte uns bewusst sein, dass dieser Befund nur durch signifikantes Wachstum von Nervengewebe im Gehirn zustande gekommen sein kann. Sollte dies das Resultat von Erfahrung sein, dann könnte es sein, dass die Neuroplastizität im Zentrum jenes Befunds stünde: Ein wiederholtes Feuern von Neuronen in spezifischen Arealen würde zu einer deutlich erhöhten Synapsendichte in jenen Regionen führen, die durch die Achtsamkeitspraxis aktiviert werden. Das Wachstum von unterstützenden Zellen und Blutgefäßen könnte sowohl zum Funktionieren dieser Bereiche als auch zu der größeren Dicke beitragen. Das achtsame Gewahrsein ist somit eine Form der Erfahrung, welche die Neuroplastizität zu fördern scheint.

      Wenn wir unsere Aufmerksamkeit in spezifischer Weise fokussieren, dann aktivieren wir die Schaltkreise im Gehirn. Diese Aktivierung kann die synaptischen Verbindungen in den betreffenden Bereichen stärken. Wenn unsere Hypothese lautet, dass Achtsamkeit als eine Form der Beziehung zu sich selbst nicht nur aufmerksamkeitsbezogene Schaltungen, sondern auch soziale Schaltkreise beinhaltet, dann bedeutet dies, dass wir neue Dimensionen unserer achtsamen Erfahrung im Gehirn erforschen oder, mit anderen Worten, nach „neuronalen Korrelaten“ derselben suchen können (für Rezensionen der sozialen Neurowissenschaft siehe Cozolino 2006 und Goleman 2006).

      Bei der Untersuchung von Veränderungen im Gehirn als Reaktion auf Erfahrungen können wir auf Daten aus funktionellen Bildgebungsverfahren (wie der fMRI, der funktionellen Magnetresonanztomografie) oder elektronischen Überwachungsgeräten (wie EEGs und ähnlichen Testverfahren) zurückgreifen. Dabei sollten wir nicht nur auf die physische Struktur

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