Wunschleben. Vera Nentwich

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Wunschleben - Vera Nentwich

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ruft sie.

      Anja steht erleichtert auf.

      »Danke für den Kaffee«, haucht sie beim Hinausgehen.

      »War schön Sie kennenzulernen«, erwidert Bettina. »Kommen Sie doch mal wieder auf einen Kaffee vorbei. Jonas und ich freuen uns immer über Besuch.«

      Anja versucht sich an einem Lächeln, ist sich aber nicht sicher, ob ihr dieses gelungen ist, als sie die Wohnungstür hinter sich schließt.

      Der Mitarbeiter vom Schlüsseldienst ist ein junger Mann, türkischer Herkunft, der schwungvoll die Treppe hinauf stürmt.

      »Hallo, um welche Tür geht es?«

      Anja zeigt auf ihre Wohnungstür.

      »Ich brauche aber vorher Ihren Ausweis. Könnte ja sonst jeder kommen.«

      Während Anja ihren Ausweis aus der Tasche fischt, beobachtet er sie genau. Das Foto auf dem Ausweis, den Anja ihm reicht, sieht merkwürdig aus, findet sie. Anja sieht immer nur einen Mann mit Perücke, wenn sie es betrachtet, und wenn man es genau nimmt, ist es das auch.

      »Okay, dann wollen wir mal«, sagt der Mann, als er den Ausweis zurückgibt und sich der Tür zuwendet. Er holt ein einfaches gebogenes Stück Blech aus seinem Arbeitskoffer, schiebt es in den Spalt zwischen Tür und Rahmen, schlägt einmal mit einem Gummihammer auf das Endstück des Blechs, und schon ist die Sache erledigt. Die Tür lässt sich viel zu leicht ohne Schlüssel öffnen.

      Der junge Mann holt einen Quittungsblock aus der Tasche.

      »Das macht 115 €.«

      »Wow, das ist aber ein hoher Stundenlohn«, kann sich Anja nicht verkneifen.

      Der Schlüsselmann reagiert gereizt. »Das ist noch günstig! Rufen sie doch mal die anderen Dienste im Telefonbuch an. Das sind die Abzocker. Ich muss schließlich hier anfahren, habe die Kosten für die Werbung und die Ausbildung.«

      »Nun beruhigen Sie sich doch!« Anja muss ihre Stimme anheben, damit er sie überhaupt wahrnimmt. »Ist doch gut!«

      Der Mann mustert sie von oben bis unten, während sie das Geld abzählt. Anja nimmt jeden seiner Blicke wahr. Das Herz pocht ihr bis zum Hals. Sie gibt ihm das Geld. Er nimmt es, reicht ihr die Quittung und lässt sie nicht aus den Augen.

      »Was bist du? Ne Tunte?«

      Anjas Herz stockt.

      »Nein«, murmelt sie, packt die Einkaufstasche und verschwindet schnell in ihrer Wohnung. Hier steht sie nun, mit pochendem Herzen, und versucht, ihren Atem zu beruhigen. Erst als ihr dies gelingt, schaut sie durch den Türspion. Der Mann ist weg.

      Fast schon mechanisch bringt sie die Einkäufe in die Küche. Beim Auspacken fällt ihr ein, dass der Käse und der Joghurt noch bei der Nachbarin im Kühlschrank stehen. Und ihr Mantel ist auch noch dort. Ihre Augen werden feucht, Tränen bahnen sich ihren Weg. Sie schafft es noch gerade bis zu ihrer Couch, bis sie aus ihr herausbrechen. Die Tränen strömen. Der Magen verkrampft sich, als wolle er einen mächtigen Tumor herauspressen. Wann wird sie je eine Frau sein? Sie will schreien und kann es nicht.

      II

      Schwarze Augen starren sie an. Sie kann nicht erkennen, wer es ist. Alles ist verschwommen. Und dieses Geräusch lenkt sie ab. Es wird immer lauter. Drohender. Drängt sich in den Vordergrund und die schwarzen Augen verschwinden im Nebel. Ganz langsam realisiert sie, dass dieses Geräusch ihr Wecker ist. Sie öffnet die Augen und schaut auf eine weiße Schlafzimmerwand. Mit einer kurzen Bewegung bringt sie den Wecker zum Schweigen und versucht, sich zu orientieren.

      Sie war irgendwann in der Nacht auf ihrer Couch aufgewacht. Ihre Augen hatten sich verklebt angefühlt und im Bad hatte sie eine Fratze aus roten Augen und quer über das ganze Gesicht verwischtem Mascara erwartet. Sie hatte sich ordentlich abgeschminkt, wie sie das jeden Abend machte, und war ins Bett gegangen, um in einen unruhigen Schlaf mit wirren Träumen zu fallen. Erinnern konnte Anja sich aber selten an sie. Sie hätte gerne gewusst, was ihr die Träume über sie und ihr Leben verraten. Sie hatte sogar schon mal einen Block und einen Stift auf den Nachttisch gelegt, um sich schnell Notizen machen zu können. Aber es hatte nie etwas genutzt.

      Sie schaut auf die Uhr. Schon kurz vor acht. Sie ist spät dran. Einige ihrer Kunden rufen gerne früh an. Sie wissen, dass Anja von zuhause aus arbeitet und eigentlich immer da ist. Glücklicherweise kann sie so auch im Morgenmantel ans Telefon gehen und den Eindruck der Geschäftigkeit erwecken.

      Sie steht auf, geht ins Bad und beginnt ihr morgendliches Programm. Der erste Schritt führt sie immer auf die Waage. Ein Blick auf die Zahlen auf dem Display. Kein Zuwachs. Sie ist zufrieden. Dann dreht sie die Dusche auf, legt das Handtuch bereit und steigt in die Kabine. Das warme Wasser tut gut. Minutenlang steht sie nur so da und lässt das Wasser am Körper hinunterlaufen. Erst dann greift sie zum Duschgel und seift sich langsam ein. Sie mag es, ihre weiche Haut zu spüren. Vorsichtig streicht sie über ihre Brüste. Nachgiebig und zart fühlen sie sich an. Sie könnten sogar etwas gewachsen sein. Ein wohliges Gefühl steigt in ihr auf. Vielleicht ist es sogar den Bruchteil einer Sekunde lang eine Art Glücksgefühl. Sie hat Brüste.

      Schöne Brüste. Ja, das ist Glück. Sie streicht an ihrem Körper weiter hinunter und erreicht die Stelle, wo ihren Wünschen nach ein dichtes Dreieck aus Haaren sein sollte. Doch bei ihr sprießen nur vereinzelt ein paar Härchen, die darüber hinaus auch noch recht hell und somit fast nicht zu sehen sind. Die Operationsnarbe ist kaum noch zu fühlen. Beherzt duscht sie die Seife ab, stellt das Wasser aus und greift zum Handtuch.

      Vor dem Badezimmerspiegel überprüft sie ihr Gesicht. Es ist nicht sehr kantig. Glücklicherweise hat sie keinen erkennbaren Adamsapfel. Sie streicht über die Wangen und spürt die Bartstoppeln. Fast drei Jahre Epilation konnten den Bartwuchs nicht vollends stoppen, und so hat sie sich damit abgefunden, sich doch mehr oder weniger regelmäßig rasieren zu müssen. Aber auch diese Härchen sind hell, sodass sie nicht auffallen. Ein Vorteil, wenn man blond ist. Straßenköterblond hat ihre Mutter immer gesagt. Irgendwie eine undefinierbare Farbe. Eigentlich gar keine Farbe. Sie trägt ihr Haar zu einem kurzen Bob geschnitten. Vorsichtig darauf bedacht, dass die Geheimratsecken verborgen bleiben. Es ist noch nicht so lange her, da trug sie jeden Tag eine Perücke. Irgendwann hatte sie sich getraut, war in einen Friseursalon gegangen und hatte gefragt, ob man nicht etwas aus ihrem Haar machen könne. Die Friseurin war sehr nett gewesen und hatte sich gleich ans Werk gemacht. Als Anja sich dann zum ersten Mal mit eigenen frisierten Haaren im Spiegel gesehen hatte, war es, als ob sie zu neuem Leben erwacht sei. Und niemand hatte unangenehme Fragen gestellt oder gar hinter ihrem Rücken getuschelt. Seitdem ist sie Stammkundin in diesem Salon.

      Das Make-up geht ihr leicht von der Hand. Da hat sie schließlich schon jahrelange Übung. Schon als Jugendliche hatte sie sich heimlich geschminkt und später gab es ihre geheimen Exkursionen. Kurze Ausbrüche aus dem Leben als Mann, in denen sie sich schminkte, Frauenkleider anzog und nachts durch einsame Straßen ging.

      Anja lächelt beim Gedanken, dass diese Zeit endlich vorüber war, und verteilt sorgfältig die Grundierung auf das Gesicht. Nicht, dass sie besonders viele Unebenheiten kaschieren müsste. Ihre Haut ist eben und feinporig. Die Augen werden gekonnt mit unterschiedlichen Lidschattentönen akzentuiert und die Wimpern mit Mascara hervorgehoben. Sie betrachtet das Werk im Spiegel und ist zufrieden. Ihr nächster Schritt führt sie zum Kleiderschrank. Sie greift zur Jeans und dem flauschigen Pullover. Beides würde sie draußen nie anziehen. Sieht viel zu männlich aus. Aber heute ist es egal. Heute will sie auf gar keinen Fall aus dem Haus gehen.

      Jetzt

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