Alles auf den Kopf stellen - neue Wurzeln schlagen. Anton Rotzetter

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Alles auf den Kopf stellen - neue Wurzeln schlagen - Anton Rotzetter Franziskanische Akzente

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dass das Durchsetzen des eigenen Willens und der eigenen Vorstellungen der falsche Weg ist. Die Frage, die sich bei allem stellen muss, lautet: Sind wir bereit zu lernen und uns für Neues zu öffnen? Ja sogar einen Paradigmenwechsel zu vollziehen, wie auch der Papst fordert (vgl. * 53, 111 f., 163, 189, 203–208)? Oder ist der eigene, egoistische Wille das Maß aller Dinge? Könnte es vielleicht sein, dass gerade dieser fix und fest stehende Wille die schrecklichen Ergebnisse zeitigt, die wir heute zu beklagen haben? Dass die eigene Vorstellungskraft dermaßen enggeführt ist, dass sie das Leben in seiner Entfaltung hindert und letztlich sogar wider Willen in ein allmähliches Sterben mündet? Zwar ist der blinde Gehorsam, das Ausschalten des Denkens, die kritiklose Übernahme des Verhaltens anderer sicher auch nicht die Lösung. Aber verweist das Wort „Ge-Hor-sam“ (= hörende Verwiesenheit, an-ge-hören) nicht in viel tiefere Dimensionen hinein, vielleicht sogar in das alles umfassende Geheimnis des Lebens selbst? Bei solchen Fragen gerät die für jeden Verstand unsinnige, ja letztlich dumme Prüfung des Franziskus in den Sog einer viel größeren und umfassenderen Fragestellung.

      Der buddhistische Philosoph Yudo J. Seggelke deutet diese Geschichte als Kôan, als geistliche Lehrgeschichte, die wie ein unsinniges Rätsel daherkommt und als Paradox, als unauflösbarer Widerspruch, empfunden werden muss, aber gerade so zum Nachdenken und zu einem neuen Verhalten provoziert: „Ein fundamentaler Paradigmenwechsel muss die Lösung bringen … Für ein spirituelles Leben ist es notwendig, neue Wurzeln zu entwickeln, die über das materiell Erdgebundene hinausgehen. Oft ist es sogar erforderlich, dass die materiellen Wurzeln, die uns an Dinge wie Besitz und Eigentum fesseln, zuerst vertrocknen müssen, damit sich die Wurzeln der Spiritualität, des Himmels, die neues Leben bringen, überhaupt entwickeln können.“4

      Wie gesagt: Der eine begreift, der andere nicht. Franziskus belegt allerdings den, der nicht begreift, nicht mit negativen Urteilen, im Gegenteil. Er nennt ihn Sohn und Bruder, grenzt sich also in keiner Weise von ihm ab. Auch er gehört letztlich zur Familie Gottes, auch wenn er konkret nicht zum gleichen Weg berufen ist. Er nennt ihn sogar „großer Magister“, gibt ihm also einen Titel, der in der damaligen Zeit höchste wissenschaftliche und weisheitliche Kompetenz zum Ausdruck bringt. Auch von ihm kann man auf der Linie des linearen Denkens gute Ergebnisse erwarten: Philosophen und Naturwissenschaftler können, wenn sie für neue Erkenntnisse offen sind, einen Beitrag für ein besseres Verstehen der Schöpfung leisten. Beziehungen sollen also nicht abgebrochen werden, ein Gespräch ist bleibend notwendig.

      Der andere Bruder begreift, worum es im Orden des Franziskus geht. Anders und anderes denken muss jemand, der ihm folgt. Es geht um eine höhere und tiefere Dimension, die in Gott wurzelt, um eine Perspektive, welche in allen materiellen Fragen das Leben selbst und den Ursprung des Lebens zur Geltung bringen will. Die großen Probleme der Menschheit und der Schöpfung lassen sich nicht rein ökonomisch, naturwissenschaftlich oder technisch lösen. Man muss eine bloß innerweltliche Betrachtungsweise übersteigen, um auch ökonomisch und biologisch weiterzukommen. Franziskus hat in seinem Leben gezeigt, in welche Tiefen man vordringen kann, wenn man alternativ denkt und lebt. Man muss das Gewohnte aufgeben, um neue lebensstiftende Gewohnheiten zu schaffen.

      Der genannte und geforderte Paradigmenwechsel muss auf alles und jedes angewendet werden. An sich ist „Schöpfung“ ja ein religiöser Begriff. Er setzt ein göttliches Wesen voraus, welches das, was wir profan „Welt“ nennen, aus seinem Innersten heraus freisetzt und dies voraussetzungslos und letztlich aus Gründen, die uns verborgen bleiben. Alles Erschaffene wurzelt in der Tiefe des göttlichen Geheimnisses. Wenn wir wirklich begreifen wollen, was Spiritualität der Schöpfung meint, dann muss man alles auf den Kopf stellen und alles von Gott her und auf ihn hin denken.

      So müssen wir uns fragen, ob die Begriffe, mit denen man „Schöpfung“ zu begreifen sucht, wirklich genügen. Ein solcher ist „Seele“. Ist er wirklich hilfreich? Stellt er wirklich alles auf den Kopf? Dringt er wirklich tief genug in das Geheimnis der Schöpfung ein?

      „Seele“ versteht sich in der griechischen Tradition als Instanz, welche dem Leib gegenübersteht. Sie existiert vor ihm, also vor der Empfängnis, nach ihm, das heißt nach dem Tod, und belebt ihn während der ganzen Zeit seines Daseins. Sie ist also ewig, der Leib aber vergänglich.

      Ein solcher Seelenbegriffist heute umstritten und obsolet geworden. In Psychologie und Neurowissenschaft arbeitet man kaum mehr mit ihm, weil er untauglich geworden und ohnehin ein Konstrukt einer überholten Philosophie sei. Was wir Seele nennen, sei nicht außerhalb des Materiellen bzw. Leiblichen angesiedelt. Wo er noch gebraucht wird, ist er zudem oft nebulös, nichtssagend und darum bedeutungslos: „Geld ist für uns nicht alles, die Manufaktur hat ihre Seele bewahrt, was heutzutage an ein Wunder grenzt“, sagt der Chef eines Schweizer Uhrenunternehmens. Der Begriff hat, wenn man die hebräische Sprache als Grundlage nimmt, auch keine biblische Tradition. Wo wir mit „Seele“ übersetzen, spricht diese von „Kehle“, von einem leiblichen Organ also. Die Seele stirbt mit dem Leib – außer Gott ruft den leibhaftigen Menschen in seine Lebensfülle.

      Damit wird auch der Begriff „Allbeseeltheit“ fragwürdig. Analog zur Menschenseele gäbe es eine Seele, die der Welt gegenübersteht und diese von außen her belebt und bewegt. In dieser Seele walte eine jenseitige Vernunft, die allem einen Sinn gibt. Ein solches Denken geht auf den Philosophen Platon (428–348 v. Chr.) zurück. Aristoteles (384–322 v. Chr.) lehnt diese Konzeption des Kosmos ab, auch fand sie im Judentum und im Christentum, außer in einigen mystischen Traktaten, keine große Anhängerschaft.

      In neuerer Zeit wurde der Begriff von Fr. W. J. Schelling (1775–1812) zum Titel eines Buches. Er deutete ihn aber eher als Metapher denn als Wirklichkeit. J. W. Goethe (1749–1832) sprach sie in seinem Gedicht „Eins und Alles“ betend an: „Weltseele, komm, uns zu durchdringen“ und in einem anderen sagt er, dass „jedes Stäubchen lebt“. In der Romantik (Novalis: 1772–1801, Fr. Schlegel: 1772–1829) wird daraus ein Kernbegriff. Auch in der Theologie des 20. Jahrhunderts wird er aufgegriffen und in seiner Bedeutung für die ökologischen Fragestellungen herausgestellt. Zu den bekanntesten Theologen, die sich im deutschen Sprachraum diesbezüglich einen Namen gemacht haben, zählt H. R. Schlette (geb. 1931). In den letzten Jahrzehnten entstand die „Gaia-Theorie“, welche den Kosmos als lebendigen Organismus, als einheitliches Subjekt begreift und die L. Boff (geb. 1938) ins Zentrum seiner ökologischen Spiritualität stellt. Auch hier geht es um eine dem Ganzen innewohnende und zusammenbindende „Realität“, aber mehr noch um eine Personifizierung der Erde (griechisch: „Gaia“ = die Göttin Erde als Urmutter).

      Zu den Theorien, welchen ökologische Bedeutung zukommt, gehören auch „die morphischen Felder“, welche der Biologe Rupert Sheldrake (geb. 1942) in die Wirklichkeit der Welt eingeschrieben sieht. Demnach würden Kraftfelder über einzelne Wesen hinausgehende Einheiten begründen und als lebendige Wesen zusammenbinden. Auch Ken Wilbers (geb. 1949) „Holismus“ hat weiten Applaus gefunden, eine Auffassung, wonach die Welt nicht genügend erklärt wird, wenn man sie bloß als Zusammensetzung ihrer Teile betrachtet. Die Welt sei vielmehr durch ein geheimnisvolles Ineinander von Ganzheiten (griechisch = „Holon“) zu begreifen.

      Nun fragt sich natürlich, ob diese – zum Teil esoterischen – Theorien dem entsprechen, was von einer Schöpfungsspiritualität, die letztlich in Gott wurzelt, erwartet werden muss. Dass sie zu einer größeren Achtung der Schöpfung führen, kann nicht übersehen werden. Aber sie können den Dualismus von Materie und Geist nicht überwinden. Sie bleiben bei einer grundsätzlichen Zweiteilung der Schöpfung: hier das Vergängliche, Sterbliche, der Leib und dort das Geistige, Ewige, die Seele. Das Schicksal und das Geheimnis der Materie bleiben letztlich außen vor. Alles stirbt, zerfällt, ver-west, erlischt, versinkt schließlich im Nichts. Man hat immer noch zu wenig begriffen, dass die Wurzeln nach oben zu weisen haben.

      Aber auch die sture Einstellung, welche gegen jede religiös begriffene Natur

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