Alles auf den Kopf stellen - neue Wurzeln schlagen. Anton Rotzetter
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Diese kritische Glosse ist ernst zu nehmen. Wir leben nicht im Paradies, in dem alles heil ist und in dem es weder Grausamkeit noch Gewalt noch Leiden und Tod gibt. Die christliche Theologie hat immer schon von einer „gefallenen Natur“ gesprochen, von einer Schöpfung, die als Ganzes aus dem ursprünglichen Zustand der Gnade herausgefallen ist. Selbst die wunderschönsten Sonnenuntergänge entstehen durch Spiegelungen in der verschmutzten Luft. Wuchernde Krebszellen lassen sich – fotografiert – wunderschön anschauen. Nein, wir leben nicht in der heilen Natur. Diese bleibt Sehnsucht, Traum, Hoffnung. Hugo Stamm aber irrt, wenn er die Katastrophen allein der Natur zuordnet und den menschlichen Anteil an ihnen ausblendet.
Sosehr Esoterikern oft ein Realitätsverlust vorzuwerfen ist, auch Hugo Stamm erleidet ihn, wenn er nicht erkennt, wie sehr der Mensch die Natur verändert und verfälscht. Ihm ist entgegenzuhalten, dass ein anderes Denken notwendig ist, das über Wissenschaft und Technik hinausgeht. Eine spirituelle Betrachtung der Natur oder, wie man als Glaubender sagt, der Schöpfung ist ein Postulat der Erkenntnis, dass eine bloß wissenschaftliche und technische „Handhabung“ der Natur in einer planetarischen Katastrophe mündet. Dabei ist demütig anzuerkennen, dass uns die Schöpfung als eine zerrissene erscheint. Was wir als übel oder böse erleben, kann letztlich auch der Gläubige nicht erklären.
• Gott, der mich und das All erfüllt
Der Titel des Goethegedichtes schließt übrigens an eine Welterklärungsformel an, die in der griechischen Antike formuliert wurde: „Hen kai pan – Eines und alles“. Der bekannte Ägyptologe Jan Assman (geb. 1938) hat daraus die Folgerung gezogen, dass der Polytheismus als Kosmotheismus zu verstehen sei. Das heißt: Alles ist göttlich; gleichzeitig ist das All eine in sich bestehende, göttlich durchwirkte Einheit. Die Vielfalt ist letztlich Ausdruck des einen Göttlichen. Sosehr aber diese Alleinheit sich als Allvielheit zu erkennen gibt, so wenig kann darin eine schlüssige Schöpfungsspiritualität erschlossen werden.
Franz von Assisi hat, meine ich, auf kühne Weise diese Welterklärungsformel trinitarisch umgedeutet: „Deus meus et omnia – Gott, der mich und das ganze Weltall erfüllt.“ „Gott – ich – das All“, diese drei „Instanzen“ lassen den Dualismus hinter sich und beschreiben die Wirklichkeit als lebendiges dreipoliges Netz (vgl. * 238–240). Da ist der alles übersteigende Gott, der sich in das Einzelne und in das All begibt, ohne sich darin aufzulösen, ein stets hin und her fließendes Geheimnis, ein andauerndes Kommunikationsgeschehen, das jedem und jeder Einzelnen und dem Ganzen innewohnt und dennoch nicht darin aufgeht. In diesem Gebet ist eigentlich alles enthalten, was in diesem Buch entfaltet werden soll. Es will alles auf den Kopf stellen. Es soll zeigen, wie Franziskus die Schöpfung im Geheimnis Gottes verwurzelt sieht.
• Die andere Wirklichkeit
Bereits die ersten Seiten der Bibel stellen alles auf den Kopf. Denn sie sind in der Fremde geschrieben, in der grausamen Wirklichkeit der Entfremdung vom heimischen Boden und in den Erfahrungen von Gewalt, Ausbeutung und Not. Da spricht ein Prophet von den anderen Möglichkeiten des Menschen, er beschreibt die Vision einer Welt, die ganz von Gott durchdrungen ist und darum weder Gewalt noch Tod kennt, sondern nur Freiheit, Würde, Frieden und Gerechtigkeit. Diese Vision stellt die zu wählende Alternative zur real erfahrenen Welt dar. Sie ist gleichzeitig Tiefenerfahrung und ethischer Auftrag. Diese Anfangsgeschichten sind in Tat und Wahrheit Gedichte, poetische Fiktionen, aus denen Hoffnung für die Welt entstehen soll. Sie wollen der Wüste und der Leere rein innerweltlicher Erfahrungen und Deutungen die Schönheit der religiös begriffenen Alternative entgegenhalten. Dem Glaubenden wird so sogar eine unersetzbare Verantwortung im Ganzen der Schöpfung übertragen: Er ist „Ebenbild Gottes“. Damit soll aber auch gesagt werden, dass Schöpfung keinen ein für alle Mal gegebenen Zustand des Seins, sondern einen stets aktuellen und andauernden Prozess des Werdens meint. Und der Mensch, Mann und Frau, soll sich als Mitschöpfer/-in verstehen lernen. Eine solche Auffassung steht mit der naturwissenschaftlichen Theorie der Evolution im Einklang. Der Mensch ist freilich nicht nur Ergebnis der Evolution, sondern auch deren Gestalter, mehr noch als jeder andere Organismus.
Ähnlich ist auch der Sonnengesang des Franz von Assisi nicht ein getreues Abbild der Wirklichkeit, sondern der poetische Gegenentwurf dazu: die in und durch Gott versöhnte Welt, für die es zu werben gilt. Da lässt sich eine rein pragmatische und ökologische Sichtweise nicht von der Gottverbundenheit und Christusnachfolge trennen. Beides findet zusammen und beschreibt recht eigentlich eine faszinierende Vision unserer Schöpfung.
Eins und Alles
Im Grenzenlosen sich zu finden,
Wird gern der einzelne verschwinden,
Da löst sich aller Überdruss;
Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,
Statt lästgem Fordern, strengem Sollen,
Sich aufzugeben ist Genuss.
Weltseele, komm, uns zu durchdringen!
Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen,
Wird unsrer Kräfte Hochberuf.
Teilnehmend führen gute Geister,
Gelinde leitend höchste Meister
Zu dem, der alles schafft und schuf.
Und umzuschaffen das Geschaffne,
Damit sich’s nicht zum Starren waffne,
Wirkt ewiges, lebendiges Tun.
Und was nicht war, nun will es werden
Zu reinen Sonnen, farbigen Erden;
In keinem Falle darf es ruhn.
Es soll sich regen, schaffend handeln,
Erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar steht’s Momente still.
Das Ewige regt sich fort in allen:
Denn alles muss in Nichts zerfallen,
Wenn