Es war eine berühmte Stadt .... Christian Klein

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Es war eine berühmte Stadt ... - Christian Klein Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz 2013

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durch diese Nachricht der „Passio Albani“ sind eine Reihe von Gedenkbucheinträgen Mainzer Klöster: So wird eine von Dagoberts Schwiegertöchtern als angebliche zweite Äbtissin des Altmünsters genannt, während ein anderer Eintrag des „Heiligen“ Dagoberts, des Erbauers der Stadt Mainz, gedachte und Dagobert I. in diesem Falle offenbar mit dem heilig gesprochenen Dagobert II. (gest. 679) verwechselte.42 Noch aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts stammt der Eintrag in einem Mainzer Martyrologium, wonach man am 19. Januar jeden Jahres des Königs Dagobert, des Wohltäters der Mainzer Kirche, gedachte. Indizien für eine echte oder gefälschte Schenkungsurkunde des Königs zugunsten des Domes oder Erzstifts, auf die sich dieser Eintrag beziehen könnte, gibt es jedoch nicht.43 Engere Verbindungen des Merowingers nach Mainz zeigen lediglich zwei gefälschte Urkunden für das Bistum Worms bzw. für das Kloster St. Maximin in Trier, deren Ausstellung im Jahre 628 bzw. 634 in Dagoberts Königspfalz in Mainz erfolgt sein sollte.44 Bevor diese Urkunden im 19. Jahrhundert endgültig als Fälschung erkannt wurden, waren sie zusammen mit dem Kapitel der Passio der Ausgangspunkt von Historikern und Archäologen für die Suche nach einer Königspfalz der Merowinger in Mainz. Bis heute konnten jedoch keine archäologischen oder andere Belege dafür gefunden werden.45 Nachweislich hat sich Dagobert dagegen nur ein einziges Mal, auf der Durchreise zu einem Kriegszug gegen die Wenden, wohl im Jahr 630/31 in Mainz aufgehalten.46

      Dass gerade Dagobert I. in der Geschichtsschreibung seit dem 11. Jahrhundert zum Erbauer des zweiten Mainz wurde, hat also keine Gründe, die in der tatsächlichen Mainzer Geschichte oder in einer besonderen Verbundenheit dieses Königs mit Mainz liegen. Ausgangspunkt war vielmehr der damals bereits lebhafte Kult um König Dagobert im Kloster St. Denis bei Paris, der Grablege der Merowinger und der Karolinger sowie der späteren französischen Könige. Diese Dagobert-Verehrung strahlte auch in die benachbarten Regionen des römisch-deutschen Reiches aus, so besonders in das Elsass, nach Trier und seit Gozwin auch nach Mainz.47 Der Grund für das Aufgreifen des Dagobert-Kults durch den Domscholaster lag offensichtlich in der um die Mitte des 11. Jahrhunderts aktuellen Konkurrenzsituation der Mainzer Kirche mit den Erzdiözesen Köln und Trier, in der Mainz ins Hintertreffen zu geraten drohte. Denn erstere machte dem Mainzer Erzbischof seit 1028 mit Erfolg das Recht zur Krönung der römisch-deutschen Könige streitig. Der Trierer Erzbischof andererseits hatte 1049 vom Papst die Bestätigung des Primats in allen gallischen und germanischen Landen erhalten – ein weiterer schwerer Schlag für die Mainzer Kirche, die seit den Zeiten des Bonifatius diese Würde in „Germanien“ für sich behauptete. Und da man sich auch in Trier auf König Dagobert als einen wichtigen Förderer und Stifter bezog,48 suchte Gozwin mit seiner Dagobert-Legende für die Mainzer Kirche gleichzuziehen und den Wiederaufstieg zur kirchlichen Metropole bereits mit diesem fränkischen Herrscher einsetzen zu lassen,49 ein Verfahren, das im Mittelalter in Konkurrenzsituationen zwischen kirchlichen Institutionen durchaus üblich war. Dass die Mainzer Legende von Dagobert als Wiederbegründer der Stadt auch über Mainz hinaus drang, zeigt eine entsprechende Notiz in den Speyerer Annalen von 1280.50

      Der nächste Mainzer Beleg stammt vom Anfang des 14. Jahrhunderts und macht deutlich, dass die Dagobert-Tradition dort inzwischen über den Kreis der gelehrten Kleriker hinausgedrungen war. Denn in einer lateinischen Pachtvertragsurkunde von 1319 wurde zur Lokalisierung der Häuser, die Gegenstand des Rechtsgeschäfts waren, die offenbar allgemein bekannte volkssprachliche Ortsangabe Dagobertis wyghus hinzugefügt.51 Die betreffende Häusergruppe lag dem Urkundentext zufolge an der damaligen Stockergasse, die im Bereich des heutigen Hopfengartens zu verorten ist. Nach eindringlicher Analyse des Zeugnisses in Verbindung mit frühneuzeitlichen Stadtplänen hat Franz J. Felten dafür plädiert, dass es sich bei Dagobertis wyghus im 14. Jahrhundert um aufragende Reste römischer Befestigungsanlagen gehandelt haben dürfte, die in Höhe der erwähnten Häusergruppe außerhalb der Stadtmauer lagen.52 Die Übereinstimmung des Ausdrucks in der Urkunde von 1319 mit der Bezeichnung der angeblichen Burg Dagoberts in der eingangs zitierten Erzählung verweist auf eine beiden Zeugnissen zugrundeliegende Mainzer Traditionsbildung um Dagobert und seine angebliche Burg im 14. und 15. Jahrhundert. Auch die Bezeichnung eines nahe gelegenen Hauses „Zur alten Burg“53 dürfte auf dieselben Mauerreste verweisen. Später könnte die Dagobert-Tradition mit dem sogenannten Königsturm verbunden worden sein, einem Teil der Stadtmauer unterhalb des Jakobsbergs.54

       III. Die Aktualität der Dagobert-Legende im 15 .Jahrhundert in der Auseinandersetzung zwischen Stadt und Erzbischof

      Abgesehen von der Suche nach der Burg des Königs Dagobert im Mainzer Stadtbild spielte im Spätmittelalter auch die angebliche Rolle des Königs zugunsten der Stadt bzw. der Mainzer Kirche bei den politischen Akteuren vor Ort weiterhin eine Rolle. So wurde im 15. Jahrhundert in einem Register des Mainzer Erzstifts behauptet, dieses habe früher eine Urkunde König Dagoberts besessen, die vor 1365 im erzbischöflichen Archiv von Eltville verbrannt sei.55 Der Text der Urkunde Karls IV. vom 29. Dezember 136556, auf die sich der Schreiber mit dem Hinweis bezog, es sei hier um das Geleit im Rheingau gegangen, ist bis heute nachweisbar, erwähnt allerdings König Dagobert mit keinem Wort, sondern spricht nur allgemein von privilegia und brieffe die sie [d.h. die Erzbischöfe von Mainz] von uns [also von Karl IV.] und unsern forfarn an dem riche romischen keysern und konigen hatten und die in der Burg Eltville verbrannt seien. Diese Bemerkung in der Urkunde Karls IV. über den Verlust einer Reihe von Königs- und Kaiserurkunden veranlasste den erzbischöflichen Schreiber des 15. Jahrhunderts, in diesem Zusammenhang auch den Verlust einer Dagobert-Urkunde für Mainz zu behaupten. Doch war dies eine reine Spekulation, veranlasst dadurch, dass man seitens der Führung des Mainzer Erzstifts offenbar damals daran glaubte oder jedenfalls daran glauben wollte, früher eine solche Urkunde besessen zu haben. Der Hinweis auf den Archivbrand in der Kaiserurkunde des 14. Jahrhunderts bot einen Ansatzpunkt, um zu erklären, warum diese Urkunde nicht wirklich vorzuweisen war.

      Diese Fiktion einer verlorenen Dagobert-Urkunde seitens des Mainzer Erzbischofs und seiner Verwaltung stammt sehr wahrscheinlich aus dem Zusammenhang eines intensiv geführten Rechtsstreits zwischen Dietrich von Erbach mit dem Rat der Stadt Mainz in den Jahren 1443/44. Denn im November 1443 behauptete die erzbischöfliche Partei über das wechselseitige Rechtsverhältnis und die Pflichten der Stadt, Dagobert habe nach dem Wiederaufbau die Stadt „um seiner Seligkeit willen als ein ‚Seelgeräthe‘ dem Erzbischof übergeben“. Daher seien die Bürger dem Bischof seit jeher dienst- und steuerpflichtig gewesen. Erst später hätten die Mainzer in frevelhafter Weise Erzbischof Dietrichs Vorgängern Privilegien abgerungen und erwiesen sich nun ihm gegenüber als ausgesprochen ungehorsam. Eine Dagobert-Urkunde oder wenigstens die Bestätigung einer solchen durch Karl IV. legte die erzbischöfliche Seite jedoch nicht vor. Im Dezember 1443 antworteten Bürgermeister und Rat, seit langem hätten sie die Freiheitsrechte der Stadt ohne Widerspruch der Erzbischöfe nutzen können – mit Ausnahme allein etlicher Gewohnheiten hinsichtlich der Mainzer Gerichte und der städtischen Ämter. In einer weiteren Stellungnahme beharrten Bürgermeister und Rat darauf, dass Mainz seit vielen hundert Jahren, ja sogar schon vor König Dagoberts Zeiten57 eine „gefreite, freie Stadt“ gewesen sei. Sie wollten Dietrich von Erbach daher nicht als Haupt und Obrigkeit, sondern lediglich als Mainzer Erzbischof anerkennen58.

      Beide Seiten nutzten in dieser Auseinandersetzung Hinweise auf die Dagobert-Legende als historisches Argument in ihrem aktuellen Rechtsstreit um den Status der Stadt – die erzstiftische Seite allerdings deutlicher als die Stadt, die ihre Freiheit ausdrücklich noch vor die Zeit des Wiederaufbaus durch Dagobert zurückdatierte. Bei der Definition jener wenigen, eng begrenzten Rechte, die Dagobert oder ein Nachfolger an die Erzbischöfe weitergegeben habe, stimmen die einschlägigen Abschnitte der Geschichte vom „Ursprung der Stadt Mainz“ in hohem Maße mit der Argumentation der Stadt im damaligen Rechtsstreit überein. Denn dass der Erzbischof über die Mainzer Gerichte verfügen konnte, gestanden auch die Verfasser der städtischen Stellungnahme von 1443 jenem ausdrücklich zu.59 Im Übrigen sei die Stadt jedoch dem Erzbischof in keiner Weise verbunden oder unterworfen. Der Hinweis der städtischen Seite auf die Freiheit der Stadt auch von königlicher Herrschaft stimmt ebenfalls

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