Es war eine berühmte Stadt .... Christian Klein

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Es war eine berühmte Stadt ... - Christian Klein страница 4

Es war eine berühmte Stadt ... - Christian Klein Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz 2013

Скачать книгу

Geschichtstheologie zufolge dem Begründer der ersten der vier Weltmonarchien vor dem Jüngsten Tag, während dessen Regierungszeit Abraham geboren wurde, – hat der Gründerheros von Trier und erste König in Europa Anteil am providentiellen Gang der Weltgeschichte. Machtgier und Herrschsucht prägen so das pagan-vorzeitliche, ursprüngliche Umfeld Trebetas. Gleichzeitig wird der junge Königssohn durch das für den Trierer Erzählkomplex konstitutive Motiv des Inzestbegehrens seiner Stiefmutter Semiramis, dem Trebeta sich tugendhaft durch die Flucht nach Europa entzieht, von diesem Umfeld abgerückt. Trier erscheint damit bereits in vorchristlicher Zeit als metropolis, und die pagane Frühzeit von Trier steht solchermaßen aus kirchenpolitischer Perspektive programmatisch in Kontrast zu dem glanzvollen Aufstieg des Bischofssitzes in christlicher Zeit.

      Im Gefolge der spätmittelalterlichen Auseinandersetzungen zwischen Erzbischof und Bürgerschaft konnten sich die Akzente allerdings verschieben, im Besonderen durch die Betonung der ersten Komponente – der Bedeutung der Stadt als ältester Siedlung Europas. Auf diese Weise ließ sich die „literarische Ausprägung eines missionshagiographischen Topos: ‚metropolis‘ auch in vorchristlicher Zeit“, wie sie in der Sage vom Ursprung von Trier vorliegt, aus dem „zunächst zugeordneten Zusammenhang“ weitgehend lösen.25 Nicht zufällig fehlt daher auch in der spätmittelalterlichen Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ gerade das in dem Trierer Erzählkomplex so wichtige Inzestmotiv. Wie gesehen, bricht Trebeta/Treverus in ihr nicht als von der Stiefmutter bedrängter Flüchtling – Semiramis wird nicht genannt – zu seiner Seefahrt nach Europa auf, sondern aus Wissbegier. Entsprechend wird dem hohen Alter von Trier und in Verbindung damit der zeitlichen und räumlichen Verknüpfung mit Belus, dem sagenhaften Gründer von Babylon, bzw. mit dessen Sohn Ninus besonderes Gewicht beigemessen. Zugleich wird durch die Einfügung genauer Daten der große Abstand zur späteren Gründung von Rom hervorgehoben.

      In Ansätzen zeichnet sich hier ein bürgerlich-antiepiskopaler Wahrnehmungshorizont ab. In den folgenden Abschnitten des „Ursprungs der Stadt Mainz“ wird er noch deutlicher greifbar, wenn sich der Blick von Trier auf die Treverer-Gründung Mainz wendet, die in das Zentrum rückt: 560 Jahre nach der Erbauung von Trier hätten 12 meister, laut Windeck-Fassung darunter vier Rechtsgelehrte, jene Stadt errichtet, die nů Menz heiße. In der Gheverdis-Fassung erfährt man dagegen in einer Variante, dass man diese zwölf Gelehrten, die aus Trier stammten, damals Magos genannt habe, dan sie waren grosz Astronomj vnd auch magici, vnd waren jn allen Natu rlichen ku nsten gar wol erfaren; der selbigen iglicher hatte xij andere meyster vnder Jme.26 Und auch der weit über Mainz hinausreichende Ruhm dieser meister oder magi, der prinzipiell in beiden Fassungen erwähnt ist, wird in der Gheverdis-Fassung unterstrichen: Die Gründer von Mainz hätten in der fernen, ursprünglichen Heimat des Königs Trebeta vber mer wie auch andernorts verkůnden lassen: Wer da wolte leren Jn Naturlichen, Jn Astronomia, Auch in magica, der solte sich da hin gen meincz fůgen, da fůnde er sollich lere nach synem beger.27

      Mainz wurde der spätmittelalterlichen volkssprachigen Gründungserzählung der Stadt zufolge mithin in der Frühzeit Europas von einer Gruppe von teils rechtskundigen Magiern aus Trier errichtet, von gesellschaftlichen Funktionsträgern, die sich gemäß mittelalterlicher Magietheorie „religiöser Praktiken […] bzw. operativer Eingriffe“28 zur Aktivierung der Kräfte der Natur bedienten und deren Kenntnisse wie in der Gheverdis-Fassung näherhin im Sinne der Naturmetaphysik ausgedeutet werden konnten. Selbst im Orient mit seinem frühen Machtzentrum Babylon sollen die Mainzer magi der Gheverdis-Fassung zufolge Bekanntheit erlangt haben, und bei näherer Betrachtung sind bezeichnende strukturelle Parallelen des „Ursprungs der Stadt Mainz“ zur Gründungssage von Trier festzustellen. Der Trebeta-Sage zufolge verlässt der vom Begründer der ersten Weltmonarchie abstammende Königssohn Trebeta mit seinen Anhängern Babylon, um auf der Flucht vor Semiramis in Europa Neuland zu suchen; er siedelt sich in fruchtbarer Landschaft an der Mosel an und gründet dort die nach ihm benannte Stadt der Treverer, Trier. Analog dazu verlassen die aus Trier und damit aus der erst[en] stat […] in E<u>ropia nach der Sintflut stammenden, gelehrten Gründer von Mainz mit ihren Gefährten Trier und ziehen in die noch unbewohnten Lande aufwärts des Rheins; dort gründen sie die nach ihren Fähigkeiten benannte Stadt Mainz, lateinisch Maguntia, quasi Magicae […] scientia, wie eine explizite entsprechende etymologische Namendeutung lautete.29

      Wie Trier tritt damit auch Mainz bereits in paganer Vorzeit als eine Stadt ersten Ranges in Erscheinung, und durch ihr besonders hervorgehobenes, hohes Alter stellen beide Gründungen Rom weit in den Schatten. Angesichts des politischen Aufstrebens der Mainzer Bürgerschaft im Spätmittelalter erscheint es dabei als bezeichnend, wenn der Ursprung von Mainz hier – anders als die Anfänge von Trier in der aus dem Hochmittelalter datierenden Trebeta-Sage – nicht auf einen Monarchen, sondern auf eine im Kern zwölfköpfige Personengruppe aus der städtischen Oberschicht hergeleitet wird: Seit die patrizischen Geschlechter 1244 von Erzbischof Siegfried III. weitreichende städtische Freiheitsrechte erhalten und einen politisch unabhängigen Stadtrat gebildet hatten, war Mainz de facto Freie Stadt. Damit war ein Anspruch begründet, den es in den folgenden zwei Jahrhunderten bis zum Verlust der Stadtfreiheit (1462) zu bewahren, gegebenenfalls konkret nachzuweisen galt. Die Emanzipation vom bischöflichen Stadtherrn musste verteidigt werden, die Beziehungen zum Königtum waren jeweils im Einzelnen zu gestalten, „und ständig mußten mögliche Neuerungen, die dem eigenen Anspruch abträglich sein konnten, bekämpft werden“.30 Hinzu kamen Konflikte zwischen Geschlechtern und Zünften: 1332 zogen die Zünfte in den Rat ein – ein Ereignis, auf das die fiktive Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ an anderer Stelle unmittelbar anspielt –, 1444 schließlich wurden die Geschlechter völlig aus der städtischen Selbstverwaltungskörperschaft verdrängt.31 Der doppelte Charakter des spätmittelalterlichen Gemeinwesens „Mainz“ als Erzbischofsmetropole und freie Bürgerstadt, das durch ein „kompliziertes und dynamisches Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander“32 der politischen Kräfte mit ihren vielfältigen Verflechtungen nach innen wie nach außen gekennzeichnet war, ist deshalb bezeichnend. Vor diesem Hintergrund kann auch der Prestige- und Machtanspruch gesehen werden, der sich in dem nach ca. 1335 abgefassten volkssprachigen Text manifestiert, wenn die für ihre magischen Künste berühmten Gründer von Mainz ihr Wissen und ihre Fertigkeiten an lernbegierige Schüler aus Orient und Okzident weitergeben. Dadurch wird das Gewicht der Stadt nicht nur im urzeitlich-heidnischen Europa, sondern in der gesamten vorchristlichen Welt unterstrichen.

      Variabel erscheinen dabei im Vergleich von Windeck- und Gheverdis-Fassung der zeitliche Abstand der Gründung von Mainz einerseits zur vorangehenden Erbauung von Trier und andererseits zu der nachfolgenden von Rom und daneben in Grenzen auch die Abkunft des Heros eponymos der Mutterstadt von Mainz von Belus oder Ninus. Die zentralen Elemente sind hingegen konstant: Mainz wird von Trier aus gegründet, und die Gründer der Stadt sind weithin bekannte Gelehrte beziehungsweise Magier. Die für den heutigen Leser befremdliche, im Mittelalter aber einem verbreiteten, vorwissenschaftlichen etymologischen Verfahren entsprechende, erwähnte Herleitung des Namens von Mainz aus magiae scientia beziehungsweise magicae scientia bezieht sich dabei erkennbar nicht auf die volkssprachige Namensform Menz, sondern auf die lateinische, Maguntia.33 Sie verweist deshalb auf einen lateinischen Entstehungsrahmen zurück, was Rückschlüsse auf das politisch-soziale Bezugsfeld ermöglicht.

       III. Meister der Schwarzkunst auf der Flucht: eine lateinische Version vom Ursprung von Mainz in der Hagiographie um 1300

      Der zuletzt erwähnte Befund, mit dem zugleich die funktionale Differenz von lateinischem und volkssprachigem Diskurs angesprochen ist, weist auf eine ältere, lateinischklerikal geformte Schicht der Sage von der Gründung von Mainz durch Magier aus Trier hin, wie sie sich in der „Passio, inventio et translatio sanctorum Aurei et Justinae“ des sogenannten Sigehard von St. Alban aus dem späten 13. Jahrhundert findet.34 Diese Version der auf Magier aus Trier bezogenen Gründungsgeschichte erlangte besondere Verbreitung. Von Interesse ist sie aber auch, weil sie die Variabilität der Figurengestaltung der Erbauer von Mainz verdeutlicht

Скачать книгу