Das Biophilia-Training. Clemens G. Arvay
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Über Äonen hinweg haben sich die Anatomie und die Funktionsweise des menschlichen Körpers an seine natürliche Umwelt angepasst, so wie das auch bei den Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen der Fall war und ist. So wie jede andere Spezies passen wir einfach am Besten zu der Umwelt, auf die wir uns im Laufe der Menschheitsentwicklung spezialisiert haben. Es liegt auf der Hand, dass es sich dabei nicht um Asphalt und Beton handelt. Viele Menschen bekommen beim Joggen Knieprobleme sowie Probleme an den Hüften und der Wirbelsäule, wenn Sie auf hartem Untergrund laufen. Beim Lauf durch einen Stadtpark haben wir vielleicht das Gefühl, in der Natur zu sein, weil wir von grünen Bäumen umgeben sind, doch im Park bewegen wir uns, wie auf der Straße, auf harten Asphaltflächen. Die Erschütterungen und Stöße führen zu Abnützungen an den Gelenken und der Wirbelsäule. Sie können dadurch sogar chronische Entzündungen auslösen. Unser Bewegungsapparat ist für die moderne Lebenswelt einfach nicht gemacht, da nutzen auch »Stoßdämpfer« an den Schuhen nichts.
Unser Körper passt in die Landschaft wie ein Puzzlestein in den anderen, weil er durch sie geformt und gestaltet wurde.
Joggen auf natürlichem Untergrund ist hingegen eine gesunde Form des Sports, wie jeder Sportler aus Erfahrung nachvollziehen kann. Der weiche Waldboden und die grünen Wiesen geben unserem Gewicht nach und versetzen uns keine schädlichen »Schläge« von unten.
Unsere Füße müssen durch feinste Muskelgruppen in den Sohlen, die wir beim Gehen auf plattem Asphalt kaum benötigen, ständig die Unebenheiten des Bodens ausgleichen. Dadurch werden unsere Fußsohlen gestärkt und in Form gebracht. Diese Wirkung setzt sich durch den ganzen Körper bis in die Schultern und in den Nacken fort: Das ständige Balancehalten und der ununterbrochene Ausgleich der Unregelmäßigkeiten des Geländes trainiert unser gesamtes Muskelkorsett auf vollkommen natürliche Weise und ohne dass wir monotone Bewegungen mit schweren Gewichten durchführen müssen, die ebenfalls Schäden an den Gelenken verursachen würden.
Unser Körper passt in die natürliche Landschaft wie ein Puzzlestein in den anderen, weil er durch sie geformt und gestaltet wurde. Auch Liegestütze und Kraftübungen auf Felsen sind besonders effektiv, weil wir die leichten Unebenheiten des Felsens mit dem gesamten Körper ausgleichen und insgesamt mehr Körperspannung halten müssen. Dazu brauchen wir zwar einen ebenen Untergrund, dieser wird jedoch in der Natur nie so platt wie eine Trainingsmatte sein. Kraftübungen an Felsen und Baumstämmen bauen sogar die feinen Muskelgruppen in unseren Handflächen auf, weil wir mehr »Griff« brauchen und unsere Finger in das ganzkörperliche Sporterlebnis integrieren müssen. Öffnen wir erst unsere Augen dafür, so finden wir im Wald und auf Wiesen überall natürlich gewachsene »Fitnessgeräte«, die unserem Körperbau sehr entgegenkommen. So eignen sich Baumstämme und Totholz auch zum Balancieren sowie für Sprünge, mit denen wir nicht nur die Kraft in unseren Beinen sondern auch unsere Geschicklichkeit und Wendigkeit trainieren. So wie Tina Vindum können wir schließlich den Wald als einen einzigen großen Slalom- und Hindernisparcours betrachten.
Die Mitgliedschaft in der Natur resultiert aus unserer Evolution und nicht aus teuren Mitgliedsbeiträgen.
Vergessen wir nicht, dass der Homo sapiens mehr als hunderttausend Generationen lang als Jäger und Sammler lebte und seit etwa zehntausend Jahren als Ackerbauer. Unser Organismus ist von Natur aus darauf ausgerichtet, jeden Tag körperliche Höchstleistungen zu erbringen, um zu überleben. Typisch menschliche Betätigungen sind das Laufen und Klettern, das Tragen und Schleppen sowie das Stämmen von Objekten. Alle diese Urbewegungen lassen sich vorzüglich ins Biophilia-Training integrieren, weil wir beim Sport im Wald alles vorfinden, was wir dazu benötigen. Die Übungen in diesem Buch geben konkrete Anleitungen dazu. Das Biophilia-Training ist obendrein im Gegensatz zu Fitness-Studios völlig kostenlos. Die Mitgliedschaft in der Natur resultiert aus unserer Evolution und nicht aus teuren Mitgliedsbeiträgen. Unsere genetische Grundausstattung ist noch immer dieselbe wie in der Steinzeit.
Weil das tägliche Leben in den Industriegesellschaften aber ganz und gar nicht mehr der Natur des Homo sapiens entspricht – und übrigens auch nicht die Laufbänder und Geräte beim Indoor-Sport – werden viele Menschen krank. Wir bewegen uns zu wenig, kommen zu selten an die frische Luft und verbringen kaum mehr Zeit in unserem natürlichen, zu uns passenden Lebensraum. Selbst das Treppensteigen wird uns mehr und mehr abgenommen, weil überall Aufzüge und Rolltreppen errichtet werden. Hinzu kommen die zahlreichen Umweltgifte und schädlichen Einflüsse aus Industrie und Straßenverkehr.
Im Laufe dieses Buches werden wir sehen, dass wir im modernen Alltagsleben auch von wichtigen Natursubstanzen getrennt sind, die wir eigentlich bräuchten, um gesund zu bleiben. Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Bluthochdruck, Krebs, Verdauungsbeschwerden, Übergewicht, die koronare Herzkrankheit sowie Depressionen nehmen in einem nie dagewesenen Maß zu. All die negativen Einflüsse, die uns im industriell geprägten Alltag krank machen, können wir durch Sport in der Natur ausgleichen. Das Biophilia-Training basiert auf grundlegenden und völlig einleuchtenden Erkenntnissen der menschlichen Evolution. Sport in der Natur ist Sport »zuhause«. Diese Zusammenhänge wollen wir uns im Detail ansehen.
Biophilia für Harte
Wie die Natur uns anspornt
Es existieren zahlreiche Studien von Sport- und Gesundheitswissenschaftlern auf der ganzen Erde, die eindeutig belegen, dass die Natur uns Menschen in hohem Maße zum Sport motiviert.
Die Soziologin Anne Ellaway an der University of Glasgow stellte in mehreren Studien die sportlichen Aktivitäten von Menschen aus Wohngegenden mit Natur- und Grünflächen dem Sportverhalten von Bewohnern aus Gegenden ohne Grün gegenüber. Ihr Ergebnis: Statistisch betrachtet führen Naturflächen dazu, dass die Menschen in solchen Regionen mehr als dreimal so viel Sport betreiben als in »grauen« Wohngegenden. Das heißt, der Anblick von Bäumen und anderen Pflanzen weckt in uns den Antrieb für körperliche Bewegung.8 Dieser Studie liegen Gesundheitsdaten aus ganz Europa zugrunde. Ellaway konnte in ihren Analysen auch zeigen, dass in grünen Gegenden vierzig Prozent weniger Menschen übergewichtig sind.
Die Bewohner in der Nähe von Parks betreiben im Durchschnitt doppelt so viel Sport wie Stadtbewohner, die keine Parks in der Nähe haben.
Ross Brownson ist Professor für Gesundheitswissenschaften an der School of Medicine der Washington University in St. Louis. Er untersuchte den Einfluss von städtischen Parks auf das Sportleben der Amerikaner. Die Bewohner in der Nähe solcher Parks betreiben demnach im Durchschnitt immerhin doppelt so viel Sport wie Stadtbewohner aus anderen Vierteln, die keinen Park in ihrer Nähe haben.9 Diese Studienergebnisse beziehen sich nicht nur auf Sport im Grünen, sondern generell auf die Häufigkeit des Trainings. Der Blick auf Naturflächen spornt also auch zum Besuch des Fitness-Studios an, aber nachvollziehbarer Weise vor allem zum Biophilia-Training unter freiem Himmel.
Dass der Anblick von Bäumen