Lockvogel. Therese Kersten

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Lockvogel - Therese Kersten

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des Clubs zur Belohnung gönnten. Das Telefonat. Gleich morgen früh. Schließlich war morgen früh ziemlich bald. Julia gedachte der Fassungslosigkeit, die ihr entgegenschlagen würde. An das Schweigen, das sie nur zu gut kannte. An das Nach-Luft-Ringen. An ein Meer von Tränen, das im Gefolge womöglich durch die Leitung schwappen würde. An die Frage der Fragen, die immer wieder kam.

      Warum ich?

      Und sie dachte an die systematische Schmierenkomödie, die hinter alledem stand. An die viele, durchaus knochenharte Arbeit des Verschleierns. Das Löschen von Nachrichten. Mails. Chatverläufen. Das Verbergen von unerklärlichen Unkosten. Kreditkartenabrechnungen. Essensbelege. Hotelrechnungen. Kilometerstände auf Tachos. Was immer. Das Umschiffen von Orten, wo Bekannte, Freunde des ersten Lebens anzutreffen sein könnten. Das Erklären jäh geänderter Lebensgewohnheiten. Vom neuen Körperbewusstsein über den neuen Kleidungsstil bis zu sprachlichen Gepflogenheiten, weil Affären, Parallelbeziehungen meist auch ihre eigenen Codes generierten, über die man sich verständigte. Die Menschen zusammenschweißten und Welten schufen, in die andere keinen Zutritt bekamen.

      All das bedeutete einen enormen Energieaufwand, der anderswohin floss. Nur nicht in die eigene Beziehung. Oder wenigstens in die Kraft zum Mut, endlich Farbe zu bekennen, endlich ehrlich zu sein.

      Daran musste Julia vor so einem Telefonat denken. Und wie es wohl Polizisten ergehen musste, die Hiobsbotschaften zu den Menschen trugen. Nichts anderes war im Prinzip, was sie tat. Auch sie legte fremde Welten in Trümmer. Nicht immer. Aber oft genug. Der entscheidende Unterschied war bloß, dass sie nicht die Gewissheit vom Tod eines Menschen brachte, sondern schlimmstenfalls die Gewissheit vom Tod einer Beziehung, die ohnedies nicht erhaltenswert war. Den Einsturz eines Gebäudes mit durch und durch morschen Grundfesten. Wie auch, dass sie nicht aus eigenem Antrieb Schicksalsengel spielte, sondern letztlich immer darum gebeten wurde. Weil Menschen nach Gewissheiten suchten, die sie auf andere Weise nicht erhielten. Weil Menschen die Courage aufbrachten wissen zu wollen, woran sie waren. Oder vielleicht auch, weil sie inbrünstig hofften, sich zu irren. Oder die Kunst des Manipulierens durch ihre Partner so weit fortgeschritten war, dass sie für alles bei sich selbst die Schuld suchten. Und manchmal auch fanden. Und sich für Dinge entschuldigten, die der andere verbrochen oder zumindest verursacht hatte.

      *

      Am Folgemorgen, kurz nach neun, rief Julia Frau B. an. Ihre Auftraggeberin aus Graz. Sie hatte wissen wollen, ob ihr Lebensgefährte allzu leicht für einen Flirt und ein bisschen mehr zu haben wäre. Ob er sich (was sie ohnedies im Grunde ihres Herzens vermutete) zu einem Seitensprung entschließen, schlimmstenfalls sogar eine Affäre anfangen würde.

      Frau B. war auf der Suche nach Gewissheit. Und nach Erfüllung einer schon angeschlagenen Hoffnung: dass nämlich sie die Einzige wäre, die über alles Geliebte. Darum schrieb sie das Mail an Die Treuetester. Nach einer (wenngleich wackeligen) Sicherheit hat sie gesucht. Bekommen hat sie das seit Jahren praktizierte Doppelleben eines skrupellos notorischen Betrügers. Natürlich zog ihr das fürs Erste die Schuhe aus. Dann aber war Frau B. dankbar, ist es heute noch. Weil man ihr die Augen geöffnet hat.

      Man. Das sind in diesem Fall Julia und Sarah. Im Gespann. Manches lässt sich eben nur zu zweien wirklich effektiv bewerkstelligen.

      Sarah, die Gelegenheits-Detektivin, die es liebt, Sherlock Holmes im Kleinen zu spielen, die ein Faible fürs Hobby-Psychologisieren hat, wie sie es nennt, es insbesondere aber darum tut: Weil sie Menschen wie Tobi aufs Blut nicht ausstehen kann, mehr noch, weil sie Menschen wie Frau B. vor Menschen wie Tobi um jeden Preis zu schützen gedenkt. Da sind sie schon zwei. Sarah und Julia.

      Mission Ärsche.

      Und Julia? Die mit dem knallengen, schwarzen Overall und den grell aufgeschminkten Lippen?

      Ja, Julia, das bin ich.

      Und Die Treuetester?

      Das bin auch ich. Meine Agentur, um präzise zu sein. Mit einer Heerschar von Testerinnen und Testern an meiner Seite. An die dreihundert sind es inzwischen, Frauen und Männer jeden Alters, jeden Aussehens, der Querschnitt eines Blicks auf eine belebte Straße. Erlauben Sie, dass ich mich nun selbst vorstelle:

      Mein Name ist Kersten.

      Therese Kersten.

      Ja, auch ich mag Martini. Nein, es spielt keine Rolle, ob geschüttelt oder gerührt. Ja, auch ich neige bisweilen dazu, mich in seltsamen Situationen wiederzufinden. Nein, nicht aus Prinzip seltsam. Ja, auch ich neige zu etwas bizarren Vorgehensweisen. Nein, keinesfalls verbotene. Ja, auf gewisse Weise bin auch ich auf Mission. Nein, ich trage keine scharf geladene … ich bin die Waffe. Ja, ich könnte es gut verstehen, würden Sie darauf verfallen, mich allerspätestens am Ende dieses Buches süffisant Agentin 006 zu nennen. Nein, freuen Sie sich bloß nicht zu früh über Ihr Späßchen.

      Doppelnull Sex.

      Seien Sie stattdessen versichert: In den allermeisten Fällen, die Ihnen auf den folgenden mehr als zweihundert Seiten begegnen, dreht es sich, wenn schon, um das Duell Sex gegen Doppelnull. Einen anderen Schluss lassen die ernüchternden, erschreckenden Einblicke in Moral und Werte, Raffinesse und Durchtriebenheit, Risikofreude und Selbsteinschätzung, kurzum: in die Psyche mancher Zeitgenossen (und -innen) kaum zu.

      Ja, man kann mich buchen. www.die-treuetester.eu. Sie können es in Ihrem eigenen Interesse tun. Andere Leute in deren, was dem Ihren womöglich grundlegend widerstrebt. In diesem Fall bin ich nicht länger ein Traum, sondern der Alp. Seien Sie also auf der Hut, ehe Sie auch nur erwägen, den Partner, die Partnerin … andererseits … sind wir Menschen denn geschaffen für absolute, ewige Treue?

      Mein Name ist Kersten.

      Therese Kersten.

      Alter: 27 Jahre.

      Beruf: Lockvogel.

      PS.: Frau B. wollte es ganz genau wissen. Genauer als genau. Also gab sie einen zweiten Test in Auftrag. Ob (da immer noch ihr) Tobi tatsächlich bereit wäre, sich mit mir zu treffen. Privat. Für … na, Sie wissen schon, Frau Kersten. Für eindeutige Dinge eben. Und ob er dabei zugleich seine Freundin eingestünde.

      Schriftlich.

      Zehn Minuten nach meinem SMS funkte Tobi zurück. Ja, natürlich wolle er mich (treffen). Nein, natürlich sei das mit der Freundin kein Problem. Also vereinbarten wir ein Treffen. In Wien.

      Wer an meiner statt in das Hotel in der City kam, war Frau B. Eigens aus Graz angereist. Das, verriet sie im Vorfeld, sei ihr den letztmaligen Aufwand wert. Ein letzter Aufwand. Für ihn. Das Letzte.

      PPS: Erinnern Sie sich noch an den Wortlaut des zweiten, eingangs erwähnten Zitats?

      Treu bis in den Tod sind nur die Dummköpfe. Die Treue hat ihre Grenze im Verstand.

      Dieser Satz geht auf einen gewissen Talleyrand zurück. Charles Maurice de Talleyrand-Périgord. Erst Bischof von Autun. Dann Außenminister Napoleons. Dann Vertreter auf dem Wiener Kongress von 1814.

      Ist demnach schon ein Weilchen von uns gegangen, der gute, alte Talleyrand. Und ohnedies ein Mann, den das historische Gedächtnis Frankreichs weitgehend von der Festplatte getilgt hat. Insbesondere, weil er im Ruf stand und steht, ein recht spezielles Verhältnis zur Loyalität und Treue (wenngleich im politischen Sinne) gehabt zu haben. Ein williger Diener vieler Herren. Ein Meister von Beweglichkeit und Anpassung, Lüge, Verrat und Intrige. Manche nennen es schlichtweg: Opportunismus.

      Talleyrand

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