Lockvogel. Therese Kersten

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Lockvogel - Therese Kersten

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den amtlichen Stempel, eine verfluchte Schlampe zu sein, kriegst du gratis obendrein. Während es bei Männern zumeist auch noch ein anerkennendes Schulterklopfen gibt. Nein, Therese. Das ist unzumutbar. Das willst du dir nicht antun. Dir nicht. Und deinem Vater zweimal nicht.

      Also raus hier. Nichts wie weg.

      Eine unduldsame Hast überfällt mich. Die letzten Meter bis zum Haus strample ich bei vollem Tempo. Runter vom Fahrrad. Ein fahriges Kramen in der Tasche nach dem Schlüssel. Rein. Die Stufen empor in die Wohnung. Eine Zigarette am Fenster. Eine zweite. Noch eine. Das beruhigt. Aber nur für den Augenblick. Danach rastloses Hin- und Herwälzen auf dem Bett. Dann: den Laptop aufklappen. Ordination Dr. Google. Und da stehen sie vor mir in der Suchleiste, diese beiden Begriffe:

      Suche Sex.

      Mehr als eine Million Seiten sind die Antwort. Und sie alle haben eines gemeinsam: Überall wird Sex gegen Geld angeboten. Bist du völlig verrückt geworden, Therese? Ich schlage den Laptop zu. Die Vorstellung, es mit einem wildfremden Mann zu tun, Sex gegen Geld zu haben, schnürt mir den Hals zusammen. Brechreiz kommt auf. Und mit ihm flattern sie alle heran, die Klassifikationen: Prostituierte. Hure. Nutte. Drecksschlampe.

      Am Folgetag das gleiche Prozedere. Schon in der Schule packt mich eine kaum zu bezähmende Unrast. Abermals fliege ich auf dem Rad nachhause. Abermals die Stufen empor. Der Laptop liegt noch auf dem Bett. Wonach soll ich suchen? Ohne mich gleich in dieses Eck zu stellen?

      Mit Sex Geld verdienen.

      Ist das denn um einen Deut besser? Escort, denke ich laut, als ich auf den Begriff stoße, der mir bis dahin ein Fremdwort gewesen ist. Und auch jetzt, beim ersten Hinschauen, ein Buch mit tausend Siegeln ist.

      Escort? Es handelt sich um Begleitagenturen, die Frauen und Männer für eine bestimmte Zeit gegen Geld vermitteln, lese ich. Also doch wieder Prostitution.

      Abermals befällt mich Übelkeit. Nein, damit will ich mich nicht abfinden. Nicht mit dieser Bezeichnung. Ist es nicht gleichgültig, ob man Geld dafür bekommt oder nicht? Auf eine gewisse Weise? Schläfst du als Frau mit mehreren Männern innerhalb von kurzer Zeit, bist du ohnedies die Hure. Gehst du fremd, als Frau, bist du die Hure. Verlässt du einen Partner wegen eines anderen, bist du die Hure. Lehnst du einen ab, der dir nicht zu Gesicht steht, bist du es auch. Die Hure. Warum immer. Die Verwendung des Wortes ist inflationär, sage ich mir, und die Möglichkeiten, es über jemand nach Lust und Laune auszugießen, endlos. Eine innere Stimme sagt mir, dass das Blödsinn ist. Doch eine zweite, stärkere, sagt mir, dass es sich genau so verhält.

      Warum also nicht gleich gegen Geld?

      Dutzende, Aberdutzende Seiten besuche ich, studiere Agenturen, arbeite die Unterschiede heraus. Wäge Preise gegeneinander ab. Durchforste Foren. Erfahrungsberichte. Von Frauen wie Männern gleichermaßen. Ohne mir dessen überhaupt bewusst zu sein, kippe ich jählings in die Thematik. Bis der Kopf raucht.

      Ein Bad muss her. Ehe ich ins dampfende Wasser gleite, glüht mein Körper bereits. Den Kopf im Nacken, fliegen mir die Gedanken zur Decke empor. Sie sind nicht frei. Sie sind gefangen von alledem, was ich gesehen habe. Von Eindrücken. Mutmaßungen. Hochtrabend und niederschmetternd zugleich.

      Therese, was geht in dir vor? Dann wieder: Ist bezahlter Sex so grundlegend anders als unbezahlter? Kannst du das überhaupt? Kann dir etwas zustoßen?

      Die Zeit in Berlin stieg in meiner Erinnerung hoch. Die vielen Stands. Wenigstens einige, in der Rückbeschau, ziemlich entbehrlich. Weil die Männer entweder grottenschlecht im Bett waren. Oder weil es so schnell ging, dass ich beim besten Willen nicht mehr beurteilen kann, ob sie nun gut waren oder nicht. Oder hätten gut sein können. Unter besseren Umständen. Und bei wieder anderen, denke ich, wäre es in der Tat besser gewesen, wenn sie wenigstens … ja, wenn sie wenigstens dafür bezahlt hätten.

      Ich blicke auf mein Google-Handy und sehe mich aus der Wanne steigen an diesem Abend. Sehe mich splitternackt vor den Spiegel hintreten. Meine Figur? Ziemlich normal wie ich befinde. Die Brüste? Nun ja, für mein Dafürhalten etwas zu klein geraten. Aber nicht um viel. Außerdem gibt es Einlagen. Die Knie hingegen sind entschieden zu dick. Du kannst eben nicht alles haben, Therese. Und dann, mit dem Urteil über meinen Körper, fälle ich auch eine Entscheidung:

      Ich will es tun. Gegen Geld.

      Gegen alle Bedenken. Gegen jede Vernunft. Weil ich raus muss. Den Kopf durchsetzen, weil ich es so entschieden habe. Der typische Widder, der ich nun mal bin. Sagt Mama. Erneut klemme ich mich hinter den Laptop, recherchiere fieberhaft weiter. Bis ich auf jene in ihrem Auftreten eBay nachempfundene Seite stoße, die auch jetzt, hier, in der Schulbank, von meinem Handy zu mir emporblinkt mit ihrer so eingängigen Eingangsbotschaft:

      Heute schon geseXt?

      Vorne an der Tafel turnt der Lehrkörper von einer Seite zur anderen, kratzt mit kreischender Kreide Runen hin und faselt Entbehrliches. Von … ja, wovon denn? Welche Stunde haben wir überhaupt? Englisch? BWL?

      Aber ja doch. Rechnungswesen. Non vitae sed scholae discimus. So, oder so ähnlich. Nicht fürs Leben lernen wir, sondern für die Schule. Oder umgekehrt. Wer weiß das schon. Das echte Leben, Leute, spielt sich anderswo ab. Vier Stunden, einundzwanzig Minuten und null Sekunden. Bei 700 stehen wir schon. 700 Euro! 20 Prozent ziehen sie dir ab. 20 Prozent von wieviel? 800? 1000? 1500? Minus 20 Prozent Provision … das macht … einen Haufen Kohle allemal für ein Mädchen, eine junge Frau von 19 Jahren. Ja, Leute, das nennt sich angewandtes Rechnungswesen.

      Du musst nach Hause, Therese!

      Tack. Tack. Tack.

      Die Schlagworte aus Richtung Tafel erreichen mich nur noch schwach. Nichts dringt durch. Über allem schwebt der Gedanke: Welcher Teufel hat dich da geritten? Und mit dem Wort geritten hat mich die Site auch schon wieder eisenhart im Griff. Gleich an zweiter Stelle, inmitten der mit einem + markierten, angepriesenen Vorzüge, seine Haut (wenn schon) hier und nicht anderswo zu Markte zu tragen, gleich an zweiter Stelle also dieser Eintrag, der nach Reiten und Stall und Pferden klang.

      + KEINE Einstellgebühren für Standardauktion

      Tack. Tack. Tack.

      Vier Stunden, zwei Minuten und null Sekunden. Was für ein Irrsinn, Therese. Ach was, ist doch bloß eine Versteigerung wie auf … und anstelle einer neuen (alten) Lampe, anstelle eines Sets kaum gebrauchter Schraubenzieher, eines Motorrads, eines Billardtischs erhältst du eben einen echten Menschen. Einen Mann, um präzise zu sein. Rückgaberecht? Return to sender? Nein. Betriebsanleitung? Garantie? Iwo. Worauf auch? Auf erfüllten Sex?

      Oh nein, Therese. Nicht du erhältst den Mann. Er erhält dich. Nicht er wird frei Haus geliefert. Nicht er ist die Ware. Du bist es.

      Alles nur wie bei eBay also?

      Noch einmal, ein allerletztes Mal an diesem Mittag in der Wirtschaftsschule in Schönebeck, blicke ich zurück, sehe mich vor zwei Wochen. An diesem einen entscheidenden Tag. Ich spüre der Ernüchterung nach, die mich wie eine Horde wilder Tiere befallen hat, als ich mir das Wort vergegenwärtige, das wie ein Überbau dasteht: Versteigerung. Noch einmal empfinde ich die tiefe Scham, die mich dabei durchdrungen hat.

      Auch sehe ich die geistige Waage mit ihren vielen Fürs und Widers mal nach der einen, mal nach der anderen Seite ausschlagen. Spüre dem Druck meines prallvollen Schädels nach. Der Erkenntnis, dass es sich hierbei um keine mathematische Gleichung handelt, die sich nach vorgefassten Parametern auflösen ließe. Ja, sogar dem Druck der Fingerkuppen spüre ich nach, als ich mich tatsächlich einlogge, als ich

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